Holocaust-Hologrammetun & lassen

Eine Anregung für Wien?

Warum Holocaust-Überlebende in Skokie, USA, ihr eigenes Museum aufbauten und dort nun als Hologramme zu sehen sind. Und wie sich dieser Umstand auf ihre Nachfahr_innen auswirkt. Mit Kurt und ­Dave Gutfreund vom Museum sprach Kerstin Kellermann.

Foto: privat (Bildunterschrift: Dave und sein Vater, der Shoah-Überlebende Kurt Gutfreund, engagieren sich im Holocaust-Museum von Skokie, einem Vorort von Chicago, USA)

In unserer Kleinstadt Skokie wollten eines schönen Tages Fake-Nazis marschieren», erzählt Dave Gutfreund. «Die waren keine echten Nazis, wollten aber gerne welche darstellen. Die planten im März 1977 nach Skokie zu kommen und die Gemeinde zu terrorisieren.» Warum gerade Skokie bei Chicago? Dort lebt eine große Gruppe von Holocaust-Geflüchteten und -Überlebenden, was diese «Fake-Nazis» sicher wussten. Dave, der Sohn des Holocaust-Überlebenden Kurt Gutfreund, war damals fünfzehn Jahre alt und imaginierte, den Neonazis mit einem Schießgewehr aufzulauern, die genau die Straße vor seiner Schule frequentieren wollten. Als sein Vater mitbekam, wie Dave dachte, nahm er ihn auf die Seite und redete ihm ins Gewissen. Dave war äußerst zornig, wusste aber eigentlich nicht genau, weswegen, denn sein Vater hatte niemals mit ihm über seine Zeit als Kind in Theresienstadt gesprochen. Es entstand eine sehr ernste Diskussion, über das, was man tun sollte. «Das hatte nichts mit shooting and killing people zu tun», sagt er heute, «sondern mit Toleranz und Friede, mit Bildung.» Kurt gelang es, den (berechtigten) Zorn seines Sohnes zu besänftigen. Die ­Demonstration, gegen die sich der Bürgermeister von Skokie auf legalem Wege erfolgreich wehrte, führte dazu, dass viele Holocaust-Geflüchtete plötzlich den Mund aufmachten und mit ihren Verwandten über Ereignisse sprachen, über die sie bisher geschwiegen hatten. «Die Neonazis marschierten in einer rassistischen Nachbarschaft und verschwanden anschließend», resümiert Dave. «Diese Fake-Nazis haben damals die Holocaust-Überlebenden aufgeweckt.» In Folge entstand die Idee, ein eigenes Holocaust-Museum aufzubauen.

Gestörtes Erinnerungsvermögen.

In der Nacht im Jahre 1942, als sein Vater Heinrich aus Wien nach Maly Trostinec deportiert wurde, waren Kurti und seine Mutter nicht zuhause. Bis heute weiß er nicht, warum. Es ist aber möglich, dass er gerade im Kinderkrankenhaus war, denn die berühmte Krankenschwester Mignon schickte ihnen später Pakete nach Theresienstadt. Kurt kann sich an fast nichts mehr von Theresienstadt erinnern – bestimmt der Selbstschutz eines Fünfjährigen. (Der Film von Roberto Benigni «Das Leben ist schön» berührte ihn sehr). Seine Mutter, die 1929 zur «schönsten Verkäuferin von Wien» gewählt wurde und bisher Mode verkauft hatte, musste im Steinbruch Glimmer splitten. In der Nacht wurde der kleine Kurt aber nicht von seiner Mutter getrennt, denn Theresienstadt war kein «extension camp». Kurtis Vater Heinrich war Goldschmied gewesen, sein Opa Sigmund Graveur. Die Mutter durfte ihren Ehering behalten, denn da der Vater keinen Prägestempel hineingestanzt hatte, hielt der Beute-Nazi den Goldring für Blech und wertlos. Erst mit der Befreiung durch die Russen setzt Kurtis Erinnerungsvermögen ein: «Nach der Befreiung gab es viel Typhus im KZ, so sind wir zu Fuß und per Autostopp nach Prag gelangt. Den kleinen Laster in die Freiheit, mit dem Stoffdach, der Plane, sehe ich noch heute vor mir.»

Gespenster der Erinnerung.

«In Illinois gibt es ein Gesetz, nach dem die Kinder über den Holocaust lernen müssen», erklärt Kurt Gutfreund. «Nicht in allen US-Staaten gibt es so ein Gesetz.» Er spricht zu Gruppen von Schulkindern im Holocaust-Museum über seine Kindheit. Sein Sohn arbeitet dort als Aufsicht, denn als Trump Präsident wurde, wollte er etwas tun. Mit seinen bunten Socken und Schuhen, dem rosa Schal und dem langen Haarzopf sieht Kurt Gutfreund wie ein sehr modisches «altes Kind» aus. Er ließ auch Kinderkleidung für amerikanische Kleiderhaus-Ketten in China produzieren, hatte seine eigenen Designer_innen und wurde erfolgreich im Import/Export-Geschäft.

Im Ilinois Holocaust-Museum and Education Center in Skokie ist man sich sehr bewusst, dass die Zeug_innen der NS-Gewaltherrschaft langsam sterben. Deswegen wurden in einem Riesenprojekt Hologramme der Zeitzeug_innen aufgenommen, die je nach programmierten Stichworten sogar auf Fragen antworten können. Die Shoah-Foundation von Steven Spielberg interviewte Kurt 1995 in ihrer Video-Serie von Überlebenden. Auch über seinen Großvater, Sigmund Gutfreund, der in Treblinka ermordet wurde, erzählte er damals. In Skokie sind es andere Holocaust-Überlebende, die in «3-D-Technologie», so vom Museum beworben, in der gleichen Kleidung jeweils fünf Tage lang interviewt wurden. 2000 Fragen wurden jedem und jeder gestellt. Nun können diese Hologramme antworten. «Ich arbeite im Museum, weil es eine Anti-Depressionspille für mich persönlich ist», meint Dave, «ich habe so viel zurückbekommen.» Im Moment läuft dort eine Bill-Graham-Ausstellung, zu der man seine eigenen Kopfhörer mitbringen soll. Der Musiker Bill Graham wurde als geflüchtetes jüdisches Kind von Amerikaner_innen adoptiert, seine Mutter starb auf dem Weg ins Todeslager Auschwitz.

Eine «sture» Oma.

Bereits mit 14 Jahren entschied sich Kurt Gutfreund dafür, um eine Green Card für Amerika anzusuchen. Fünf Jahre später erhielt er diese dann. Seine Mutter blieb in Wien und ging jeden Abend ins Theater. Sie liebte Wien viel zu sehr, um es zu verlassen. «She was a proper Wiener», resümiert Dave, der seine sture Oma über alles liebte. Kurt fliegt circa fünf Mal im Jahr nach Wien. Nach unserem Gespräch in Wien brechen die beiden nach Jerusalem auf, um eine Konferenz für Holocaust-Überlebende und deren Kinder zu besuchen.

www.ilholocaustmuseum.org