Ich arbeite als Prostituiertetun & lassen

Stephanie Klee über die Hurenbewegung in Deutschland und über ihren "Test" im Stuwerviertel

Hurentag.jpgSeit 1976 wird alljährlich der internationale Hurentag begangen. Damals besetzte eine große Gruppe von Sexarbeiterinnen eine Kirche in Paris, um auf ihre fehlenden Rechte bezüglich ihrer Arbeitssituation aufmerksam zu machen. Über die derzeitigen Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen führten wir ein Gespräch mit Stephanie Klee.

Sie ist seit über 20 Jahren aktive Prostituierte, Obfrau der Hurenbewegung in Deutschland und Mitbegründerin des Bundesverbands für sexuelle Dienstleistungen, der 2002 im Zuge der neuen Arbeitsrechte für Prostituierte begründet wurde und sich ähnlich einer Gewerkschaft für Schutz und Einhaltung von Arbeitsrechten in der Prostitution einsetzt. Stephanie Klees Erläuterungen und Ansichten, ihr Selbstverständnis zu ihrem Beruf sind hier in Auszügen abgedruckt.

Sie arbeiten seit über 27 Jahren in Deutschland als Prostituierte



Ja, ich arbeite seit sehr vielen Jahren und habe mich daneben auch immer für meine beruflichen Belange auf der behördlichen, der politischen Ebene eingesetzt. Daher auch meine vielen Kontakte über Deutschland hinaus. Prostitution wird immer als ein vor allem mit Problemen behaftetes Feld verhandelt, man vergisst leicht, dass Prostitution auch viel mit Amüsieren, mit Festefeiern zu tun hat.

Was genau ist denn die Hurenbewegung?

Die deutsche Hurenbewegung existiert schon seit mehr als 20 Jahren, sie ist auf unterschiedlichen Ebenen entstanden. Begonnen hat sie mit Hydra, einer Beratungsstelle für Prostituierte in Berlin, eine Bewegung, die Ende der 70er Jahre mit Unterstützung von Mitarbeiterinnen des dortigen Gesundheitsamtes initiiert wurde. Auch die Frankfurter Organisation HWG Huren wehren sich gemeinsam spielte ein große Rolle. Die Bewegung mobilisierte in unterschiedlichen Städten und hat das Thema Prostitution zum öffentlichen Thema gemacht. Huren haben gesagt, wir sind es leid, diskriminiert zu werden, wir wollen als berufstätige Frauen und nicht als Opfer gesehen werden. Langsam begann diese Bewegung zu greifen, es gab einen großen Schub durch den ersten Hurenkongress, der Mitte der 80er Jahre in Berlin stattgefunden hat. Seine Konsequenz war die Gründung von unterschiedlichen Hurenprojekten. Alle diese Organisationen haben sich inzwischen sehr etabliert, viele verstehen sich immer noch als Selbsthilfeprojekte. Durch die Finanzierung dieser Projekte aus öffentlichen Kassen ist der Aspekt der Beratung in den Mittelpunkt getreten.

Die Hurenbewegung in Deutschland setzt sich zunächst im Innenverhältnis mit den Gesetzen auseinander: mit Kolleginnen, mit Bordellbetreibern muss diskutiert werden, wie Gesetze verändert werden können auf den unterschiedlichen Ebenen. Das ist ein kompliziertes Feld, ein Teil der Gesetze ist verankert im Strafrecht, ein anderer Teil im Grundrecht, in den Sozialversicherungen, im Gewerberecht, im Baurecht, das Ausländerrecht nicht zu vergessen. Zur Kriminalisierung führen oft Umstände, die in anderen Berufen so nicht zu finden sind. Konkret: Die Vermittlung von Prostituierten war bis zum In-Kraft-treten des Prostitutionsgesetzes im Jahre 2002 in Deutschland verboten, dafür konnte man inhaftiert werden. Es war wichtig, dass wir uns zunächst im Innenverhältnis klar werden wollten, welche Gesetze in der Praxis welche Auswirkungen haben, und dann erst die Forderungen an diejenigen richteten, die letztendlich für neue Gesetze zuständig sind die PolitikerInnen.

Die Forderungen gehen also vor allem dahin, innerhalb der Gesetzgebung etwas zu verändern?

