Ich glaub, mich tritt ein PferdDichter Innenteil

[Fotos: Privat] Haflinger im Pielachtal. In meinem Erlauftaler Heimatort war der Goganser der letzte Bauer, der noch ein Haflinger-Gespann besaß, weil das letzte und sehr steile Wegstück zu seinem Hof schon bei etwas feuchten Boden von den damals gängigen Traktoren nicht bewältigt werden konnte.

 

Vorneweg: Der Titel ist schnell verhandelt: Obwohl der von mir am Zaum geführte Noriker – solche gutmütigen Kaltblüter hatten wir damals, vor über einem halben Jahrhundert, leider selten am Hof – beim Umackern des frisch abgeernteten Getreidefelds von seinem Furchengang nicht abwich, so befürchtete ich doch, der Ackergaul könnte ausscheren und mir mit dem hufeisenbeschlagenen Pferdefuß auf die nackten Zehen treten. Wäre also das so vielstrapazierte Versprechen «Das Glück liegt am Rücken der Pferde» passender gewesen? Nein, das trifft auf mich gar nicht zu, denn meine Reiterkarriere war schon nach dem ersten Ausritt abgehakt. Das Pferd hatte sofort erkannt, dass auf seinem Rücken ein blutiger Anfänger saß und daher sein Streben, einzig dem Abwurf des Besagten, galt. Dazu bot der tiefe, ausladende Ast des Apfelbaums auf unserer Kuhweide, die wir ob ihrer Form Dreizipf nannten, geradezu eine Einladung. Immerhin kann ich mir zu Gute halten: Ich erkannte die Absicht und umklammerte geistesgegenwärtig mit beiden Händen den Ast, während das Pferd, voller Freude von der Last befreit, weitergaloppierte. Bei meiner Wenigkeit führt mein Nachname, der auf einen besonders geübten Reiterkrieger hindeutet, also in die Irre und ich müsste aber akzeptieren, wenn manche genau hier aus der Geschichte aussteigen.

Aus dem Familienalbum: Mein Bruder hatte offensichtlich weniger Scheu vorm Reiten

 

Mein Vater war jedoch im Zweiten Weltkrieg Meldereiter bei der Deutschen Wehrmacht, ein Foto mit ihm hoch zu Ross hing im Schlafzimmer der Eltern. Näheres über diese Zeit ließ er, wie so viele andere auch, jedoch nicht verlauten.

Als Bub erlebte ich ab 1960 den raschen Austausch der bäuerlichen Transportmittel hautnah mit. Ich habe noch Ochsengespanne, mit dem mächtigen Joch auf den massigen Tieren, vor mir, etwas störrisch, aber immer bedächtig trotteten die, ihrer Männlichkeit beraubten Stiere dahin. Als jedoch die Ochsen aus- und die schnelleren und besser zähmbaren Pferde eingespannt wurden, begann auch schon der Siegeszug der Traktoren und einer Unzahl weiterer landwirtschaftlichen Maschinen.

Ein halbes Wildpferd

Mein Vater erzielte als Viehhändler eigentlich nur mit Pferden manchmal einen Ertrag, indem er ziemlich ungezähmte Gäule einkaufte, mit denen wir Kinder sich herumschlagen mussten und wenn es uns gelang, so ein halbes Wildpferd halbwegs an Anhänger und Pflug zu gewöhnen, verkaufte es der Vater gewinnbringend weiter. Ich erinnere mich an Pferde, die sich von Kindern partout nicht das Kummet1) anlegen lassen wollten. Sie warfen den Kopf hoch und nach hinten. Da half nur ein Trick: Im niederen Vorraum des Stalles stand die Truhe für den Getreideschrot, da stieg einer von uns hinauf und versuchte von dort aus das Pferd zu überlisten. Das gelang nicht immer, weil der Vorraum nieder war, was ein ausgefuchstes Pferd ebenfalls registrierte und den Kopf gegen die Decke drückte. Außerdem mussten wir bei einigen Gäulen den Schweif fürchten. Den sie nicht nur gegen lästige Rossbremsen2) kräftig einsetzten, sondern auch gegen junge Menschlein, die partout ihre Freiheit einschränken wollten. Von «Pferdeflüstern» hatten wir jedenfalls nicht die leiseste Ahnung. Darüber hinaus fällt mir aus dieser Zeit nur ein einziger Fall von einer großen Liebe zu den Pferden ein. Der Otmar*, ein mächtiger Erwachsener, der Zeit seines Lebens ein Kind mit einem großen Kopf geblieben war, wartete wochentags an der Hauptstraße sehnsüchtig auf im Ort eintreffende Pferdefuhrwerke, um diese dann mit überschwänglicher Begeisterung bei ihren Ein- oder Verkaufswegen zu begleiten. Es scheint mir aber auch dunkel in Erinnerung zu sein, dass diese Liebe manchmal nicht erwidert wurde, weil er voller Ungeduld schon zu lange gewartet hatte und die daraus resultierende Aufgeregtheit so manches sensible Pferd nicht goutierte. Der Liebe zu diesen Tieren stand ja auch das Nützlichkeitsdenken im Weg; selbst Leistungssteigerungen versuchte man nicht mit gutmütigem Ansporn, sondern mit natürlichem Doping (Hafer) oder brutaler mit der Peitsche zu erreichen. Soweit ich mich erinnere hatten wir Kinder allerdings rasch gemerkt, mit Peitschenknallen nur besonders störrisches Verhalten zu ernten und setzten sie daher nur sanft zum «Wegweisen» ein.

