„Ich bin auf die Nerven gegangen“tun & lassen

Interview mit Dr. Werner Vogt (Teil 1)

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Alles, was hier gesagt wurde, ist eine Lüge. Wurscht, welchen Zipfel Sie zusammenpacken, es ist alles falsch, was da gesagt wurde. Auch was kommen soll alles falsch. Der Unfallchirurg Dr. Werner Vogt, bis Ende 2006 Pflegeombudsmann der Stadt Wien und Mitinitiator des Sozialstaatsvolksbegehrens, über Ärztestreik, Pflegeskandale, Ökonomiediktat, freien Markt und Zudrehen der von ihm gegründeten Wiener Pflegeombudsstelle.

Herr Dr. Vogt, die Ärzte drohten für den 8. November einen Streik an (kurz vor Redaktionsschluss wurde bekannt, dass er ausgesetzt wurde. Anm. d. Red.) und werfen Gesundheitsministerin Kdolsky vor, ihre Pläne würden einer Verstaatlichung des Gesundheitswesens in Österreich gleichkommen. Das erscheint mir nun aber sehr komisch, dass ausgerechnet eine ÖVP-Ministerin für die Verstaatlichung sein soll?

Verstaatlichung ist für das, was geplant ist, nicht der richtige Ausdruck. Ich verstehe jene, die das Gesundheitssystem in unserem Land schützen wollen, dass also solidarische Leistungen und Zugang für alle erhalten bleiben. Das ist eine allgemeine Definition, und alles, was das stört, würde auch mich stören.



Aber worin besteht der Vorwurf der Verstaatlichung?

Was die da jetzt aufziehen wollen: Jeder, der will, kann praktisch eine Ärztegemeinschaft gründen und Ärzte anstellen, die für ihn arbeiten. Das würde ich als Privatisierung bezeichnen oder als eine Öffnung des Marktes. Das widerspricht wirklich dem, was ich will. Auf dem Weg dorthin hat ja in den letzten Jahren schon so eine Art Verstaatlichung stattgefunden. Bei den Trägern der großen Einrichtungen also Sozialversicherung, Krankenkassen, Pensionsversicherungen, Allgemeine Unfallversicherungsanstalt mit ihren Krankenhäusern und Rehabilitationszentren, die direkt zum Sozialstaat gehören und von den großen Sozialstaatsträgern getragen werden galt immer das Prinzip der Selbstverwaltung. Das ist meiner Meinung weitgehend gestört oder zerstört, weil in den letzten Jahren der Staat hier durchgegriffen oder angeschafft hat, was passieren soll. Die Selbstverwaltung ist fast bedeutungslos geworden. Und das nenne ich Verstaatlichung. Das Endziel, das ich sehe und wo mir völlig schleierhaft ist, weshalb die Sozialdemokraten da mitspielen, ist die Zurückdrängung der öffentlichen Einrichtungen und von allem, was damit zusammenhängt. Das fördert den freien Markt. Und da bin auch ich dagegen.

Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Kostenreduktion gehören zum neoliberalen Alltag. Zieht das so schreckliche Dinge wie etwa in Großbritannien nach sich, wo gerade an die hundert Leute wegen mangelnder Hygiene in einer Gesundheitseinrichtung gestorben sind? Oder wie der Pflegeskandal damals bei uns in Lainz?



Es gibt keine größere Gesundheitsbedrohung als eine Krankenanstalt. Wenn dort bestimmte Dinge wie Hygienevorschriften übersehen werden, weil man sparen will, kann es zu schrecklichen Ereignissen kommen. Das ist lebensgefährlich vor allem in großen Einrichtungen. Wenn das Ökonomiediktat überall Einzug hält und gesagt wird, es darf nur so und so viel kosten, wenn unentwegt mit Rationalisierungen und Einsparungen gearbeitet wird, kommt man zu einer Grenze, wo das entgleist. Gerade bei der Hygiene und Hygiene ist äußerst teuer und aufwändig, wenn man sie strikt einhält hat es schon einen Sinn, die Vorschriften zu erhöhen, einen Hygienebeauftragten von außen zu bestellen, damit man objektiv bleibt. Und es müsste auch ein Fachmann sein.

Wir haben in unserem Krankenhaus jährlich eine Statistik über die Anzahl der Infektionen gemacht. Wenn man, wie ich, mit Knochen arbeitet, darf es zu keiner Infektion kommen. Da darf die Infektionsrate nicht über ein Prozent gehen. Wenn man drüberkommt, gehört der Laden eigentlich geschlossen. Da muss man ganz streng mit Normen und Vorschriften handeln.




Das fördert aber Hierarchien und Bürokratie?

