«Ich habe immer gedacht, ich habe kein Taktgefühl»Artistin

Seit rund acht Jahren besteht das DJ-Kollektiv Brunnhilde. Darüber, wie die derzeit acht Mitglieder, alle Frauen, die Wiener Musik-Szene bereichern, berichtet Viktoria Nedwed (Text und Foto).

Bild: Leonie Srch, alias DJ I-ONIZE vom Kollektiv Brunnhilde: alles verkabelt für den bevorstehenden DJ-Workshop

Über das leise Intro legt sich ein dumpfer Bass, erst schlägt er langsam wie ein Herzschlag, dann erhöht sich das Tempo. Spannung baut sich auf, das Publikum bewegt sich immer schneller, dann kommt der Drop. Wer hinterm DJ-Pult steht, spielt keine Rolle, Hauptsache der Track stimmt.

Die meisten Stände am Viktor-Adler-Markt haben an diesem Mittwoch vergangenen Oktober schon längst ihre Läden heruntergelassen. Nur in wenigen Gastlokalen brennt noch Licht, sie haben heute länger geöffnet, morgen ist Feiertag. In einem Stand fängt das Geschehen jedoch gerade erst an, er trägt die Nummer 129. Von außen kann man einer Frau dabei zusehen, wie sie meterlange Kabel aus Taschen zieht und schwere Geräte in die richtige Position bringt. Leonie ist gerade dabei, alles für den bevorstehenden DJ-Workshop vorzubereiten.

Leonie Srch, alias DJ I-ONIZE, eine Wortschöpfung, die ihre Vorliebe für Synthesizer mit Ionen und dem englischen Begriff «on» vereint, ist 51 Jahre alt und Teil des DJ- Kollektivs Brunnhilde. Das Kollektiv Brunnhilde ist ein Zusammenschluss weiblicher DJs und besteht derzeit aus acht Mitgliedern. Sie alle haben unterschiedliche Migrationshintergründe, Muttersprachen und Vorgeschichten. Was sie vereint, ist die Musik.

Musik kennt kein Alter.

Brunnhilde fand seinen Ursprung in einem Projekt der Brunnenpassage – dem Social Art Space der Caritas in Ottakring. Im Jahr 2010 startete die Brunnenpassage das Projekt Yes! She can DJ, eine Intensivausbildung, in der Frauen das Handwerk des DJing und die Theorie, die dahinter steckt, erlernen konnten. Die Ausbildung erstreckte sich über ein halbes Jahr. Kamila Pawlowska war eine der jungen Frauen, die dieses Angebot wahrgenommen haben. «Als das Projekt zu Ende war, wollten wir gar nicht aufhören. Wir haben so tolle Sachen gelernt, und es wäre schade gewesen. Wir waren damals 20 Mädchen und haben das Kollektiv Brunnhilde gegründet», erzählt Kamila. Die starke Brunhild, eine Sagenfigur aus der germanischen Mythologie, schien zu den jungen Frauen zu passen, die sich zusammenschlossen, um eine männerdominierte Szene zu erobern. In Kombination mit dem Ort, an dem alles begann, der Brunnenpassage, war der Name schnell gefunden. In den darauffolgenden acht Jahren spielt Brunnhilde auf über 400 Veranstaltungen, meist mit gesellschaftspolitischem Hintergrund. Nachdem sie einige Jahre Erfahrung gesammelt hatten, leiteten Kamila Pawlowska und DJ-Kollegin CounTessa 2016 ein neues Projekt in die Wege. Eine Intensivausbildung, ähnlich der, an der sie einst teilgenommen hatten. Daraus entwickelte sich eine neue Generation an Brunnhilde-DJs, unter ihnen Leonie.