Pferdestärken

Dass die Leistungsfähigkeit der Automobile in Pferdestärken gemessen wird, macht wegen der großen Bedeutung dieses Tiers in der menschlichen Entwicklungsgeschichte durchaus Sinn. Im Verlauf der Sesshaftwerdung gelang die Domestizierung von zwei Arten. Das Hauspferd entstand aus dem Wildpferd, der Hausesel aus dem Afrikanischen Esel. Beide spielen als Reit- und Lasttier eine wichtige Rolle und erlangten im Gefolge des Menschen eine weltweite Verbreitung. Die Mongolen unter Dschingis Khan und seinen Nachfolgern gründeten auf den Rücken ihrer Pferde das erste Weltreich und die spanischen Eroberer der Inka- und Aztekenreiche brachten diese Reittiere2) in die «Neue Welt», mit. Alsbald schwangen sich auch die Indianer in den Sattel.

Diese Historie kann hier nicht weiter ausgebreitet werden; ergo schnell zurückgeritten ins Mostviertel. Gehöre ich schon der letzten lebenden Generation an, die so was noch erlebt hat? Ab etwa 400 Meter Seehöhe, waren robuste Pferdeschlitten im Winter wochenlang auf Straßen mit festem Schnee&Eis-Belag unterwegs. Man musste nur den Sand, der nur auf den Fahrspuren aufgebracht wurde, etwas seitlich versetzt ausweichen und schon ging es wie geschmiert dahin. Solche Straßenverhältnisse gibt es seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht mehr, Klimawandel sei «Dank». Eine Ausfahrt mit dem Pferdeschlitten an einem besonders kalten Wintertag ist auf meiner vergeistigten Festplatte fest verankert: Ich durfte meinen Vater zu einem Viehhandel mit einem Bauern im Ewixengraben im Nachbarort Wang, wo wir schon fremd waren, begleiten. Diese Erfahrung machte unsere halbstarke Bauernburschenrunde, die dort eines heißen Sommertags zum Baden in der dort aufgestauten Kleinen Erlauf hinfuhr. Umgehend wurden wir von den einheimischen Platzhirschen angestänkert, doch der Fritz* vom Nachbarhof stellte die rhetorische Frage: «Wos woizts?», hochdeutsch «Was wollt ihr?». Im Dialekt bedeutet es, forsch ausgesprochen, mehr, nämlich eine Provokation im Sinne von «Was wollt ihr denn schon? Eine Abreibung vielleicht?» Und der Franz wurde gleich noch deutlicher: «Ein poar Lita Bluat sand schnö verpritschlt.» Absolut nicht die feine Klinge, aber es wirkte und wir erhielten den nötigen Respekt. Zurück zur Schlittenfahrt: Schon bei der Hinfahrt war mir empfindlich kalt, dann zog sich der Handel auch noch in die Länge und wir machten uns erst in der düsteren Dämmerung auf eine zügige Heimfahrt. Eine Laterne spendete nur spärliches Licht, jedenfalls genug um zu erkennen: Das Pferd kam trotz der nun beißenden Kälte an einigen Stellen schier ins Schwitzen, an den weniger durchblutenden Stellen des Felles und den Enden der Mähne setzten sich jedoch Eiskristalle fest. Daheim endlich halberfroren angekommen, stürmte ich wohl gleich in die Küche zum warmen Herd, während mein Vater noch das Pferd versorgen musste. Nun werden die wenigen noch existierenden Pferdeschlitten nur mehr in höhergelegenen Gebieten für den Tourismus verwendet, im steirischen Salzkammergut oder im schweizerischen Oberengadin. Das Mistausführen mit dem Pferdeschlitten wurde allerdings vom technologischen Fortschritt und der mangelnden touristischen Verwertbarkeit hinweggefegt. Darüber hinaus wären aus klimatischen Gründen solche Ausfuhren mangels Bodenfrost und federleichtem Pulverschnee nicht mehr tragfähig. Naja, zu einer Lieblingsbeschäftigung von mir zählte das Mistaufladen trotzdem nicht: Die oberste Schicht am Misthaufen war stets tiefgefroren, die Mistgabel kam kaum durch, aber einmal freigelegt, stieg die Wärme aus den unteren Schicht, dampfte geruchsintensiv in der kalten Luft empor; also kein Ort, um frivole Gespräche zu führen. So eines ist aber auf dem Konzeptalbum Der Watzmann ruft der damals jungen und rotzfrechen Stadtburschen Wolfgang Ambros, Manfred Tauchen und Joesi Prokopetz zu hören.

