«Ich bin ein Statement»Artistin

Interview: Samira Dezaki

Du bist erst 18 Jahre alt und hast als Rapperin schon sehr viel gemacht. Auftritte, Videos, Battle-Rap-Veranstaltungen, Tracks … Seit wann machst du das?

Seit ich elf bin. Aber es fühlt sich nicht so an, als hätte ich schon so viel gemacht, ich habe noch einen sehr weiten
Weg vor mir. Ich fokussiere eher auf den Weg als auf das, was ich vielleicht oder vielleicht auch nicht gemacht habe.

Wodurch wurde dein Interesse am Rap geweckt?

Ich bin teilweise im Kinderheim aufgewachsen und habe irgendwann viel Eminem gehört, weil er diese Familienthemen
aufgegriffen hat. Dann habe ich begonnen, selber zu schreiben. Zuerst war alles nur eine Form von Therapie. Wenn es mir schlecht gegangen ist, habe ich Musik gemacht. Aber langsam habe ich dann mein Leben so weit hinbekommen, dass es mir nicht mehr schlecht ging, und seither mache ich es aus Leidenschaft. Und weil ich etwas machen will, das größer ist als ich selber.

Warum gerade in diesem Genre?

Die Besonderheit daran ist, dass man so viele Wörter in kürzester Zeit unterbringen kann, das gibt’s in keinem Genre
sonst. Dadurch kann man sich gut lyrisch ausdrücken. Man kann natürlich auch in einem kurzen Satz viel sagen,
aber für mich war es das Storytelling, das mich fasziniert hat.

Es geht ja in deinen Texten viel um deine eigene Geschichte …

Ja, es ist immer authentisch. Ich schreibe in jedem Lebenszustand. Wenn es mir sehr gut geht, sind die Texte vielleicht eher ein Ego-Trip, wenn es mir schlecht geht, etwas deeper. Aber diese Ego-Texte im Hip-Hop können einem sehr viel Hoffnung geben, wenn man sich gerade schlecht fühlt. Man steigert sich in die gegenteilige Emotion rein, und dadurch geht es einem wieder gut. Und für mich war es immer eher das, und nicht einfach «Ich muss mein Ego aufblasen». Hip-Hop ist auch Ausdruck. Wenn man laut ist, macht das einen Unterschied. Insgesamt bin ich immer schon laut gewesen,
als Mensch. Daher ist es ganz natürlich gekommen, dass ich Hip-Hop mache, und nicht etwas anderes.

Hast du schon ein Plattenlabel?

Nein. Bis jetzt release ich alles selbst, und das habe ich auch weiterhin vor. Wenn ein Label auf mich zukommen sollte, dann müsste ich mir das ganz genau anschauen, ich will nicht einfach irgendetwas unterschreiben. Vor allem, weil ich nicht will, dass irgendjemand etwas zu sagen hat, von dem ich denke, dass er nichts zu sagen haben sollte. Ich mache auch sonst alles, was ich kann, selbst, bei Videos, der Homepage und so weiter.

Eine Textzeile in einem Song, mit dem du 2017 bei einem Battle Rap (Anmerkung: Rapper_innen treten in einen Wettbewerb, das Publikum kürt die Sieger_in), angetreten bist, lautet: «They want me to talk slow, they want me to chill.» Wurde dir so etwas denn schon öfters gesagt?

Als Frau wird einem das immer gesagt. Wenn du eine Frau bist und laut bist, dann sagen alle die ganze Zeit: «Sei leise, sei weniger, mach weniger, geh in deine Ecke und bleib dort.» Genau deswegen bin ich ganz weit weg von dieser Ecke, weil dort will ich nicht sein. Ich glaube, dass dort wenige sein wollen. Und es muss Leute geben, die ihnen zeigen, dass man da nicht sein muss, dass man auch raus kann, aus dieser Ecke.

Gab es Frauen, die dir das gezeigt haben?

Auf jeden Fall. In meiner Kindheit war Lady Gaga für mich so eine Frau. Das war zu der Zeit, als ich im Kinderheim war. Da habe ich von Lady Gaga und später von Nicky Minaj dieses laute Dasein und dieses «Ich arbeite extrem viel, ich bin eine Frau on top of everything» mitbekommen. Das hat mir sehr viel gegeben, als ich so elf, zwölf war. Und meine ältere Schwester. Die ist nicht direkt laut, aber sie macht sehr viel, und alles was sie macht, macht sie sehr gut, steckt all ihre Kraft und Energie hinein und steht voll dahinter. Das ist auch eine Form von Lautsein für mich.

Sexistische Texte sind im Rap bzw. Hip-Hop keine Seltenheit, auch wenn es viele andere gibt. Generell ist das Genre dem Vorwurf der Frauenfeindlichkeit ausgesetzt …

Ja, das gibt es bis heute, das muss man nicht kleinreden, das ist so. Allerdings, Hip-Hop spiegelt die Gesellschaft wider.
Es liegt nicht am Hip-Hop, es liegt an der Gesellschaft, also sehr viel tiefer. Hip-Hop ist halt sehr schnell, und reflektiert immer genau das, was gerade in der Gesellschaft passiert.

