Ich denke immer an die Arbeittun & lassen

Augustiner Krasimir

Bevor ich nach Wien gekommen bin, habe ich in Deutschland auf einer Baustelle gearbeitet. Zehn Stunden am Tag, das gab gutes Geld. Durch Corona gab es plötzlich keine Arbeit mehr, alles hat zugesperrt. Ich musste im Auto schlafen, das wurde sehr kalt. Darum bin ich nach Wien gekommen. Hier ist es besser, denn es gibt soziale Einrichtungen. Dort bekomme ich einen Schlafplatz, Essen und Kleidung und kann duschen.
Ich verkaufe bei einem Spar im zweiten Bezirk, in der Nähe vom Mexikoplatz. Ich würde gern woanders verkaufen, aber die Chefs der Supermärkte wollen das nicht. Sie sagen, es wird viel geklaut. So viele Kund_innen sind freundlich, unterhalten sich mit mir, bringen Essen und Klamotten. Auch die Mitarbeiter_innen vom Spar sind nett, bringen mir Kaffee. Manchmal kommt meine Frau mit. Die Leute fragen sie, ob sie ihnen im Haushalt helfen kann. So findet auch sie Arbeit. Wir sind schon sieben Jahre zusammen, aber kennen uns seit unserer Jugend. Ich bin in Pazardzhik aufgewachsen. Mit 18 habe ich geheiratet und bin zum Militär gegangen. Zu der Zeit war meine damalige Frau schwanger. Wir haben uns scheiden lassen, und ich habe meinen Sohn zu mir genommen. Jetzt ist er 22 und lebt in England bei seiner Mutter. Wir telefonieren regelmäßig. Er hat einen zweijährigen Sohn; jetzt bin ich Opa. Meine Mama ist in Bulgarien. Seit einer Operation ist sie blind, und sie wohnt alleine. Einmal pro Monat schicke ich beiden Geld, wenn ich kann.
Ich habe keine Wahl, ich muss arbeiten gehen, um zu überleben und für meine Familie zu sorgen. Wenn ich nicht gehe, wer geht sonst? Ich denke immer an die Arbeit. Manchmal schlafe ich die ganze Nacht nicht. Ich höre dann Musik – Techno, Elektro, bulgarischen Pop – und schaue aus dem Fenster; das beruhigt den Kopf. Ich schaue jeden Tag bulgarische Nachrichten. Bulgarien ist ein schönes Land, aber die Politik ist nicht schön. Viele Unternehmen wurden privatisiert, alles ist teuer. Wenn ich Regierungschef wäre, würde ich die Preise senken, Fabriken öffnen, Korruption abschaffen, eine gute Pension und Mindestlöhne einführen – sodass alle genug Geld haben können. Ich wünsche mir eine normale Familie und, dass wir alle zusammen wohnen. Ich würde am liebsten in Österreich leben, aber ich habe keine Wohnung hier. Wenn die Notquartiere im Frühjahr schließen, muss ich wieder nach Bulgarien. Wenn ich dort Arbeit hätte, würde ich dort bleiben.

Protokoll: Sylvia Galosi
Foto: Mario Lang

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