Sommerfrischler

Eines schönen Tages musste ich wohl einen belämmerten Eindruck hinterlassen haben, als ein Sommerfrischler mit seiner hübschen Tochter bei uns am Hof auftauchte, um unser Pferd im Stall zu sehen. Halt, hätte ich eigentlich rufen müssen, tut mir leid, aber der Stall ist zu schmutzig für ein Mädchen in einem blütenweißen Kleid. Aber ich blieb stumm und erstaunt sah ich, wie das Mädchen das Pferd ausgiebig streichelte. Dem Pferdestand gegenüber befand sich unser stinkendes Plumpsklo. Ich schämte mich wohl in Grund und Boden, aber beim Hinausgehen aus dem dunklen Stall sah ich für kurzen Augenblick, wie das grelle Tageslicht ihr Kleid durchsichtig werden ließ und das löste bei mir wiederum ein ziemlich konträres Gefühl aus. Ein weiterer Besuch blieb jedoch aus, wofür ich durchaus Verständnis hatte.

Mit dem Pferdewagen

An einem anderen Tag, als wir mit dem Pferdewagen auf den Weg in den Markt waren, sagte mein sechs Jahre älterer Bruder zu mir: «Setz dich auf die andere Seite», in einem Tonfall, der mir als kleiner Sturkopf so gar nicht gefiel. Nur weil ich um sechs Jahre jünger war und unser Vater öfters mit Abwesenheit glänzte, musste er sich doch nicht als Beschützer aufspielen, oder? Aus mir bis heute unerklärlichen Gründen und entgegen meinem Trotz folgte ich jedoch seinem Rat und wechselte den Sitz auf der Bordwand. Als wir von unserem Hof die leichte Steigung zur Weidachhöhe passiert und die lange, ziemlich abfallende Gerade Richtung Ort erreicht hatten, verfiel das Pferd in einem rasenden Galopp. Wir steuerten auf den stehenden, von einem Traktor gezogenen Anhänger des Wegmachers3) zu, mein Bruder schaffte es nicht den Gaul zu zügeln bzw. vorbei zu lenken und wir stießen mit großer Geschwindigkeit seitlich zusammen. Mein Bruder wurde durch den Anprall wie von einem Katapult auf den Anhänger des Straßenarbeiters geschleudert – und landete dort weich im schon reichlich geladenen Heu. Zeitgleich wurde ich mit einigen Purzelbäumen über die Straßenböschung in die Wiese darunter versetzt. Geschockt, aber unverletzt blickte ich voller Staunen zurück auf die Straße. Wäre ich auf der anderen Seite gesessen, wäre ich am harten Asphalt gelandet und hätte mir an Kopf und Rumpf zumindest schwere Verletzungen zugezogen. Müßig über einen noch schlimmeren Ausgang nachzudenken, denn dann wären diese Zeilen gar nicht geschrieben worden. Das Pferd wiederum wurde durch den Zusammenstoß vom Eingespanntsein befreit, galoppierte die Straße weiter in den Ort, die abgerissenen Stränge des Geschirrs am Asphalt laufend aufschlagend, und wurde erst im von Baumalleen bestückten Oberen Markt von Ortsbewohnern schweißüberströmt zum Anhalten gebracht.

Für Sonntagsausfahrten besaßen übrigens fast alle Bauern Landauer, ähnlich den Kutschen der Fiaker in Wien. Mit der Motorisierung verlor auch dieses elegante Fahrzeug seinen Reiz, man schämte sich beinahe für die Rückständigkeit, unser Landauer wurde noch einige Zeit im Stadel versteckt, bis er an einem Altwarenhändler billig verscherbelt wurde. Wenige Jahre später haben sich solche Gefährte als Rarität und Tourismusattraktion großer Beliebtheit erfreut und sind deswegen auch beträchtlich im Wert gestiegen.