Es muss auch jemanden geben, der das exekutiert. Ein großes Problem ist die Hierarchie in solchen Institutionen, aber eines muss man trotzdem sagen: Eine so große Einrichtung benötigt eine Hierarchie. Es muss jemanden geben, der die Befehlsgewalt hat, also auch die Verantwortung trägt. Wenn der Chef eine Niete ist, dann geht ein Krankenhaus kaputt. Wenn der Chef ein Ehrgeizling ist und was will, dann wird ein Krankenhaus auch wirklich gut. Und wenn der Chef nicht nur den Ehrgeiz hat, medizinisch gut zu sein, sondern auch, dass es den Patienten gut geht, dass sie berücksichtigt und ernst genommen werden, dann ist es ein wirklich gutes Krankenhaus. Alles hängt stark von der Spitze in einem Krankenhaus ab. Das gilt auch für den Pflegebereich wenn das entgleist, wird es schrecklich.

Es gibt keine größere Gesundheitsbedrohung als eine Krankenanstalt

Aber das Pflegepersonal ist überlastet, entmutigt, das führt dann oft zu Laxheit und dazu, dass bestimmte Dinge nicht beachtet werden

Ja, aber das lasse ich nicht gelten. Sie finden auch in großen Einrichtungen, die nicht gut sind, immer wieder Abteilungen, die ausgezeichnet sind. Da gibts dann Leute, die wirklich gut sind. Wenn dort eine gute Stationsschwester ist, dann ist die Station gut. Wenn die nix vorhat und sich laufend ausredet auf die Belastung, wenn das ein allgemeiner Jammer wird, dann sollte man die Abteilung eigentlich schließen. In führender Position ist man verantwortlich, da gibt es nichts zu reden.

Herr Dr. Vogt, sind Sie nun Pflegeombudsmann oder nicht? Auf der Homepage des Sozialministeriums werden Sie als Pflegeombudsmann geführt, andererseits ist diese Stelle Ende letzten Jahres ja abgedreht worden.

Ich war der ernannte Pflegeombudsmann der Stadt Wien und habe diese Pflegeombudsstelle in Lainz aufgebaut. Das ist nach drei Jahren und drei Monaten zugesperrt worden.

Warum?

Es gibt keinen Grund dafür. Alle Gründe, die offiziell genannt werden, sind falsch. Es ist schlicht so, dass ich der Stadträtin Brauner auf die Nerven gegangen bin, vor allem meine Art, öffentlich etwas darzustellen, hat sie nicht ganz ausgehalten. Deswegen hat sie das voll liquidiert.



In Ihrem ausgezeichneten Buch Reise in die Welt der Altenpflege *) sparen Sie ja nicht gerade mit Kritik, das haben manche sicher in die falsche Kehle bekommen?

Ja, natürlich hat das auch damit zu tun, die Frau Brauner hat das schlecht gefunden. Als ich mit der Pflegeombudsstelle begonnen habe, wusste ich, wie es aufhören wird. Ich hätte aber gerne gehabt, dass die Einrichtung bleibt. Das wäre mein Ehrgeiz gewesen, und deshalb habe ich zum Schluss noch sehr gekämpft darum, gerade auch, dass die Frauen ihre Arbeitsplätze behalten.

Und die sind geblieben?

Nein, nein. Alles weg.

Ihre Einrichtung ist mit der Patientenanwaltschaft zusammengelegt worden?

Auch das hat nicht gestimmt. Alles was hier gesagt wurde, ist eine Lüge. Wurscht, welchen Zipfel Sie zusammenpacken, es ist alles falsch, was da gesagt wurde. Auch was kommen soll alles falsch.



Bürgermeister Häupl sagte doch, es soll personell aufgestockt werden?

Es ist alles nicht wahr. Aber das ist jetzt egal. Es war für mich und meine MitarbeiterInnen eine sehr schöne Zeit, es ist ja wunderbar, wenn man etwas gründen, selbst entwickeln und sagen kann, was hier geschieht. Das ist ein Traum. Und wir hatten ja auch großen Zuspruch in drei Jahren rund 10.000 Informationsgespräche und 2200 Interventionen, das ist wirklich angenommen worden

Aber schon in dieser Zeit bin ich vom Sozialministerium gebeten worden, etwas zu tun, nämlich das sog. Pflegetelefon einzurichten. Dort sind sehr engagierte Leute, die etwas wollen. Ich habe einen Vertrag bis Ende 2008, und ich heiße auch so: Pflegeombudsmann am Pflegetelefon. Man wollte den Namen beibehalten, weil er halt bekannt ist. Ich mache dort im Grunde genommen das Gleiche wie vorher, halt unter anderen Bedingungen. Von meiner Zeitbelastung ist es geringer, eigentlich bin ich nur für einen Vormittag einmal wöchentlich eingeteilt, aber von dem, was reinkommt, sind es sicherlich drei Tage.




Das ist ausschließlich eine telefonische Beratung? Oder können die Leute auch zu Ihnen kommen?




Ja, so fängt es an, aber es geht halt weiter. Wir müssen schon mehr tun, dem kann man sich ja nicht versperren, wenn die Leute Hilfe brauchen.

Info:

In der nächsten Ausgabe(216): Zukunftspläne, Demenzkranke und der lange Schatten vom Spiegelgrund.

*) Werner Vogt: Reise in die Welt der Altenpflege. Ein kritisches Tagebuch. Edition Steinbauer, Wien 2005