Wie aus einem erfolglosen «Ankerkind» ein wartender «Anker-Ehemann» wird
Eigentlich bedeutet der Begriff «Ankerkind» ja etwas Positives, nämlich dass Flüchtlingskinder in einem Land ankern dürfen, ähnlich einem Schiff. Aber nicht nur wurde dieser Begriff von der Politik verdreht, sondern die Familienzusammenführung funktioniert oft gar nicht und kostet trotzdem enorme Summen.«Wenn man seine Eltern nach Österreich nachholen will, muss man unter 18 Jahre alt sein», sagt Ewasali, «aber man muss gleichzeitig genügend Geld dafür haben. Das ist das Leben, das Schicksal.» Jugendliche Flüchtlinge haben aber zumeist wenige finanzielle Mittel; Ewasali zum Beispiel verdiente erst, als er als Friseurlehrling zu arbeiten begann.
Der Widerspruch, der den jungen Mann aber momentan am meisten beschäftigt, ist der, dass er zwar schon seit drei Jahren verheiratet, aber immer noch alleine ist, weil er seine Frau, die in Pakistan lebende Afghanin Hakima, nicht nach Österreich nachholen kann. Die österreichische Botschaft in Islamabad stellt immer wieder neue Bedingungen, die beinahe unerfüllbar sind.
Der junge Afghane verbrachte nur drei Wochen im Flüchtlingslager Traiskirchen und lebte dann in einer Wohngemeinschaft in Mödling. Doch durch die ständigen innerlichen Spannungen verbrachte er insgesamt acht Monate im Krankenhaus mit beinahe unerträglichen Kopfschmerzen. «Ich habe damals zu viel nachgedacht», sagt er heute. «Ständig gegrübelt, dass ich alleine bin, und wie ich meine Familie, die nach dem Tod meines Vaters in einem afghanischen Gefängnis nach Pakistan geflüchtet ist, ernähren und unterstützen kann.» Deren Lage verschlimmerte sich drastisch: Sein jüngster Bruder wurde in Pakistan morgens beim Fußballspielen erschossen. «Das sind Morde, die in Pakistan immer wieder passieren. Einfach so, man weiß nicht, warum. Arme Leute, völlig unnötig, irgendwer erschießt irgendwen es herrscht dort so ein Chaos.» Seine Familie war also in Pakistan in Gefahr und der Junge mühte sich ab, sie zu holen wobei die Behörden wieder einmal keine Hilfe waren. Im Gegenteil: «Sie schrieben in Pakistan aus Versehen in den neuen Pass meiner Zwillingsschwester das Geburtsdatum 1999 hinein und waren nicht mehr bereit, das zu ändern.» Infolgedessen glaubte ihm keine Behörde mehr, dass sie seine Zwillingsschwester ist. Ihn machten diese Beamt_innen, angeblich nach den Angaben der Mutter, die aber nicht lesen und schreiben kann, plötzlich um ein Jahr älter. Die Österreicher_innen, die zwar vielleicht einem Flüchtling Asyl vor gefährlichen Staatsorganen gewähren, aber der Bürokratie desselben Staates trotzdem in allen Formalitäten folgen, meinten daraufhin, er wäre ja nicht mehr 18 Jahre alt, sondern bereits 19 und dürfte somit seine Mutter nicht mehr nach Österreich bringen. Die Chance war verpasst.
Zu dem Zeitpunkt verdiente Ewasali 300 Euro als Friseurlehrling und musste 2500 Euro für die üblichen DNA-Tests bezahlen, um die Verwandtschaft zu beweisen. Der Test war positiv, trotzdem durfte er seine Familie nicht holen. «Hätte es nicht die strenge Frau Huemer vom Therapiezentrum Hemayat gegeben, gäbe es mich nicht mehr», sagt Ewasali und vergräbt das Gesicht in den Händen.
Doch es gab auch schöne Erlebnisse in seinem Leben: Immer wenn er seine Mutter in Islamabad anrief, sprach er mit Hakima, die im gleichen Haus lebte. Es entwickelte sich Vertrauen, später Liebe. 2012 heirateten sie in Pakistan. Mit dem afghanischen Pass seiner Frau stellten sie auf der österreichischen Botschaft in Islamabad einen Antrag zur Einreise nach Österreich. Das kostete 1250 Euro. In diesem Preis sind Nachforschungen, die Bearbeitung und das Versenden der Dokumente nach Österreich enthalten. Plötzlich hieß es aus der Botschaft: «Das ist eine gefälschte Heiratsurkunde!» Die amtliche Urkunde zur Bestätigung der religiösen Heirat kostete wieder 10.000 Rupien, sprich 100 Euro. Vor lauter Stress vergaß Hakima die wertvolle Urkunde im Taxi. «Ich habe geschrien, als ich das hörte», erzählt Ewasari, «aber sie konnte ja nichts dafür. Und sie hat noch einmal 1250 Euro extra bezahlt» obwohl keine weiteren Nachforschungen nötig waren. Nach der dritten Heiratsurkunde (250 Euro) und einer Geburtsurkunde für Hakima, die von der afghanischen Botschaft in Pakistan ausgestellt wurde, folgte die Krönung: Im September kam ein Anruf der österreichischen Botschaft in Islamabad, dass sie «einen Stempel auf die Heiratsurkunde vom Obersten Gerichtshof in Kabul» bräuchten. Hakima, die selber seit neun Jahren nicht mehr in Afghanistan lebt, fuhr also mühsam und teuer mitsamt ihrem Vater von Queta nach Kabul und bekam keinen Stempel. «Dein Mann soll dabei sein, vermeldeten die afghanischen Behörden. Darf er aber nicht, sagte meine Frau. Darauf die Beamten: Wenn er nicht kommen darf, dann geben wir dir keinen Stempel!», erzählt Ewasali und vergräbt wieder das Gesicht in den Händen. Gleichzeitig muss er schon selbst lachen über alle diese Absurditäten. Die österreichische Botschaft sagte nichts zu diesem Problem, schickte aber auch den Akt nicht weiter nach Österreich, denn für sie fehlt noch der Stempel. Aber sollte eine österreichische Botschaft, die ja sozusagen ein Teil von Österreich ist, nicht wissen, dass ein von ihr anerkannter Flüchtling nicht in das Verfolgerland einreisen kann?
Da Ewasali kein Einzelfall ist, besteht die Hoffnung, dass sich die österreichische Botschaft in Islamabad eine allgemein gültige Variante überlegen wird, denn es gab schon Fälle, in denen die Unterschrift im Endeffekt nicht erbracht werden musste.