Hungerkünstler_innenArtistin

In der Kunst- und Kulturbranche hat Covid-19 einen Kahlschlag angerichtet. «Wir müssen endlich vom Panik- in den Planungsmodus übergehen», fordert Gerhard Ruiss von der Interessengemeinschaft österreichischer Autorinnen und Autoren.

Text & Foto: Chris Haderer

Schicksalsmonat Mai. Im Vorjahr begannen die Ibiza-Rücktrittsfestspiele, heuer entsagte Ulrike Lunacek der weiteren Tätigkeit als Kulturstaatssekretärin. Über ihr schwebte das Damoklesschwert des Totalversagens hinsichtlich der Covid-19-Maßnahmen im Kunst- und Kulturbereich. Getötet wurde am 15. allerdings der Bote, das inhaltliche Copyright der Nachricht liegt bei Kulturminister und Vizekanzler Werner Kogler. Die fein gesponnene Abschiedsrede von Ulrike Lunacek zerstäubte jeden Zweifel darüber, dass im Ministerium seit Monaten eine gewisse Ratlosigkeit vorherrscht, was genau man mit diesem meist atypisch arbeitenden Menschenschlag anfangen soll. Wo ist Platz für Kunst und Kultur auf einer gesellschaftlichen Skala zwischen marienverziertem Kunsthandwerk und einträglicher Wirtshauskultur? Ist es so, dass die Kultur am Montag aus dem Fernseher träufelt, so wie der Strom aus der Steckdose und die Milch aus der Packung kommen? Dass vom Publikum die im ORF rund um die Woche ausgestellten Staatskünstler_innen als gut versorgt wahrgenommen werden, während die oft prekären Arbeitsverhältnisse, unter denen ein Großteil der künstlerischen und kulturellen Aktivitäten quer durchs Land entsteht, unter dem Wahrnehmungshorizont verschwinden?

An der Armutsgrenze.

Seit Mitte März, als die Covid-19-Ausgehbeschränkungen in Kraft gesetzt wurden, steht die Kulturbranche «praktisch vor dem Nichts», sagt Gerhard Ruiss, Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren. Im Verband vertritt er die Interessen der schreibenden Zunft in der Alpenrepublik, als Autor ist er selbst von den Maßnahmen betroffen. «Im ersten Schritt hat man uns für die Zeit, in der wir unsere Berufe nicht ausüben können, Unterstützungen versprochen. Diese Unterstützungen sind nur sehr zögerlich eingetroffen, bei manchen Betroffenen greifen die Maßnahmen auch gar nicht.» Der Grund: Bei den Hilfszahlungen werden die Einkünfte in den Vorjahrsmonaten als Basis herangezogen – was bei den branchenüblich atypischen Beschäftigungsverhältnissen über das Jahr ein verzerrtes Bild ergibt. Zusammen mit den reduzierten Auftrittsmöglichkeiten ergibt sich für viele Künstler eine düstere Prognose: «Wer noch nicht an der Armutsgrenze gelebt hat, erreicht sie heuer.»

Strukturelle Veränderung.

Das Problem der Literat_innen:«Unsere Autoren leben von Fenstern in den deutschsprachigen Raum», sagt Ruiss. «Diese Fenster heißen Leipziger Buchmesse und Frankfurter Buchmesse. Wenn die beiden wegbrechen und möglicherweise auch die Buch Wien nicht stattfindet, dann geht viel an medialer Aufmerksamkeit für das Lesen verloren. Alle Bücher, die heuer erschienen sind, fallen in ein mehr oder weniger tiefes Loch.» An schwindenden Leser_innenzahlen liegt es diesmal nicht, hauptsächlich ist es die Anonymität, mit der die Bücher auf den Markt kommen; ohne respektvolle Präsentation, ohne wohlwollende Rezensent_innen, ohne Lesetour, wie ein E-Book ohne Schatten.
An tiefgreifende Veränderungen, die durch Ulrike Lunaceks Rücktritt bewirkt werden, glaubt Gerhard Ruiss vorerst nicht: «Von den Voraussetzungen her kann sich nichts ändern, wenn man nicht die Struktur ändert. Und die Struktur, so sieht es derzeit wenigstens aus, soll mit der Neubesetzung einer Staatssekretärin nicht geändert werden.» Dennoch erwartet er sich von Lunacek-Nachfolgerin Andrea Mayer die möglichst schnelle «Umsetzung umfassender Maßnahmen», die dann auch vom Kulturminister mitgetragen werden. «Andrea Mayer steht mit uns vor einer Sondersituation, weil es um Maßnahmen geht, die schon längst ergriffen hätten werden sollen.» Es läge nun an ihr, das «schwache Standbein der Kunst- und Kultur-Sozial- und Steuerrechte sowie der Kunst- und Kulturförderungsgesetze zum starken Standbein der Kunst- und Kulturagenda» zu machen. Andrea Mayers Problem: Staatssekretariate sind durchsetzungsschwach und brauchen den Rückenwind des oder der Minister_in, dem bzw. der sie unterstehen. Und Tatsache ist: Mayers Anliegen werden sich nicht zwangsläufig mit denen von Werner Kogler decken, bei dem weder Kunst und Kultur noch Sport ganz oben auf der Liste stehen, sondern naturgemäß der harmonische Look der Koalition. Aber: Die Bürger_innen lernen jeden Tag etwas Neues, warum nicht auch der Staat?

