«I bin da Ossi»vorstadt

Lokalmatador

Oswald Miksch erzählt aus seinem Leben. Er ist jetzt 91, doch das ist ihm nicht anzusehen. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)

Keine Hysterie in seiner Stimme. Kein Gram auf die Welt. Keine Angst vor der Politik. Kein Gelangweiltsein. Keine Prahlerei. Vielmehr: Dankbarkeit, dass er so alt werden durfte. Und ein ehrliches Interesse an seinem Gegenüber. Seit ich denken kann, wünsche ich mir einen Großvater. Hätte ich mir einen aussuchen dürfen: Genau so hätte er sein sollen.
Es ist Sommer. Wir sitzen im Schutzhaus am Heustadlwasser im Prater. Im Garten, im Schatten einer 200 Jahre alten Esche. Der Ossi ist bald halb so alt wie der Baum. Es ist der Freitag nach seinem 91. Geburtstag. Und ja, ich darf Ossi zu ihm sagen. Er hat mir gleich das Du-Wort angeboten: «I bin da Ossi.»

1934 delogiert. Im 28er-Jahr in Ottakring geboren, ist Oswald Miksch als Kind einer Arbeiterfamilie mit Vater, Mutter und vier Geschwistern zunächst in einem Zinshaus in der Wattgasse aufgewachsen. Bis zum Februar 1934: «Da wurden wir delogiert. Weil der Hausherr gemeint hat, dass er nicht mit einem Verbrecher unter einem Dach wohnen möchte.»
Sein Vater, ein Verbrecher? Ossi zieht eine Legitimationskarte aus seiner Mappe, die Karte mit der Nr. 24, ausgestellt vom Republikanischen Schutzbund, auf den Namen Leopold Miksch.
Der feine Hausherr hat Vater, Mutter und fünf kleine Kinder von heute auf morgen auf die Straße gesetzt. Wegen einer «nicht opportunen politischen Einstellung» verlor sein Vater auch die Arbeit als Tischler. So war das damals in Wien. Und Oswald Miksch hofft sehr, «dass die Menschen in dieser Stadt so etwas nie wieder erleben müssen».
Wenige erinnern sich gerne an die Jahre im Austrofaschismus, auch der Ossi nicht. Wie auch? «Gemeinsam mit meinem Bruder kam ich zu Pflegeeltern – und unsere Schwestern in ein katholisches Internat in Stadlau. Nur am Sonntag durften wir als Familie wenige Stunden zusammen sein.»
Im März 1938 wurde der erste Teil des politischen Terrors in Wien beendet, und es begann der zweite, noch viel brutalere. Hitlers Machtdemonstration auf dem Heldenplatz hat der nun Zehnjährige nur am Rande mitbekommen: «Der Vater hat gesagt, dass wir dort nicht hingehen.»
Immerhin fand die Familie Miksch wieder zusammen – in einer extrem engen Wohnung in der Brigittenau: «Ich erinnere mich, dass ich zwischen meinen Eltern in einem Bett geschlafen habe. Der Vater hat die Krapfen eines Bäckers auf Kommission ausgetragen. Und die Mutter hat in einer Apotheke die Tegerln für die pharmazeutischen Cremen ausgewaschen.»
Der Zeitzeuge weiß daher auch, wie Hunger schmeckt. Und Armut: «Wenn die Apfelschiffe aus der Wachau anlegten, ist meine Mutter zum Donaukanal hinunter. Sie hat nur angestochene Äpfel gekauft. Für die anderen hatte sie kein Geld.»

1944 erschossen. Alle fünf Kinder mussten dann in den Krieg. «Erzähl’ ihm, was du in Salzburg erlebt hast», sagt nun Ossis Frau, Gerlinde Miksch. Er hat das lange verdrängt, sagt er. Allzu verständlich: «Es war im Dezember 1944. Weil drei Rekruten nicht rechtzeitig von den drei Tagen Weihnachtsurlaub zurück waren, mussten wir alle antreten und zusehen, wie sie erschossen wurden. Sie waren wie ich erst 16. Ich krieg’ heute noch eine Ganslhaut, wenn ich mich daran erinnere.»
Die Nazi-Pädagogik und der Krieg («Beim Floridsdorfer Bahnhof war ich nach einem Bombentreffer verschüttet») haben Spuren hinterlassen. Seine Frau erzählt: «Als ich ihn kennen gelernt habe, war er nicht so locker wie heute.»
Nach dem Krieg beginnt Oswald Miksch in der Brigittenau eine Lehre als Hafner. Ein Handwerk, das ihm Freude bereitet: «Wir sind viel in der Stadt herumgekommen und konnten viele Kamine reparieren.» Die zweite Hälfte seines Berufslebens verbringt er als Sekretär der Gewerkschaft für Druck und Papier.
Früh entdecken seine Frau und er ihr Interesse an der Kultur. 55 Jahre lang haben sie ein Abonnement im Volkstheater. Zur schönen Routine gehört auch, dass man sich nach der Vorstellung mit Bekannten zusammensetzt, ein Glaserl trinkt und über das soeben Erlebte diskutiert.
Schon in Pension, gründet das Ehepaar mit langjährigen Freund_innen und Nachbar_innen dort, wo sich die Wehli­straße ihrem Ende zuneigt und das Heustadlwasser beginnt, den Freudenauer Kulturverein. Oswald Miksch wird die Funktion des Obmanns zugedacht. Was de facto Verantwortung und viel Arbeit bedeutet.
Doch diese Form der Tätigkeit hält den Pensionisten jung: «Begonnen haben wir vor 21 Jahren mit elf Mitgliedern. Heute sind wir 170.» Er hat erneut viel Zeit investiert, um die heutige Veranstaltung im Schutzhaus gelingen zu lassen. Er hat die Künstler_innen engagiert und instruiert, Einladungen an die Leute gebracht, sein Ehrenamtlichenteam bei Laune gehalten und den Schutzhaus-Wirt von Anfang an in alles eingeweiht.
Am Ende eines langen Tages gibt es schönen Applaus. Er gebührt auch dem Ossi und seinem Team: www.freudenauer-kulturverein.at.

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