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Seinen Apparat hat sich Kanzler Kurz in jahrelanger Kleinarbeit zusammengestückelt

Nicht der Brillanz seiner Leute wegen sitzt Sebastian Kurz so fest im Sattel.  Des Kanzlers Vertraute verlassen sich vielmehr konsequent auf ihre Kaltschnäuzigkeit – und das auch im eigenen Haus. Eine Bestandsaufnahme von Johanna Jaufer.

Illustration: Karl Berger

Es läuft gut für Sebastian Kurz. Weder das Überwachungspaket noch gestrichene Arbeitslosenprojekte oder der 12-Stunden-Tag haben ihn bislang Sympathien gekostet. Die Umfragen attestieren dem Kanzler nach neun Monaten im Amt sogar mehr Zuspruch denn je. Und das, obwohl eben erst zwei ÖVP-Mandatare den Hut nehmen mussten.

Zum einen war da der Tiroler JVP-Chef Dominik Schrott. Aus den Recherchen des Bloggers Markus Wilhelm erwuchsen zuletzt immer neue Vorwürfe gegen den langjährigen Intimus von Sebastian Kurz. Es ging um gestellte Gewinnspiele, Fake-Likes und versickerte Landesförderungen. Tagelang versuchte Schrott, die Sache «auszusitzen». Seine Aktionen seien «sehr unehrlich» gewesen, Schrott habe aber die richtigen Konsequenzen gezogen, meinte zuerst noch ÖVP-Chef Kurz. Aber es drohten weitere Enthüllungen und schließlich blieb nur der Rückzug. Er gehe vor allem, weil die Vorwürfe zur «schweren Belastung» geworden sind.

Bei Efgani Dönmez war die Sache schneller erledigt. Anfang September beflegelte der umstrittene Ex-Grüne via Twitter eine deutsche Staatssekretärin wüst sexistisch. Schon zwei Tage nach seiner Entgleisung entfernte man ihn aus dem Parlamentsklub. Der 41-Jährige ist seither «wilder Abgeordneter».

Dass selbst die Unregelmäßigkeiten rund um Schrott und Dönmez echolos verhallen, ist der perfekt geölten Macht-Maschinerie von Sebastian Kurz geschuldet. Seinen kleinen zentralistischen Apparat hat sich der Bundeskanzler in jahrelanger Kleinarbeit zusammengestückelt. Sein Team ist gut eingespielt und weniger genial als grenzenlos loyal. Für ihren Boss geben die türkisen Key-Account-Manager_innen alles. Seit Jahren bilden sie ein eingeschworenes Klüngel, das der Regierungsantritt zum mächtigen Küchenkabinett aufgewertet hat.

Unter Kontrolle.

Am Anfang war der Vorzugsstimmenwahlkampf. Bei der Nationalratswahl 2013 ist der Nachwuchs-Werber Philipp Maderthaner erstmals für Sebastian Kurz ins Rennen gegangen. Weil Vorbereitung alles ist, hat er für seinen Chef eine «Grundlagenbewegung» nach US-Vorbild «geschaffen». So beschrieb Maderthaner 2017 dem Branchenblatt HORIZONT das, was andere wohl einfach Zielgruppen-Marketing nennen würden. Wer vor Jahren einen Newsletter bestellt hat, gehört ziemlich sicher auch heute noch zum digitalen Universum von Kurz und wird regelmäßig angeschrieben. Philipp Maderthaner hat viele Leute «zu aktiven Mitstreitern gemacht», wie er es nennt. Fans haben im Wahlkampf «Flyer verteilt» und «Goodies an die Türen ihrer Nachbarn gehängt». Das spart Geld, und es bleibt mehr für das heute so wichtige Online-Marketing übrig.

Entsprechende Durchschlagskraft konnte man bei der Nationalratswahl im vergangenen Jahr nicht zuletzt mithilfe der Software CamBuildR mobilisieren, die man «über die Jahre auch mit dem Beitrag unserer Kunden» entwickelt hat. Also mit Daten und Infos zu deren Surfverhalten. Kurz‘ Team sammelt E-Mail-Adressen, verzeichnet Reaktionen auf Postings, das Klickverhalten in der hauseigenen Team-Kurz-App und lockt mit spielerischen Elementen auf die türkise Website. Das direkte Ansprechen der Anhänger_innen mindert die Abhängigkeit von klassischen Medien. Nicht nur wegen der Glaubwürdigkeitskrise im Journalismus schließlich kann es sich Kurz leisten, ORF-Diskussionen einfach fernzubleiben: Er erreicht seine Schäfchen sowieso per Instagram und Facebook-Video und vermittelt den Eindruck von Leutseligkeit bei genau orchestrierten Analog-Terminen. Das so gewonnene Medienmaterial wird wiederum effizient als Aufputz der folgenden Online-Postings verwertet. Den Rest besorgt Kurz‘ Mann fürs Grobe Gerald Fleischmann. Seit Monaten ist dessen message control in aller Munde, präzise inszenierte Fotos gehören dazu ebenso wie grantige Telefonanrufe in den Redaktionen des Landes.

