Hundsplätze und WinterfischeArtistin

Arbeitslos, das heißt zum Beispiel: an den Rand gedrängt die Freizeit genießen

«Frau Beerenberger, wird er mich unterbrechen, was wollen Sie mir von der Zukunft erzählen? Die Zukunft ist noch nicht gewesen. Da haben Sie Recht, werde ich sagen, aber die Gedanken bestimmen, was kommen wird, ich denke nach vorne in die Zukunft. Meinen Sie, wird er fragen und seine Stirn in Falten legen. Ja, werde ich sagen, ja.» In Anna Weidenholzers Roman über eine Frau, die mit ihrer plötzlichen Arbeitslosigkeit umzugehen hat, geht die Zeit von hinten los. Oder von vorne, je nach Perspektive.Für manche phantastisch (oder dystopisch) anmutende Geschichten braucht es gar keinen Roman die liefert das Leben leider selbst. Etwa eine Szene mit zwei Bohemiens herbstlichen Alters, die in der Otto-Bauer-Gasse vor einem Antiquariat lehnen und uns der Redakteurin, der Fotografin und der porträtierten Autorin mit sexualisierten Untergriffigkeiten zu nahe treten möchten. Durch ihre grau melierten Dreitagesbärte dringen ausgeträumte Bikiniträume an unsere geplagten Ohren. «Daraus lassen sich vielleicht mal Romanfiguren machen», seufzt Anna Weidenholzer. Zum Beispiel ganz funktionale wie Walter. «Ich wollte eine alleinstehende Frau zeichnen. Aber dann war Maria eine Person, die verheiratet ist. So kam der Walter. Und damit war sofort klar, dass der bald wieder weg sein muss.» Also wird Walter schon auf Seite 175 eingesargt. Was ihm ein knapp fünfzigseitiges Leben beschert, denn auf Seite 224 tritt er zum ersten oder letzten Mal auf: «Der Winter tut den Fischen gut», der eben erschienene Roman von Anna Weidenholzer, dreht die Zeitachse einmal herum. Zu Beginn sitzt uns bzw. einem fiktiven Arbeitgeber die Endvierzigerin Maria Beerenberger gegenüber und erzählt ihre Geschichte: «Fangen wir von hinten an.»

Ein ganz normales Leben von hinten nach vorn

Hast du von hinten oder von vorne geschrieben, frage ich. «Von hinten. Ich habe mich immer weiter vorgetastet bei Maria. Ich musste aufpassen was weiß nur ich, und was weiß der Leser, die Leserin.» Stück für Stück wird so das Mosaik Maria zusammengebastelt. Ohne biographische Kausalitäten herzustellen. Maria ist nicht arbeitslos, weil. Maria ist einfach arbeitslos. «Dass sie ein zufriedenes Kind war, war mir von Anfang an klar. Ich wollte nicht so tun, als würde sich irgendwas aus der Kindheit erklären. Niemand sollte sagen können, ach so, die Maria ist so zur Welt gekommen, und darum ist sie so. Für mich ist das ein ganz normales Leben. Und wenn sie an den Rand gedrängt worden ist, dann erst am Schluss. Vorher nicht.»

Das normale Leben der Maria Beerenberger geht folgendermaßen: Als Kind weiß sie Bescheid, wo sie steht. Sie wendet sich immer wieder mal gegen das, was von ihr verlangt wird, verliebt sich in Eduard («Der wäre auch nicht besser gewesen», ist sich Weidenholzer sicher), weint ihm nach, denn sie lebt dort, «wo es regnet und manchmal die Sonne scheint». Sie hat gute Freundinnen, eine Schwester, die ganz in Ordnung ist, ein bisschen zu sehr in Ordnung vielleicht. Sie macht ihre Abschlüsse, findet eine Stelle als Textilfachfrau, behält neunzehn Jahre denselben Arbeitsplatz. Bis «Textil Willert» sie kündigt.

Die Grundlage für Weidenholzers Roman waren Interviews, die sie mit arbeitslosen Frauen geführt hat, mit «Menschen, die diese Erfahrungen haben und dieses Alter. Maria ist ja bedeutend älter als ich.» Ab fünfundvierzig gelte man oder frau als «alt», als «schwer vermittelbar», so Weidenholzer. Das fand sie erschreckend genug, um sich an die Recherchearbeit zu machen. «Ich bin in Linz an einer dieser kleinen Boutiquen vorbeigekommen, wie man sie früher öfter gehabt hat. Wo ältere Frauen einkaufen und auch ältere Frauen arbeiten. Und ich habe mich gefragt, was mit denen passiert, wenn die Boutique zumacht. Wo die was Neues finden.» So entstand Marias Situation, «eine sehr blöde Kombi: das Alter und dann der Beruf».

Die Arbeitslosigkeit kommt unvorbereitet. Von einem Tag auf den anderen, gerade noch Blusen gefaltet, schon die Einvernehmliche in der Hand. Deren Nachteile waren Maria nicht bewusst gewesen. Erst die eine AMS-Beraterin, die, mit der sie sich noch ganz gut versteht, macht sie darauf aufmerksam. Und Maria nickt pflichtbewusst, ja das war mir klar, um niemanden glauben zu machen, sie sei eine, die sich reinlegen lässt. Sie hat den Überblick.

