Ibsen und der Zynismus der KulturkritikArtistin

Politisches Theater?

Die deutsche Regisseurin Jette Steckel hat am Burgtheater Henrik Ibsens Stück «Ein Volksfeind» auf die Bühne gebracht. Auf großartige Weise schafft es ihre Inszenierung, die Verquickung von Profitinteressen, politischer Macht und gesellschaftlicher Hegemonie darzustellen. Doch dem hiesigen Feuilleton scheint allzu viel Kapitalismuskritik ein Dorn im Auge. Eine Kritik der Theaterkritik von Alexander Behr.

Foto: Georg Soulek / Burgtheater

In einem deutschen Kurstädtchen macht ein Badearzt eine Entdeckung: Im Grundwasser befindet sich «hexavalentes Chrom» – eine äußerst gefährliche Chemikalie. Und die ist da nicht zufällig drin. Dr. Stockmann (gespielt von Joachim Meyerhoff) findet weiters heraus, dass die industrielle Gerberei seines eigenen Schwiegervaters (Ignaz Kirchner) das Gewässer verschmutzt. Dazu kommt, dass Dr. Stockmanns leiblicher Bruder der Bürgermeister der Kleinstadt ist und kein Interesse daran hat, dass der Skandal ans Tageslicht kommt. Seine Argumente: Die Kurgäste sind für die Sicherung der Arbeitsplätze der Stadt viel zu wichtig, außerdem wäre eine Sanierung des Grundwassers zu teuer und würde zu lange dauern. Die lokale Presse zeigt sich zunächst interessiert daran, die wahren Begebenheiten zu publizieren, knickt dann aber vor der politischen Macht des Bürgermeisters ein. Arzt und Bürgermeister stehen einander als verfeindete Brüder gegenüber.

In Jette Steckels Inszenierung des 1883 uraufgeführten Stücks steht die Vergiftung des Grundwassers als Metapher für den Klimawandel. Dr. Stockmanns medizinische und wissenschaftliche Argumente stoßen bei den Vertreter_innen der Kapitalinteressen, der politischen Elite sowie der Presse auf taube Ohren. Schließlich wird ihm sogar offen gedroht. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf: Nämlich dass die wirtschaftliche Prosperität einen Einbruch erleidet – und sei es auf Kosten der Ressourcenschonung und der Gesundheit der Badegäste. Frustriert von der Ignoranz der Mächtigen wendet sich Dr. Stockmann an die Bewohner_innen des Städtchens: Sie sollen aufgeklärt werden und verstehen, was auf dem Spiel steht. Doch die Bevölkerung tritt dem Mahner in Form von bedrohlichen, meterhohen, stummen Gartenzwergen entgegen. Stockmann legt seine gesamte Expertise in die Waagschale, er versucht es mit all seiner Überzeugungskraft. Doch die Gartenzwerge rücken immer näher – sie sind zu stark in die gesellschaftliche Hegemonie eingebunden und erweisen sich als sprachloser, erdrückender Mob. Nach dem Applaus wendet sich Hauptdarsteller Joachim Meyerhoff ans Publikum: Er hält ihm den Spiegel vor und zeigt, dass die Anwesenden selbst die Gartenzwerge sind, die den dringend notwendigen sozial-ökologischen Wandel verhindern.

Absicherung der imperialen Lebensweise.

Mit ihrer Inszenierung zeigt Jette Steckel auf, welche gesellschaftlichen Mechanismen dafür verantwortlich sind, dass der Kampf gegen den Klimawandel unter den aktuellen politischen Vorzeichen nicht gelingen kann. Sie bringt mit den Mitteln des Theaters auf den Punkt, wozu Entfremdung und instrumentelle Vernunft in der Warengesellschaft führen. Damit stützt sie sich auf die Eckpfeiler der Gesellschaftskritik, wie sie von Adorno & Co. eingeschlagen wurden. Die Kulturkritiker Ronald Pohl («Standard») und Norbert Mayer («Presse») sehen das anders: Sie meinen, in Steckels Inszenierung lediglich den erhobenen Zeigefinger der ihnen so verhassten Öko-Moralapostel zu erkennen. Diese Kritik mutet zynisch an, sie ist die diskursive Begleitmusik zur Absicherung des fossil betriebenen Wirtschaftswachstums im Sinne der Kapitalinhaber_innen. Dieser Produktions- und Konsum-Modus, den der Wiener Politikwissenschafter Ulrich Brand als «imperiale Lebensweise» bezeichnet, wird hierzulande von der nun drohenden Regierungskoalition weiter vorangetrieben.

Deshalb war es nur konsequent, dass Joachim Meyerhoff bei seiner Tirade gegen das Publikum H.-C. Strache direkt angriff. Denn in der sich anbahnenden Regierung vereinen sich nun die Interessen des Großkapitals mit denen von überzeugten Leugner_innen des Klimawandels. Es ist also durchaus angebracht, dass sich auch im Kulturbetrieb Widerstand regt. Mayer findet die Agitation des Publikums allerdings zu «ordinär», Pohl wünscht sich gleich «weit weg» und sieht in der Inszenierung nichts weiter als die «Artikulation diffusen Unbehagens». Keine Frage: Man muss die formale Umsetzung des Stücks nicht in jedem Punkt lieben – doch Steckels Arbeit ist zweifelsohne ein enorm wichtiger Beitrag zu einer gesellschaftlichen Debatte, die hohe Dringlichkeit hat. Diese Theaterkritiken allerdings verharren in ihrem Duktus in wohlstandschauvinistischer Selbstvergewisserung. Sie scheinen zu beweisen, wie rabiat das mitteleuropäische Feuilleton aus der liberalen Komfortzone werden kann, wenn seine Verfasser sich in die imaginierte «Öko-Diktatur» gezwungen fühlen.

Vor wenigen Wochen hat der Schweizer Regisseur Milo Rau in Berlin die «General Assembly», das erste Weltparlament inszeniert. Darin kommen Minenarbeiter aus Zentralafrika genauso zu Wort wie Kleinbauern aus Lateinamerika oder Wirtschafts- und Klimaflüchtlinge. Theater wird wieder politisch – und das ist gut so. Denn zu sagen, was ist, bleibt die revolutionärste Tat. Auf diesen Ausspruch von Rosa Luxemburg kann sich Jette Steckel mit Recht berufen.


Henrik Ibsen: Ein Volksfeind

10. Dezember, 19.30 Uhr

23. Dezember, 19 Uhr

Weitere Termine: 2018

1., Burgtheater, Universitätsring 2

www.burgtheater.at