Cyon Flex ist eine genreübergreifende Künstlerin aus Bristol, seit 2014 lebt sie in Wien. Die 35-Jährige singt und rappt ihre selbst geschriebenen Songs, am liebsten begleitet von DJs, mit denen sie auf der Bühne in Dialog tritt. Ihre Musik, autobiografisch und stark von ihren jamaikanischen Wurzeln beeinflusst, macht sie in erster Linie für sich selbst. Das mit den Preisen «QM&A On Stage» 2020 und «kültüř gemma!» 2021 gekrönte neue Album «Loyalty» der Singer-Songwriterin ist tanzbar wie keines zuvor.
INTERVIEW: SÓNIA MELO
Du hast einen Geburtsnamen, den du nur privat preisgibst. Zion Flex ist dein Künstlerinnenname. Was bedeutet er?
Cyon Flex: Das ist mein Straßenname. Ich bin in Bristol in einer Gegend aufgewachsen, in der alle neben den Geburtsnamen auch einen Straßennamen hatten. Inspiriert im Rastafari-Glauben ist Cyon, in Opposition zu Babylon, die für Welt in der wir leben steht, der Traum, der Ort der Sehnsucht, die Welt, die wir uns wünschen. Ich träume von einer guten Zukunft für marginalisierte Menschen, auf diesem Weg bin ich, das bedeutet Cyon Flex.
Ist dieser Traum auch die Botschaft deiner Songs?
Ich schreibe Lieder über mein eigenes Leben, meine Beziehungen mit anderen Menschen. Meine Mutter hat mich großgezogen, sie ist aus Jamaika und war in England Taxifahrerin. Ich stamme also aus der Arbeiter:innenklasse. Wir hatten nicht viel Geld, als ich aufgewachsen bin, wir wohnten zwar nicht auf der Straße, aber wir waren arm. England ist mehrheitlich weiß, trotz Diversität, es gab wenige People of Color in meinem Schuljahr. Wir waren vier unter 300 Menschen. Es war hart. Meine Mutter ist eine starke Frau, die mir beigebracht hat, auch stark und unabhängig zu sein. Ich sehne mich nach einer freien Gesellschaft, in der alle gleich behandelt und geschätzt werden. Ich will Menschen, die aufgrund ihres Aussehens von der Gesellschaft ausgeschlossen werden, weil sie von Armut und Diskriminierung betroffen sind, Hoffnung geben. Ich singe über meinen Alltag, über meine Existenz, über Akzeptanz und Solidarität.
Bristol ist bekannt für seine lebendige Underground-Musikszene. Wie kommt es dazu, dass du Bristol für Wien getauscht hast?
Bekannte Musiker:innen von mir in England haben eine Show in Wien gemacht, angeleiert von einem Veranstalter von Runtin, ein übernationales Künstler:innennetzwerk und eine Plattform der Subkultur mit Sitz in Wien. Ich war begeistert von dem Flyer, den er gestaltet hat dafür und habe ihn angeschrieben. Wir blieben eine Weile in Kontakt, bis er mich eingeladen hat nach Wien für ein Konzert. Das war 2014. Nach dem Konzert bin ich hier geblieben.
Ich bin in England sehr schlecht behandelt worden wegen meiner Hautfarbe. Als Musikerin sind mir meine Werke gestohlen worden, meine Arbeit wurde dort nicht gewürdigt, meiner Stimme und meiner Kunst ist einfach kein Wert beigemessen worden. Hier kann ich meinen eigenen kulturellen Hintergrund, meine Glaubenssätze bewahren, es ausleben, ohne in die Mehrheitsgesellschaft hineinschmelzen zu müssen. In England bist du entweder Engländer:in oder du bist nichts. Das ist meine persönliche Erfahrung. Weiße, die in England Hip-Hop machen, sind teilweise sehr gemein zu Schwarzen. Das war extrem schmerzhaft für mich. In Österreich erlebe ich das nicht so ausgeprägt.
Die Anfangszeit in Wien war zwar schwierig, weil ich kein Deutsch verstanden habe, ich wusste nichts über die Kultur und über das Land. Ich trat mehreren Frauen-Musikkollektiven bei, habe durch diese Zusammenarbeit viel gelernt. Viele ausgegrenzte Menschen haben mich aufgenommen und mir ein Leben gegeben.
Erfährst du in Wien rassistische Diskriminierung?
Natürlich. Ich bin Schwarz. Ich bin überall Schwarz. Rassismus ist in meinem Leben sehr traumatisch. Ich musste deswegen schon medizinische Unterstützung aufsuchen. Viele Menschen nehmen als erstes meine Hautfarbe wahr und starren. Da ich kurze Haare habe, werde ich auch immer wieder gefragt, auf der Straße, von völlig Unbekannten, ob ich eine Frau oder ein Mann bin. Während dem ersten Lockdown im Frühling 2020 war ein Nachbar, ein älterer Mann, von meiner Präsenz im Haus gestört und beschimpfte mich schreiend mit dem N-Wort, jeden Tag, ich solle raus. Da war mir bewusst, wie wichtig es ist, Deutsch richtig zu verstehen. Als Englischsprachige ist das Erlernen der deutschen Sprache nicht leicht, da die wenigsten Menschen hier Deutsch mit mir sprechen, sondern Englisch. So suchte ich die Definitionen von allen Wörtern heraus, die er sagte. Ich antwortete, dass ich hier bin und bleibe. Er forderte mich auf, ihn anzuzeigen. Ich denke, er bezweifelte, dass ich mich bei der Polizei melde. Mit Schwarzer Hautfarbe und wenigen Deutschkenntnissen, würde ich nicht in der Lage sein, mich zu wehren. Ich tat es aber. Ich machte Videos seiner rassistischen Beschimpfungen und ging zur Polizei damit. Ich erstattete Anzeige gegen ihn, aber er – ist wie vom Erdboden verschwunden.