Nun im fortgeschrittenen Alter bereue ich es, den Pferden auf unserem Hof keine Zuneigung entgegengebracht und ihre Körpersprache ignoriert zu haben. Nicht einmal ein blasser Schimmer von Pferdetherapie reichte zu uns. Dabei wurde bereits im antiken Griechenland Reiten als Maßnahme empfohlen, um körperliche und geistige Gebrechen zu behandeln und vorzubeugen. Die heute gängige Pferdetherapie wurde um 1900 in den USA und Kanada entwickelt und 1969 wurde das erste spezielle Reittherapiezentrum und der entsprechende Verband gegründet. Diese Informationen erreichten mich jedoch erst, als ich bereits zum Stadtmenschen mutierte und längst keine Zügel mehr in den Händen hielt.

Irgendwie abwegig wenn meine nunmehrige Wertschätzung auf Filme und Lieder fußt. Zum Beispiel hat sich die Szene im Film Jeremiah Johnson, wo ein Trapper-Greenhorn in einem kalten Bach vergeblich versucht einen Fisch zu fangen und dann wie aus dem Nichts dieser stolze Indianer auf seinem prächtigen Pferd, an dessen Flanke jede Menge Bachforellen baumeln, auftaucht, in mein Gedächtnis gebrannt, dort erscheinen auch Weiße Pferde an einem Strand, besungen vom unvergesslichen Danzer Schurl und in Universum-Serien sah ich Wildpferde in den Steppen Asiens und Mustangs ungezügelt über nordamerikanische Prärien toben, dabei jeden ihrer Muskel nutzend. Die Rolling Stones wissen in Wild Horses davon ein Lied zu singen. Dramatisch wird diese Idylle aber im Film Misfits zerstört: Clark Gables grausames Geschäft ist es, mit dem Lasso Wildpferde für die Verarbeitung zu Hundefutter einzufangen. Weitere großartige Schauspielleistungen von Marilyn Monroe, Montgomery Clift und Eli Wallach, allesamt Loser und gefangen in vielerlei Problemen, verleihen dem cineastischen Meisterwerk zu Recht Kultstatus. Selbigen könnte auch der Ausritt des feisten nordkoreanischen Tyrannen Kim Jong Un auf einem weißen Schimmel mit vergoldeten Sattel und Saumzeug erlangen, allerdings in grotesker Weise.

Bei einer Rumänien- und Moldawienreise bemerkte ich 2016, dass dort Pferdefuhrwerke noch immer im Alltag und damit auch auf dicht befahrenen Straßen, anzutreffen sind.

 

Abschließend ist anzumerken: Der Abgesang auf die Pferdehaltung im Wienerlied Stellt’s meine Ross‘ in Stall dauerte auch im Mostviertel nur kurz, weil diese edlen Tiere, befeuert von TV- und Buchserien, besonders bei Mädchen und jungen Frauen zur beliebten Freizeit-Attraktion verwandelt wurden und nun in Reiterhöfen Einzug hielten. Die baskische Band Huntza macht diesen Hype in ihrem schmissig dahingaloppierenden Lied Lasai, lasai und dem Video auch für mich nachvollziehbar. Aber auch bei nachhaltiger Forstwirtschaft feiert Equus (auch der Titel eines sehr verstörenden Films) als abgasfreier Schlepper von Baumstämmen ein Comeback. Wobei gleich hinzuzufügen ist, dass diese Art der Holzbringung in den Wäldern der Oberpfalz, einem deutschen Rückzugsgebiet von Mensch und Natur, seit alters her gepflegt und auch nie aufgegeben wurde.

 

  • Namen wurden aus hoffentlich verständlichen Gründen geändert.

 

  • Laut Wikipedia wurde das Kummet bzw. das Geschirr bereits um 500 v. Chr. in China erfunden. Es erreichte Europa aber erst 1.500 Jahre später.
  • Dass sie ihre militärische Überlegenheit zu einem Gutteil ihren «feuerspeienden» Rössern verdankten, ist nach neueren Forschungen eher eine Legende. Als wirksamste Waffe entpuppten sich nämlich Krankheitserreger.
  • Die Pferdebremse (Tabanus sudeticus) ist laut Wikipedia der größte mitteleuropäische Vertreter der Bremsen. Die Tiere werden 19 bis 24,5 Millimeter lang und haben eine graubraune Körpergrundfarbe. Sie fliegen mit einem tiefen und deutlich hörbaren Brummen. Wie bei fast allen Bremsen saugen nur die Weibchen Blut, dies vor allem von Pferden und Rindern. By the way: Seit etlichen Jahrzehnten habe ich keine Bremse mehr gesehen.
  • So wurden früher die Straßenarbeiter genannt. Sie durften das Heu der Straßenböschungen gratis ernten. Ich erinnere mich noch an die Ansicht, dass dieses Heu durch die Abgase der motorisierten Fahrzeuge besonders belastet sei, später stellte sich heraus, dass der damals noch mit Blei kontaminierte Qualm meist über die Böschung hinweg zog und sich erst danach in den angrenzenden Wiesen und Feldern niederließ.