Wie definierst du dein Image als Künstlerin? Deine Outfits etwa sind meist cool, sexy und sehr eigenwillig …

Es ist so: Ihr könnt mich anschauen, aber nicht angreifen. Das ist mein Ziel und die Realität. Ich habe immer schon gerne
damit gespielt, das ist so ein Lady-Gaga- Ansatz: Ich habe zwar wenig an, aber nicht, um euch aufzugeilen, sondern weil
es eine Art Ausdruck ist. Das war immer schon in mir drin, dieses Hypersexual- Ding, aber nicht für irgendjemanden, sondern für mich und weil es eben in mir drin ist. Das wollte ich einfach existieren lassen.

In einem Interview sagtest du, dass du früher immer dachtest, als Frau solle man sich eher bedecken …

Ja sicher, ich war ja im Kinderheim im 21. Bezirk, da war klar, dass gewissen Regeln gelten. Wenn man ein bisschen außerhalb der Norm war, wurde man schräg angeschaut. Gleichzeitig war ich auf einer Privatschule, im Lycée Français, wo andere Regeln gegolten haben.

Im Lycée waren bestimmt nicht viele Kinder aus Kinderheimen …

Nein, überhaupt nicht. Das kam von meiner Mutter. Meine Mutter war ein sehr starke Frau, sie hatte zum Teil drei, vier Jobs gleichzeitig, damit sie uns in die Schule schicken kann. Sie wollte immer, dass aus uns mehr wird, dass wir nicht
ihr bürgerliches Arbeiterleben leben müssen. Sie durfte nicht studieren, wurde Krankenschwester, und lebte mit meiner
Schwester und mir als Alleinerziehende im Gemeindebau im 21. Bezirk. Sie durfte nicht studieren, während mein Onkel alle Möglichkeiten hatte. Er hatte ein Haus, alles schön, während meine Mutter im Gemeindebau im 21. Bezirk war, als Alleinerziehende mit meiner Schwester und mir.

Hast du selbst Erfahrungen gemacht, dass es in deiner Branche schwierig ist als Frau?

Wenn man bedenkt, dass Cardi B die erste Frau war, die einen Grammy für das beste Rap-Album bekam, und das 2019.
Ja! Dabei gab es Lauryn Hill und andere vor langer Zeit schon. Aber wenn man bedenkt, wo wir vor 50 Jahren waren, ist einiges passiert. Aber ist noch ein extrem weiter Weg. Ich hasse es zum Beispiel, wenn Leute mir sagen: «Es gibt ja so wenige Frauen, die rappen.» Da sage ich: «Ihr macht einfach nicht die Augen auf, es gibt viele Frauen, die rappen». Aber mir persönlich ist Kritik eher egal. Es gibt einige, die sagen «Ich kann mir keine weibliche Stimme anhören» oder «Warum tut die da auf Gangster», alles Mögliche. Aber ich mache sowieso mein Ding, also ist es mir egal.

Warum singst du auf Englisch?

Ich habe mich nie mit dem Land hier identifizieren können. Englisch war immer schon meine Sprache. In Österreich habe ich mich nie so wohl gefühlt, weil ich immer ein bisschen schneller war als das, was hier passiert. Nicht als Bewertung gemeint, es ist ein schönes Land, wir haben teilweise viele Privilegien hier, aber es geht mir alles zu langsam.

Du hast mit 15 maturiert, weil du zwei Klassen übersprungen hast. In deinem Clip zum Song «Stay in School Kids» sagt ein Mädchen: «Don’t stay in school, graduate.» War das quasi dein Motto?

Das hat eine Freundin von mir gesagt, und ich finde, es stimmt. Alle sagen immer, man soll in der Schule bleiben. Aber eigentlich sollte man schnell davon weg. Ich wollte weg, da es mir nicht so gefiel und es mir leicht fiel. Es gab schon auch einen Leistungsdruck von meiner Mutter, weil die Schule eben teuer war. Zur selben Zeit habe ich begonnen, Poledance zu machen, die Fitnesstrainerin-Ausbildung und die Ausbildung zur Yogalehrerin.

Markenkleidung, Geldscheine, Autos … du spielst gerne mit diesen Hip Hop Klischees. Warum?

Hip-Hop kommt von einer der untersten Gesellschaftsschichten in Amerika, und Reichtum zu zeigen gibt eben Hoffnung. Im Sinne von: «Ich hatte mal nichts, und jetzt habe ich was!» Das ist ein wunderbares Gefühl. Ich glaube, nur Leute in der Mittelschicht verstehen das nicht. Leute, die nichts haben, fühlen das sehr wohl. Gar nicht mal wegen des übertriebenen Drumherums, aber sie streben nach dem Gefühl, nicht Angst haben zu müssen, kein Geld zu haben.

«I am a fucking statement» singst du in einem Song. Ein Statement worauf?

Ein Statement auf die ganze Gesellschaft.

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