Hoch die MehrfachidentitätenArtistin

Eine kleine Fred-Sinowatz-Hommage im Bruno-Kreisky-Jahr

Drei Politiker-Grundmuster könne man unterscheiden: Intellektuelle, Urgesteine und Technokraten. Ich erinnere mich, dieses Schema in einem «Wiener Zeitung»-Essay gelesen zu haben, wo auch festgestellt wurde, dass man mit Intellektuellen in der Regel keine Wahlen gewinnen könne und dass Bruno Kreisky als die große Ausnahme dieser Regel galt.Inzwischen ist das Bruno-Kreisky-Jahr angebrochen. Der Mythos vom «letzten Intellektuellen» an der sozialdemokratischen Spitze wird überstrapaziert werden als ob ihm mit Fred Sinowatz nicht ebenfalls ein Geistesmensch an den Ballhausplatz nachgefolgt wäre. Den schönsten Text über die Hauptgefahr, in der sich die österreichische Gesellschaft befindet, nämlich die (nach Adorno immer wieder zu Auschwitz führende) soziale Kälte, die mit dem «Ausländerdiskurs» einhergeht, hat Fred Sinowatz geschrieben.

Er ist aus dem Jahr 1997. Im Vorwort eines von Traude Horvath herausgegebenen Bändchens über die Mehrfachidentitäten der ÖsterreicherInnen erinnert sich Sinowatz an die unkonventionelle Art eines amerikanischen Soziologen oder Politologen oder Ethnologen, die wundersame Hybridisierung der burgenländischen Bevölkerung anschaulich darzustellen. Er tat dies mithilfe einer Burgenland-Karte, in der die Gemeindegrenzen eingetragen waren.

«Bei jeder der Gemeinden», schrieb Fred Sinowatz, «trug er mit verschiedenen Farben die unterschiedlichen sprachlichen und konfessionellen Bewohner der jeweiligen Gemeinde ein, also die deutschsprachigen, die kroatischsprachigen und die ungarischsprachigen, sowie die Katholiken, die Protestanten, die Reformierten sowie die historischen Juden und Roma. Als er mit seiner Karte fertig war, ergab sich für mich ein überraschender Anblick. Ich fand fast keine Gemeinde, in der es nicht eine Minderheit gab. Es war ein unwahrscheinlich buntes Bild, das sich mir bot. Natürlich wusste ich von der sprachlichen und konfessionellen Vielfalt des Landes (der Burgenländer Fred Sinowatz war damals, zur Zeit dieser Verblüffung, also in den 50er Jahren, im Eisenstädter Landesarchiv tätig, die Red.), aber ich hatte diese Buntheit noch nie so plastisch vor mir gesehen.» Mit diesem Aha-Erlebnis sei ihm der Wert des Miteinanders anstelle des Nebeneinanders eingebrannt worden.

Kann man sich vorstellen, von einem Sozialisten namens Häupl eine derart empathische Liebeserklärung an Favoriten zu hören, die auf einem analogen soziologischen Vergleich der Sprengeln des 10. Bezirks basiert? Das «Miteinander» ist längst durch den Imperativ «Integrieren!» ersetzt, das Rufzeichen gilt immer nur den Minderheiten.

Der Kroate Müller & der Deutsche Trenowatz

In Sinowatz entstand das Bild einer Menschenlandschaft, in der die Vorstellung, es gäbe in ihr eine «Leitkultur», an die sich Minoritäten anzupassen hätten, als abstrus gelten musste. Schon durch seine Biografie war er sozusagen gefeit vor solchen Anmaßungen: «Ich dachte an meinen eigenen Lebensbereich: Da hieß der eine Großvater väterlicherseits Sinowatz und der mütterlicherseits Csech, und als ich in den burgenländischen Landtag einzog, hießen die kroatischen Kollegen Müller und Probst, aber die Deutschen hießen Trenowatz und Sinowatz. Die Bürgermeister meiner Heimatgemeinde seit dem Ende des Krieges hießen Csech, Mikulits, Lajos und de Gobbo, Letzterer ein Abkömmling eines italienischen Bauarbeiters, der wie viele andere seiner Landsleute beim Bau der Wiener Ringstraße ins Land gekommen war.»

Bis heute fehle in diesem Bundesland eine reine deutsch-burgenländische Identität, meinte Sinowatz damals (1997), eine «Mehrfachidentität» sei in «fast allen Familien des Burgenlands» die Realität, und trotzdem sei das Land «von den Geißeln unserer Zeit, der Fremdenangst und der Fremdenfeindlichkeit», nicht verschont geblieben. Man dürfe also nicht müde werden, «um in verständlicher, ja fast handfester Form auf die historisch bedingte Mehrfachidentität von uns allen hinzuweisen», so Fred Sinowatz zehn Jahre nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler.

Niemand hat seine Intellektualität mehr gewürdigt als das Enfant Terrible der burgenländischen Kunstszene, der Aktionist, Autor und Regisseur Peter Wagner. In seiner «ultimativen» Geschichte des Burgenlandes, dem fast 600 Seiten starken Märchen «Die Burgenbürger Homo Suellensis Panonniae» entdeckt Hauptperson Fred (Sinowatz) den Schwellenmenschen, Nachfolger jener Grenzwächter aus einem älteren Märchen, die zwei Gesichter besitzen. Das eine schaut ostwärts, das andere westwärts: «Und Fred sagte, betrachtest du es vom Osten, ist es der Saum der Alpen. Siehst du es von Westen, ist es der Tellerrand der großen Ebene. Oben und unten je eine Pforte, die Donau im Norden, die Raab da unten im Süden. Alles dazwischen ist barer Übergang, von einem ins andere, vom anderen ins eine. Das ist die Zwischenwelt schlechthin.» Die Gesellschaft als barer Übergang, voll mit Schwellenmenschen das ist nicht die Beschreibung einer tristen Realität, sondern der schönsten aller sozialen Utopien. Peter Wagner könnte sie nicht seiner Sinowatz-Figur in den Mund legen, wenn das Original, der reale Sinowatz weit entfernt von solchen Fantasien gedacht und gewirkt hätte.

Den Kreisky-Sakralisierern sei übrigens gesagt, dass nicht unter Kreisky, sondern unter Sinowatz die sozial selektierende Aufnahmsprüfung für die AHS abgeschafft wurde. Gäbe es sie noch, wären Kinder aus Migrationsmilieus heute um eine Dimension abgekoppelter von den Bildungswegen, als sie es heute sind.

Info:

Die Burgenbürger

Romansatire von Peter Wagner

200 Illustrationen: Henryk Mossler

568 Seiten

ISBN: 3-213-00087-6

Preis: EUR 34,10

www.peterwagner.at (Website von der Redaktion empfohlen!)

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