Mein Wunsch als aktive Prostituierte und als eine, die auch schon lange in der Politik aktiv ist, ist natürlich, dass sich die einzelnen Huren und die Bordellbetreiber und auch die Freier mehr an die Öffentlichkeit wagen und für sich selbst sprechen, weil damit letztendlich etwas in Bewegung kommt. Mit dem erkämpften Prostitutionsgesetz, das 2001 verabschiedet worden ist, haben wir erstmals Rechte festgeschriebene Rechte! Beispielsweise dass ich Anspruch auf meinen Lohn habe und dass ich wie alle anderen Erwerbstätigen entscheiden kann, ob ich als selbständige Prostituierte oder als abhängig beschäftigte Prostituierte mit einem Arbeitsvertrag arbeiten möchte, und die Bordellbetreiber, ob sie nun eine Bar oder einen Club führen, dass sie nun ein ordentliches Gewerbe anmelden können. Da ist erstmals etwas in Bewegung gekommen, was uns auf eine Ebene mit seriösen Geschäftsunternehmen stellt. Es braucht allerdings noch viel Zeit, bis das verinnerlicht wird. Vieles von dem, was in anderen Feldern gang und gäbe ist, gibt es in der Prostitution nach wie vor nicht. In fast allen Arbeitsverhältnissen gibt es Arbeitsregelungen, Arbeitsschutzbestimmungen, Verträge über Löhne, über Urlaubszeiten, all das ist festgelegt, darauf kann man sich berufen, man hat darin die Unterstützung der Gewerkschaften, bei Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber kann man das Gericht anrufen, man kann Schulungen machen, um sich innerhalb eines Berufes weiterzubilden. Das alles gibt es in unserem Beruf so gut wie gar nicht obwohl es eine Arbeit ist, obwohl es die gleichen Strukturen gibt wie in jedem anderen Arbeitsbereich auch. Es gibt keine Schulungen, keine Ausbildungen, es gibt keine Standards, es gibt kein Regulativ, wie Prostituierte mit Bordellbetreibern zu verhandeln haben.

Wie sehen Sie den Zusammenhang von Prostitution und struktureller Gewalt?

Was bedeutet Gewalt in dem Kontext? Sind beispielsweise 16 Stunden Arbeit Ausbeutung, wenn eine Sexarbeiterin das freiwillig macht? Ich fahre nächste Woche nach Berlin, arbeite dort eine Woche lang an einer Adresse, wo ich in einem Appartement selbständig meine Arbeitszeit einteilen kann, wie ich will, und ich werde mit Sicherheit 16 Stunden pro Tag arbeiten, weil ich die Kosten für mich minimieren will und den Profit maximieren. Wenn ich das freiwillig mache, kann ich doch nicht dem, der das Appartement zur Verfügung stellt, den Vorwurf von Ausbeutung machen!

Nicht korrekt finde ich, dass ein Kunde mich zwingen kann, ihm für 30 Euro eine sexuelle Dienstleistung anzubieten. Aber de facto kann er es, denn wenn ich es nicht mache, geht er zur Kollegin. Von diesen 30 Euro muss ich die Miete bezahlen, ich muss die Inserate bezahlen, Steuern zahlen, meine private Krankenversicherung, und dann habe ich an mein Alter und meine Brötchen, geschweige denn eine Eintrittskarte fürs Museum noch gar nicht gedacht. Ist nicht auch das Gewalt? Andererseits sagen viele Frauen, sie haben keine Lust, sich in hierarchische Strukturen zu begeben, sich von einem Mann hin- und herschieben zu lassen, um vielleicht mit einem Existenzminimum nach Hause zu gehen, während sie in der Prostitution größtmögliche Freiheiten haben. Die Prostitution ist heute noch d e r Frauenarbeitsplatz, der Frauen viele Freiheiten gibt. Vorteil Nummer eins: Ich kann heute anfangen zu arbeiten und komme abends mit Geld nach Hause, wo gibt es das sonst? In anderen Stellen muss ich erst mal Zeugnisse vorlegen, mich durch einen Wust an Bürokratie kämpfen, mich bewerben, und dann bekomme ich zum nächsten Ersten mein erstes Geld.



Wie würden Sie denn Ihre Arbeit als Sexarbeiterin beschreiben?

Prostitution ist ein weites Arbeitsfeld. Es ist nicht nur ein Die-Beine-breit -Machen, davon müssen wir uns wirklich verabschieden. Es ist a u c h Beine breit machen, aber es hat ganz viel mit Kommunikation zu tun, mit Seelentrösten, mit Theaterspielen oder auch mit Rollenspielen, bis hin zu Wellness und Therapie, und da finden natürlich Frauen mit ihrer Sozialisation als Frau und ihren frauenspezifischen Ausbildungen viel Platz. Sie bringen viel Know-how mit und können in der Prostitution darauf aufbauen. Man muss sich von dem Klischee Straßenstrich entfernen. Ja, es ist die schnelle Nummer, aber nicht nur. Ja, es ist überwiegend was für junge Frauen, aber nicht nur.