Rassismus erfahre ich andauernd. Das ist nur ein Beispiel. Ich habe lernen müssen, damit umzugehen, damit zu leben. Ich versuche dagegen anzukämpfen, in meiner Musik, in meiner politischen Arbeit, für Inklusion, für Antidiskriminierung. Ich bin nicht von hier, bin Ausländerin und stolz darauf. Ich bin nicht deswegen limitiert, im Gegenteil, ich sage: Ausländer-Power! Ich ersuche nicht, von der österreichischen Gesellschaft akzeptiert zu werden. Es ist gut, wenn das geschieht, aber mein Glück hängt nicht davon ab. Mein Publikum ist sehr heterogen. Leute mit unterschiedlichen Hintergründen, Glaubensätzen, Ethnien, Herkünften und sexueller Orientierung kommen zu meinen Konzerten, eine Mischung der Gesellschaft in diesem Land, und ich fühle mich beglückt, dass es so ist.
Kannst du von deiner Musik leben?
Ich schreibe Gedichte seit ich neun Jahre alt war. Mit 14 begann ich Musik zu machen, bald darauf, im Jahr 2008, brachte ich mein erstes Album heraus, mit einem Gitarrist: An Exercise In Scales and Balances, das Cover habe ich selber gezeichnet. Eines Tages habe ich eine CD verkauft und mit dem Geld ein Sandwich gekauft. Und das war der Moment, da merkte ich: Ich kann davon leben.
Anfangs in Wien habe ich viele Konzerte entweder gratis oder für wenig Gage gemacht. Bis ich gelernt habe, wie das System funktioniert. Ich lernte inzwischen meinen Wert auch finanziell auszudrücken. Hier bekommen Musiker:innen bei Auftritten wenigstens Getränke und Essen dazu. In England ist es anders, da bekommst du nicht mal einen Drink, geschweige denn ein Sandwich.
Ich war bei deinem Konzert heuer am Popfest und war fasziniert von deiner Performance auf der Bühne. Du hast dich mit dem DJ unterhalten, durch Sprechgesang, dabei habt ihr sehr viel Spaß gehabt. Trittst du lieber solo oder in Begleitung auf?
Ich teile gerne die Bühne mit einem oder einer DJ, ich trete auch alleine auf, aber ich fühle mich wohler, wenn ich die Musik mit einer anderen Person auf der Bühne genießen kann. Für mich ist die Verbindung mit dem/der DJ auf der Bühne sehr wichtig, dieser Dialog ist Teil der Performance, ich singe, spreche auch zu dem Publikum.
Ich mache Musik in erster Linie für mich. Wenn es mir gut geht, dann geht es dem Publikum auch gut. Nur wenn ich mich amüsiere, kann ich auch andere amüsieren.
Ich bin eine genreübergreifende Künstlerin. Ich werde als Sängerin und Rapperin mit elektronischer Musik oder auf anderen Musikinstrumenten beschrieben. Meine Shows sind Live-Konzerte mit viel Improvisation, ich habe ein Repertoire, aber ich lasse Raum für Veränderung, für Bewegung. Ich improvisiere in der Unterhaltung mit dem Publikum: «I host, I toast and I roast them», sage ich immer.
Was ist dein Traum für die österreichische Gesellschaft?
Wenn von Integration in Österreich die Rede ist, spricht man nicht darüber, dass beispielsweise Deutschkurse für viele nicht leistbar sind. Nicht nur das: Der Prozess zur Integration wird erschwert anstatt erleichtert. Es wird auf die persönliche Verantwortung abgewälzt, finanziell abgesichert oder «integriert» zu sein, wer beides nicht ist, sei selber schuld. Es braucht mehr Unterstützung, mehr Solidarität, mehr Sorge füreinander. Und seien wir uns ehrlich: Österreich ist keine Insel, auch wenn viele es irrtümlich glauben. Wir sollten diese Gesellschaft solidarischer gestalten, und zwar für alle. Ob hier geboren oder nicht: Wir sind keine Feinde, wir haben uns einfach noch nicht kennengelernt.
www.cyonflex.com
Instagram @cyonflexofficial
Facebook: cyonflex
Cyon Flex ist am 30. September im Aux Gazelles live zu sehen.
www.auxgazelles.at/events
6.) Rahlgasse 5
LOYALTY
Release 2021
Cyon Flex feat. Def Ill (CD / Digital)
Cover: Ella Bryden Design
Loyalität verschwindet, wenn es um den eigenen Vorteil geht. Cyon Flex betanzt mit dem oberösterreichischen Rapper Def Ill in diesem Album echte Solidarität und gegenseitigen Support.
https://cyonflex.bandcamp.com/
Foto: Molnar Molnarova