«Ich habe als Kind gelernt, nicht feig zu sein»tun & lassen

Katharina Sasso über eine spät errichtete Gedenkstätte für NS-Justizopfer und Widerstandskämpfer_innen

1200 Widerstandskämpfer_innen sind im Wiener Landesgericht I hingerichtet worden. Eine Reihe von ihnen ist in der sogenannten «Gruppe 40» am Wiener Zentralfriedhof begraben. Am 11. März 2013 wurde die Gruppe 40 per Gesetz und Festakt zur «Nationalen Gedenkstätte der Opfer der NS Justiz» erhoben. Den Widerstandskämpfer_innen gegen den Nationalsozialismus wurde damit eine sehr späte Anerkennung des offiziellen Österreich zuteil. Eine der wenigen heute noch lebenden Zeitzeuginnen ist Katharina Sasso. Sie entging als sechzehnjährige Widerstandskämpferin nur knapp dem Todesurteil der Naziunrechtsjustiz. Unermüdlich hat sie sich mit anderen für ein würdiges Andenken an die Ermordeten eingesetzt.

Was bedeutet die Errichtung dieser Gedenkstätte für die heute 86-jährige ehemalige Widerstandskämpferin und KZ Ravensbrück-Überlebende Katharina Sasso?

Es ist mir ein große Genugtuung, diesen Tag, an dem die Gruppe 40 zu einer «Nationalen Gedenkstätte» eingerichtet wurde, noch erleben zu dürfen. Vor allem möchte ich den vielen Menschen, die mitgeholfen haben, das zu erreichen, danken!

Die Namen der Ermordeten wären vergessen worden, wenn es nicht zu dieser Gedenkstätte gekommen wäre. Sie waren und sind die Garanten dafür, dass wir 1955 den Staatsvertrag bekommen haben. Sie waren der Nachweis, dass Österreicher_innen nicht nur Täter, Täterinnen, sondern auch Widerstandskämpfer_innen und Opfer waren.

Ich habe sehr viele Widerstandskämpfer über meine Eltern getroffen, mehrere der Jungen habe ich selbst in den Nazigefängnissen kennengelernt, und ich kann sagen, dass es sich bei all diesen Ermordeten um sehr anständige und wertvolle Menschen gehandelt hat.

Viele, vor allem junge Österreicher und Österreicherinnen, stellen die berechtigte Frage, wieso die politisch Verantwortlichen in Österreich über sechs Jahrzehnte nach dem Nazigrauen gebraucht haben, um den Menschen, die mit ihrem Leben für dieses Land bezahlt haben, diese Gedenkstätte zu errichten?

Als wir 1945 als die letzten überlebenden Antifaschist_innen nach Hause kamen, waren wir ja von den vielen Tätern und Jasager_innen umgeben. Schon bei den ersten Wahlen ging es um die Stimmen der Nazis. Uns ist es wirklich gelungen, große Verbrecher der Gestapo oder anderer Nazidienststellen zu finden und anzuzeigen. Man hat ihnen nur zögerlich die Prozesse gemacht, sie später dann sogar begnadigt, denn ob Richter oder Staatsanwälte, alle waren in diese verbrecherische Zeit eingebunden und haben durch Freunderlwirtschaft einander gedeckt, da sie ja Kumpanen waren.

Sie haben jahrzehntelang für den Erhalt und die Errichtung einer «Nationalen Gedenkstätte der Nazijustiz» gearbeitet.

Die Nazigeneration hat heute nicht mehr das Sagen, so war es heute möglich, die Gedenkstätte für die Widerstandskämpfer_innen am Zentralfriedhof zu errichten. Es sind die jungen Menschen der heutigen Generation, die Fragen stellen und erkennen, dass die Generation ihrer Großeltern und Eltern in die Naziideologie eingebunden waren. Deswegen sprechen ja die ehemaligen Täter_innen und Mitläufer_innen nicht von der Befreiung 1945, sondern von der Besetzung Österreichs!

Katharina Sasso, Sie sind in einer politisch antifaschistischen Arbeiterfamilie in Wien aufgewachsen.

Man kann von einem Kind nicht annehmen, dass es eine politische Reife mitbringt. Ich wurde von meinen Eltern und meiner Großmutter zur Menschlichkeit erzogen Bei ihnen lernte ich, nicht feig zu sein; ich wehrte mich gegen Ungerechtigkeit und Menschenverachtung.

1934 habe ich als Kind gesehen, dass großes Unrecht geschah, und 1938 – ich war zehn Jahre – erlebte ich die rassistische Einstellung der Lehrerin gegen Kinder, die jüdisch waren. Dies hat mich bewogen, gegen diese Ideologie aufzustehen.

