«Ich bin noch nicht richtig angekommen …»tun & lassen

Sachbuch: Haftentlassene erzählen

«Wieder eine traumlose Nacht. Bin um 2.30 Uhr schlafen gegangen, und um 7.30 Uhr wieder aufgestanden. Irgendwie bin ich noch nicht richtig im Leben nach der Haft angekommen.» Lars Scherer ist einer von 25 Autor_innen in Christine Hubkas Nach der Haft. Gespräche mit Haftentlassenen. Ihr Zeugnis legen sie zu einem Zeitpunkt ab, zu dem sie bereits zurück in Freiheit sind. Aber ist Freiheit überhaupt der richtige Begriff? Wie gestaltet sich das «Rauskommen»? Ist da jemand, der sich freut? Ein Zimmer, in das man ziehen kann? Was sagt das AMS zu meinem Lebenslauf? Und was denken die zu Teenager_innen herangewachsenen Kinder? Wie geht’s dem Selbstwertgefühl? Hat die Liebesbeziehung die Haftjahre überstanden? Oder ist sie gar an der Herausforderung gewachsen, wie Franziska A. es beschreibt, deren Text mit einem launigen Ausruf beginnt: «OMG! Ich bin verhaftet und rechtskräftig verurteilt worden. […] Wie soll ich das meinen beiden Kindern erklären?»
Christine Hubka, evangelische Pfarrerin und Gefängnisseelsorgerin in Wien, ist bekannt für ihren solidarischen und unverkitschten Blick auf die, die «nach landläufiger Meinung ‹Verbrecher› sind». Sie will den Leser_innen die Chance geben, vermittelt durch die Seiten ihres Buches ins Gespräch mit ihnen zu kommen. Was die Bedingungen der Haft und des Lebens nach der Entlassung betrifft, ist in Österreich «noch Luft nach oben», schreibt der Jurist Wolfgang Gratz in seinem Geleitwort. Die Erzählungen aus der Zeit Nach der Haft geben bei genauer Lektüre eine Menge Hinweise darauf, wo Verbesserungen für alle Beteiligten sinnvoll und ohne großen Aufwand umsetzbar wären. So gut wie jede Auftragsstudie können sie als Politikberatung für die nächste kluge Justizreform gelesen werden.

Christine Hubka: Nach der Haft.
Gespräche mit Haftentlassenen
Mandelbaum 2018, 228 Seiten, 16 Euro