Forderungen.

Eine Art Forderungskatalog gibt es bereits. Darin finden sich dringend umzusetzende Eckpunkte, wie beispielsweise eine grundlegende Reform des Künstlersozialversicherungsfonds, diverse Erleichterungen für alle Kunst- und Kulturschaffenden und auch eine Aufstockung der Zuschüsse. Manche der angedachten Forderungen befinden sich auch auf Kollisionskurs mit der Alltagspolitik, wie etwa eine Fixzuschussgarantie in Form einer steuerfreien Grundsicherung für Künstler_innen in der Höhe von 1.000 Euro pro Monat ab dem Veranstaltungsverbot bis zur Wiederzulassung. «Die Auszahlung sollten auf die sozialen und kulturellen Einrichtungen der Verwertungsgesellschaften übertragen werden», meint Ruiss. Im Falle der Literatur wäre das der Sozialfonds der Literar-Mechana. Auch die Aufrechterhaltung aller zugesagten Subventionen für das laufende Jahr und Kompensationszahlungen für entgangene Einnahmen bei Kunst- und Kulturbetrieben sind ein Thema, wie auch die Verdoppelung des derzeitigen Kunst- und Kulturbudgets im nächsten Doppelbudget des Bundes.
Was also bleibt Künstler_innen in Zeiten von Covid-19 für Möglichkeiten? Sollen sie in die Politik gehen, zum AMS oder überhaupt umsatteln, beispielsweise auf Sozialhelfer_in? «Künstlerinnen und Künstler haben es zurzeit schwer», sagt Ruiss. Was fehle, sei die Planungssicherheit, aktuell und für die Zeit nach Corona, wann immer die auch beginnt. «Als Verleger weiß ich beispielsweise nicht, ob ich heuer publizierte Bücher noch ins Angebot bringen kann. Ob sie besprochen werden. Eigentlich muss man versuchen, ein bisschen größer zu denken, und gleichzeitig im Auge behalten, wie man diese Situation finanziell überbrückt.» Als Literat sei man derzeit abgekoppelt vom literarischen Leben. «Natürlich kann ich die Zeit nützen und Tag und Nacht schreiben. Das nützt mir aber nicht viel, wenn ich die Texte nicht veröffentlichen kann.» Die Überlebenstipps von Gerhard Ruiss sind daher auch einer gewissen Ohnmacht geschuldet: «Was kann man als Autor und Autorin in der aktuellen Situation tun? Aufrufe unterstützen und verfassen. An seinen Sachen weiterschreiben und sie veröffentlichen, auch wenn man nicht weiß, wo man sie präsentieren kann.» Öffentliche Auftritte und Lesungen seien «für viele Autoren das Um und Auf ihrer Bücher», meint Ruiss. «Die Kunst- und Kulturszene muss hartnäckig bleiben und von der Politik das einfordern, was ohnehin schon verspätet ist: nämlich ernsthaft und nachhaltig zu handeln.» Es sei zu wenig darauf zu vertrauen, dass «es Fonds gibt, die dem Einzelnen Geld zur Verfügung stellen – in Wahrheit aber gerade nur so viel, dass es reicht, Mieten zu zahlen und die dringendsten Lebenserhaltungskosten zu decken. Wir haben nichts davon, dass wir durchgefüttert werden, wenn das überhaupt gelingt, und zugleich werden unsere Berufe, Arbeitsplätze und Perspektiven ruiniert. Es muss also größer gedacht werden. Panik hatten wir schon, jetzt müssen wir endlich vom Krisenmodus in den Planungsmodus übergehen.»

Die IG Autorinnen Autoren im Literaturhaus:
literaturhaus.at