Mein Vater musste 1939 einrücken. Meine Mutter ist 1942 verstorben. Beide waren im kommunistischen Widerstand verankert. Mir ist es um Gerechtigkeit gegangen, wir haben Flugblätter mit einem Mitangeklagten gedruckt und verteilt. Er wurde zum Tode verurteilt. Ich habe nicht weggeschaut, obwohl ich damals erst fünfzehn Jahre alt war, sondern habe versucht, denjenigen zu helfen, die bereits inhaftiert waren.

Im August 1942 wurden Sie von einem Spitzel verraten und von der Gestapo festgenommen, gedemütigt, gequält und inhaftiert.

Als Jugendliche von sechzehn Jahren wurde ich auf der Rossauer Lände, Zelle 92, inhaftiert. Die Einzelhaft und die fast täglichen schlimmen Verhöre durch die Gestapo am Morzinplatz vergesse ich nie. Meiner Meinung nach hatten sie gedacht, aus einem 16-jährigen Mädchen mehr herauszubringen zu können. Sie haben sich getäuscht! Erst später kam ich in eine Zelle, in der sich drei Frauen befanden – später in die Schiffamtsgasse, wo ich die wunderbarsten Menschen kennenlernte. Sie wurden fast alle hingerichtet. Im Jänner 1943 kam ich in das Landesgericht 1. Ich war über den Todeszellen der Frauen interniert. Was ich in den fünfzehn Monaten, die ich dort verbringen musste, erlebt habe, ist in mir bis heute so stark präsent, dass wohl jeder verstehen kann, dass diese tapferen und mutigen Menschen, die dort brutal geköpft und später in der Gruppe 40 am Zentralfriedhof verscharrt wurden, nie vergessen werden dürfen. Nicht nur für mich, sondern für alle Österreicher_innen ist die Gedenkstätte eine späte, aber notwendige Anerkennung der Opfer.

Sie waren immer zur Stelle, auch dann, als diese jetzige Grabstätte, die als «Kriegsgrabstätte» geführt wurde, aus Spargründen vom Innenministerium hätte geschliffen werden sollen.

Viele, viele haben mitgeholfen, diese Gedenkstätte zu erhalten und zu schützen. Deswegen bin ich dankbar dass wir eine würdige Gedenkstätte der Gruppe 40 hier am Zentralfriedhof für die Nachwelt erhalten.

Wie viel Leid dieser Ort in sich birgt, kann man mit Worten nicht widergeben. Weder das Leid der hier verscharrten Opfer noch das der Angehörigen. Die Opfer, bewusst auf ihre Hinrichtung monatelang wartend, gefesselt, gedemütigt, wissend, dass daheim ihre liebsten Ehepartner, Kinder, Eltern, Geschwister nicht nur verzweifelt, sondern auch verachtet und in Not leben. Ich war vor dem KZ Ravensbrück fünfzig Monate im Landesgericht 1 über den Todeszellen im E-Trakt. Der unvergessliche laute Schmerz von Maria Fischer um ihr Kind, als sie zur Hinrichtung geführt wurde – sie wurde am gleichen Tag wie Schwester Restituta hingerichtet. Das Erinnern an eine Brotration aus der Todeszelle von Käthe Odwody, und Anna Muzik, für uns zwei Jüngsten, mich und Anni Gräf mit den Worten: «Ihr braucht es nötiger.» Anni Gräf war übrigens die Jüngste von den Frauen, die hingerichtet wurde, sie waren kaum über achtzehn Jahre alt. Hingerichtet wurde auch die schwerkranke Resi Klostermann, Poldi Kowarek, Friedl Hartmann, Poldi Sika, mein Onkel Johann Stumpacher, Johann Sokop, Karl Kriwanek, die Ehepaare Graf und Gaider, Schuhmann und Hilgard aus Hartheim, und viele, viele mehr wurden hingerichtet, starben unter dem Schafott für Österreich.

Ich habe noch eine große Bitte: Es sollen auch die Namen jener hier verewigt werden, die exhumiert wurden, sowie derer, die nach Deutschland zum Ermorden verschleppt wurden. Ebenso wie die Widerstandskämpfer Dr. Springer, die beiden Wiener Polizisten Denniger und Schneider und der mutige Franz Jägerstätter. Auch die in Graz geköpften Widerstandkämpfer_innen starben für die Freiheit Österreichs und dürfen und sollen nicht vergessen werden.

1945 haben wir Überlebende aus den Zuchthäusern, Gefängnissen und KZs geschworen, niemals zu vergessen, nie wieder Faschismus. Ich denke, es ist die größte Ehre, Anerkennung und Dank, die wir den Ermordeten erweisen können, zu versprechen, alles zu tun, dass unsere Heimat Österreich frei und demokratisch bleibt.

 

Aufgezeichnet von Andreas Novoszel