 

Ich habe im Stuwerviertel in Wien Kolleginnen getroffen, die hatten mein Alter, ich war dort selbst mit einem Mann zusammen, der mit mir sehr viel Zeit verbracht hat. Der Straßenstrich hier in Wien ist geprägt von Migrantinnen. Warum? Weil sämtliche Barinhaber vor den Kontrollen der Behörden Angst haben. Wenn sie illegale Frauen bei sich arbeiten lassen, werden ihnen die Läden geschlossen. Also haben diese Frauen nur die Möglichkeit, auf der Straße zu stehen. Das ist, meine ich, strukturelle Gewalt. Und für diese Frauen trifft außerdem zu, dass sie ja auch sonst überhaupt keine Alternative haben wer gibt ihnen denn Arbeit? Unsere Gesellschaft sieht immer nur: Alles in der Prostitution ist Dreck … Die Polizisten sind übrigens auch Kunden, sie werden Prostitution auch mit den rigorosesten Kontrollen nicht verhindern,

Daher sollte der Staat sie in ordentliche Bahnen fassen, nicht die Frauen ständig verfolgen und ihnen das Leben schwer machen. Ich finde, der Staat, die Gesellschaft würde sich selbst einen großen Dienst damit erweisen, wenn sie die Doppelmoral zum Thema Prostitution aufgeben würden, wenn sie sich ernsthaft mit dem Thema Prostitution auseinander setzen würden. Ich meine, es gibt da auch Parallelen. Die Ehefrauen mussten ja auch vom Gesetz her gestärkt werden. Das hat zwar nicht dazu geführt, dass die Gewalt in der Ehe abgenommen hat, aber Frauen gehen heute damit anders um, weil sie sich auf gesetzliche Schutzfunktionen berufen können. In unserem Feld dagegen tun der Staat und die gesellschaftlichen Institutionen alles, um uns das Leben schwer zu machen.



Welche zusätzlichen Forderungen hätten Sie hinsichtlich der Rechte von Migrantinnen, die in der Prostitution arbeiten?

Wenn eine illegale Kollegin von der Polizei aufgegriffen wird, wird sie abgeschoben. Die Polizei spielt ein Spiel. Manchmal macht sie die Augen zu sie weiß sehr wohl, wo illegale Frauen arbeiten, und wenn der politische Wind sich dreht, dann verfolgt sie sie und bringt sie in Schubhaft. Die Tatsache, dass der Anteil von Migrantinnen in der Prostitution so groß geworden ist, macht es erforderlich, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Tatsache ist, dass Frauen in der Prostitution mit Gewalt konfrontiert sind, nicht nur mit der Kundengewalt, auch mit der Gewalt durch die staatlichen Strukturen und gesellschaftlichen Bedingungen. Es bräuchte da mehr Professionalisierung. Diese setzt an bei Streetwork, ganz niederschwellig, um das Selbstbewusstsein zu stärken, damit die Frauen, wenn sie in eine Gewaltsituation kommen, damit umgehen können. Dazu gehört natürlich auch die Vermittlung von Rechten, auch von Ausstiegshilfen bei Bedarf, dazu gehört auch Respekt, das ist das Wichtigste überhaupt.

Es gibt ein Beispiel, das ich immer wieder gern erzähle. Das Prostitutionsgesetz war gerade in Kraft getreten, und in einer Wohnung, in der mehrere Kolleginnen arbeiteten, war eine mit einem Gast aufs Zimmer gegangen und hatte 20 Minuten Zeit mit ihm vereinbart. Für eine ausgemachte Summe sollte es ein französisches Vorspiel und Geschlechtsverkehr geben. Kurz bevor die Zeit abgelaufen war, machte die Kollegin den Kunden darauf aufmerksam, er müsse sich beeilen. Der Gast hatte Probleme, er kam nicht zum Orgasmus, die 20 Minuten waren abgelaufen. Daraufhin gab es einen Streit, und der Kunde sagte, er würde die Polizei holen. Da hat die Kollegin im Wissen, dass es das Prostitutionsgesetz gibt, gesagt: Kein Problem, er könne vom Haustelefon die Polizei anrufen, sie sei willkommen. Sie war im Recht, sie hatte genau eingehalten, was vereinbart war, nämlich die Zeit; die Leistung hatte der Kunde selbst nicht in Anspruch genommen. Der Kunde hat davon Abstand genommen, die Polizei zu rufen. Das verstehe ich unter Professionalisierung zu wissen, welche Rechte frau hat, und eine Solidarität unter den Kolleginnen.

Ich muss immer wieder sagen: Ein Hinnehmen von untragbaren Umständen bringt uns nicht weiter, sondern, wie in der Frauenbewegung, wir müssen gemeinsam für unsere Rechte kämpfen. Wir dürfen nicht länger bereit sein, die Rolle des Opfers zu spielen.

Info:

Das Gespräch mit Stephanie Klee kann auch gehört werden im Archiv von Orange 94.00 Freies Radio Wien