Ob Arbeitslosigkeit, als Freizeit übersetzt, nicht auch was Schönes sein kann? «Das ist ja keine gewählte Situation. Nichts, was sich jemand als Lebensweg vorgestellt hat.» Und zwischen dem Wunsch, nicht lohnarbeiten gehen zu müssen, und der Tatsache, es nicht zugestanden zu bekommen, liegen Welten. «Arbeitspflicht bäh!, Arbeitsrecht yeah!», so hatte es die Initiative «PrekärCafé» einmal auf ihren Demoschildern stehen.

Was sich gehört

Allerdings liest sich Marias Alltag auch selbstbestimmt und ihre Ideen von Zeitgestaltung durchaus nachvollziehbar, wenn in geraumem, der guten Organisation geschuldetem Abstand zur jährlichen Familienfeier die jüngere Schwester in ihre trautes Heim einlädt: «Weihnachten ist das schrecklichste Fest im Jahr, sagt Maria, wenn ihre kleine Schwester Mitte November am Telefon sagt: Du kommst doch wieder zu uns. Maria, hörst du mich, du kommst doch. Manfred freut sich, das Kind freut sich. Was wäre Weihnachten ohne dich. Maria atmet dann ins Telefon, sie sagt eine Weile nichts. Du brauchst gar nicht zu überlegen, was machst du sonst. Ich könnte zu Haus einen gemütlichen Abend verbringen, denkt Maria dann, ich könnte im Bett liegen, ich würde ein paar Gläser Wein trinken, ich könnte fernsehen. Weißt du, ich überlege noch, sagt Maria ins Telefon, vielen Dank für die Einladung.» Und Maria kommt. Macht das Singen, das Essen, das Geschenkeauspacken mit, um sich von Manfred, dem Schwesternmann, zurechtweisen zu lassen: «Das kann doch nicht sein, wie lange suchst du jetzt schon? Wer bezahlt das denn, wir bezahlen das, und wenn wir immer nur bezahlen, wird es irgendwann zu Weihnachten für unsere Kinder keine Geschenke mehr geben.»

Ungemütlich viel geht es Weidenholzers Protagonistin um die Blicke von außen, um Anstand, um das, was sich gehört, und das, was nicht. Was die Leute denken. Was die ehemaligen Arbeitskolleginnen sagen, die unter dem leer gesaugten Wort «Freundinnen» firmieren. Die sie nicht mehr mitreden lassen bei den wöchentlichen Treffen im Gasthaus, bei denen es jetzt um Dinge geht, die sie nicht mehr wissen darf: um neu eingelangte Blusen, unsympathische Kundinnen, Konflikte mit dem Juniorchef. Dass diese erstickende Langweile auch ein Teil dessen ist, was verlustig gegangen ist, sickert nur in minimalen Portionen durch den Text. Was wird die Nachbarin sagen, wenn sie merkt, dass Maria mittags zu Hause ist? Und was die Friseurin, wenn Maria nicht schnell genug die Straßenseite wechselt? Später, dort, wo sich auf Weidenholzers Timeline die Kindheit befindet, wird Maria ihre Mutter fragen: «Kann man sich auch selbst ersticken», und die Antwort wird sein: «Ja, mit einem Plastiksack über dem Kopf, aber das macht man nicht.»

Immer für eine Enttäuschung gut

Anna Weidenholzer hat ihre Karriere als Schriftstellerin (auch eine prekäre Existenz, aber zumindest keine stigmatisierte) nicht geplant, «aber gewünscht». Sie hat nach dem Komparatistikstudium und während sie im Tagesjournalismus jobbte, das Handwerk des Schreibens erlernt. In Leonding, an der Akademie für Literatur, lernte sie nicht nur, mit Worten umzugehen, sondern auch: wohin mit den Texten und wo her mit dem Geld.

Die erste Buchpublikation war gleich ein Erfolg. «Der Platz des Hundes», den Weidenholzer beim Welser Mitter Verlag herausgab, ging nach einem halben Jahr in die zweite Auflage. In acht miteinander verknüpften Erzählungen («Für einen Roman ist es zu dünn. Wenn ich hundert Seiten mehr geschrieben hätte, wäre es vielleicht einer geworden. Aber vor fünf Jahren war ich noch froh, wenn ich eine Geschichte geschrieben habe, die mehr als drei Seiten hatte.») spürt die Autorin Wünschen und Unfähigkeiten im Feld der menschlichen Beziehungen nach. Da gibt es ein paar wenige Momente der Erleichterung, das meiste geht schief, und wenn etwas gelingt, stellt sich schnell heraus: Das war nur ein Traum. Ist es schwer, seriös über Glück, Spaß und Freude zu schreiben? «Ja.» Pause. «Ja. Es schleicht sich immer die Enttäuschung ein. Eine hundert Prozent positive Geschichte zu schreiben, das wäre mir zu platt. Irgendwas würde wahrscheinlich fehlen.» Ich komme nicht umhin, na servas zu denken. Und lege mir Maria Beerenbergers Glück einfach selber zurecht: Sie wird auf das nächste unappetitliche Jobangebot pfeifen. Sie wird Eduard wieder treffen und kein Interesse mehr an ihm haben. Sie wird Weihnachten Wein trinkend im Bett verbringen. Vielleicht noch einmal Beatrix begegnen? Auf jeden Fall glücklich sein. Ihre Zukunft liegt auf der Zeitachse schließlich noch vor der ersten Seite. Dort wo die Sonne scheint und es manchmal auch regnet.

Lesung: Der Winter tut den Fischen gut

26. 9., 19 Uhr

Literaturhaus Wien, Seidengasse 13, 1070 Wien

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