Elli und Schnölli.

Komplett ist die türkise Marketing-Spitze mit Elisabeth «Elli» Köstinger, dem freundlichen Gesicht der kaltherzigen Bewegung. Köstinger ist dort tätig, wo es einmal um Umwelt gegangen ist – heute heißt das Ministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus. Die Kärntnerin mit Bauernbund-Hintergrund verbreitet vor allem gute Stimmung. Dass eine Frau im reaktionären Männer-Verein eher von kosmetischer Bedeutung ist, dürfte nicht weiter überraschen. Die umgekehrte Rolle kommt Gernot Blümel zu. Der Kulturminister muss nicht jedem gefallen, aber Kurz als enger Vertrauter stets zu Diensten stehen. Gemeinsam konnte man die beiden schon früher in freier Wildbahn bewundern: in jenem Wiener Upperclass-Fitnessstudio, das auch Kurz‘ politischer Ziehvater Michael Spindelegger besucht hat. Einen anderen Weggefährten hat Kurz nach Salzburg beordert. Dort schaut Stefan Schnöll als Verkehrslandesrat dem Landeshauptmann Wilfried Haslauer auf die Finger. Keine schlechte Idee, gilt doch Kurz‘ Verhältnis zu Haslauer als durchwachsen (der hat sich gerade erst gegen die Abschiebung von Lehrlingen ausgesprochen). Wem im Streitfall Stefan «Schnölli» Schnölls Loyalität gelten dürfte, beantwortet ein Blick in die Klatschspalten. Im August war ein Handyvideo auf der Website eines österreichischen Schmierblatts aufgetaucht. Darauf zu sehen: Kanzler Kurz und Stefan Schnöll im Kroatien-Urlaub.

Im Laienorden.

In der Partei hält derweil Bundesgeschäftsführer Axel Melchior dem Chef den Rücken frei – man kennt einander aus JVP-Zeiten. Und auch seinen Stichwortgeber Stefan Steiner kennt Kurz schon ewig. Ihn holte er schon als Integrationsstaatssekretär zu sich ins Büro. Heute setzt Kurz auf seine Mitarbeiterin Kristina Rausch und den Ex-Ö3-Mann Peter «L.» Eppinger, wenn es um «Hilfe vor Ort» geht – also schnelle Social-Media-Einsätze (Rausch) oder Videos für die Welt da draußen (Eppinger). Und wenn es so etwas wie einen Hausgeist im Büro Kurz gibt, dann fällt diese Rolle Bernhard Bonelli zu. Kurz‘ stellvertretender Kabinettschef werkt unauffällig im Hintergrund. Der junge Unternehmensberater war auf der spanischen Managementschule der umstrittenen Extrem-Katholiken vom Laienorden Opus Dei. Kurz und Bonelli sind einander schon lange verbunden: Auf Facebook finden sich Fotos von Bonellis Hochzeit vor fünf Jahren. Keine 30 Leute stehen da im Trachten-Outfit zusammen, zwei davon sind Sebastian Kurz und seine Langzeitfreundin.

Knietief.

Den Posten des stellvertretenden Kabinettschefs teilt sich Bernhard Bonelli mit dem vorhin schon erwähnten Gerald Fleischmann. Ihm hatte die SPÖ im Wahlkampf vorgeworfen, für Informationen aus dem roten Wahlkampf 100.000 Euro geboten zu haben. Unangenehme SPÖ-Interna beherrschten damals die Gratisblätter. Dem Vernehmen nach hatten zwar beide Seiten ungute Fake-Seiten betrieben, um dem politischen Gegner zu schaden. Thema bei den publizistischen Über-Ichs des Landes war aber fast nur Silberstein. Dass Sebastian Kurz im Sommergespräch vor der Nationalratswahl von sich aus beteuert hat, er «würde nie von jemandem eine Spende annehmen, der sich gleichzeitig erwartet, politisch mitreden zu dürfen», und kurz darauf Bettina Glatz-Kremsner – sie spendete 10.000 Euro – zur Regierungsverhandlerin geadelt wurde? Kein Thema. Dass wir nur aus deutschen Medien erfahren, wie Kurz zum IWF, zu möglichen Euro-Reformen und einem europäischen Verteidigungsministerium steht? Tja. Dass Kurz nie sagen musste, wer ihm vor dem 1. Juli 2017 Geld überwiesen hat? Ist eben so. Dass trotz mehr Klein- als Großspender_innen das meiste Geld von Letzteren kommt? Fällt in einem Fernseh-Live-Interview keinem und keiner Fragensteller_in auf. Dass all das unaufgearbeitet bleibt, belegt zweifelsfrei, wo wir heute stehen: knietief im schwarzblauen Sumpf.