Leonie interessiert sich seit jeher für Musik und Technik. Schon in ihrer Kindheit hörte sie gerne Radio. Am liebsten mochte sie die Sendungen am Wochenende, wenn eine Stunde lang nur Musik gespielt wurde, ohne Unterbrechung durch Wortmeldungen. Diese Sendungen hat sie oft mit Tonbandgeräten aufgezeichnet. Damals war ihr Name noch Klemens. Trotz ihrer Liebe zur Musik hat sie sich erst im Alter von 47 Jahren dazu entschlossen, ihrer Berufung, wie sie das Auflegen nennt, nachzugehen. «Ich habe mir nie zugetraut, selbst etwas mit Musik zu machen. Ich habe immer gedacht, ich habe kein Taktgefühl.» Doch das habe sich schnell geändert, als sie den ersten DJ-Schnupperworkshop, ein Angebot des Kollektivs, besucht hatte. Heute hält sie diese Workshops selbst ab: «Ich möchte weitergeben, was ich gelernt habe. Mein Thema ist vor allem Digitalisierung und IT.» Wenn sie Workshops leitet, legt sie viel Wert darauf, die Technik so ausführlich, wie es der Zeitrahmen zulässt, zu erklären. Bevor es mit dem Auflegen losgeht, sollen die Teilnehmerinnen versuchen, alle Geräte zu benennen und miteinander zu verkabeln. Dabei wird von der Quelle ausgegangen: Das Mischpult wird mit den beiden Playern und den Boxen verbunden, jedes Gerät braucht einen eigenen Stromanschluss.

Leonie erklärt, dass es darum geht, sich selbst helfen zu können, auf niemanden angewiesen zu sein.

Vielfalt in der Clubszene.

Reine DJ-Frauenkollektive wie Brunnhilde sind die Ausnahme von der Regel. Und ob einzeln oder im Kollektiv – weibliche DJs haben es nicht immer leicht, gebucht zu werden. Im Rahmen von Facts, einem Projekt von female:pressure, erscheint alle zwei Jahre eine neue Statistik, die den Anteil der weiblichen Acts auf Festivals weltweit beleuchtet. Im Ergebnis hat sich bisher jedes Mal herausgestellt, dass weibliche DJs im Vergleich zu männlichen deutlich unterrepräsentiert sind. Female:pressure ist eine Online-Datenbank für weibliche, transidente und geschlechtsneutrale Künstlerinnen* aus dem Bereich der elektronischen Musik und der digitalen Künste. Die Plattform feierte heuer ihr 20-jähriges Bestehen und wurde von Susanne Kirchmayr gegründet, die unter dem Namen Electric Indigo als DJ und Produzentin internationale Bekanntheit erlangte. Frauen in der Branche können sich durch die Plattform vernetzen, nach außen soll vor allem deren Sichtbarkeit gefördert werden.

Eine weit verbreitete Annahme unter Musikveranstaltern ist nämlich, dass es zu wenige weibliche DJs gibt und es somit schwer sei, jemand passenden zu finden. Female:pressure vermittelt mit seinen 2250 Mitgliederinnen aus 75 verschiedenen Ländern ein anderes Bild.

Mit Femdex startete Hannah Christ, selbst Veranstalterin und als DJ unter dem Namen Minou Oram aktiv, vor zwei Jahren eine Wiener Initiative mit ähnlichem Angebot.

Ausschlaggebend dafür war ihr Artikel aus dem Jahr 2016 für das PW-Magazin, eine Wiener Online-Zeitschrift für Kunst und Kultur. Dafür analysierte sie die Geschlechterverhältnisse in den Line-ups von 29 Wiener Veranstaltungs-Kollektiven, die Events aus den Musikbereichen House, Techno, Wave, Bass und Experimental Electronic organisieren. Die daraus hervorgegangene Statistik, veröffentlicht auf der Femdex-Website, veranschaulicht, dass in einem Zeitraum von zwei Jahren nur 9,3 % aller gebuchten Acts Frauen waren. Hannah Christ zeigt mit dieser Recherche fehlende Vielfalt in der Wiener Clubszene auf. In ihrem Artikel formuliert sie einige Lösungsansätze. Einerseits soll Femdex, neben female:pressure, als weiteres Medium die Sichtbarkeit von Frauen in der elektronischen Musikszene stärken. Außerdem sei es wichtig, Panels abzuhalten und Workshops für Frauen anzubieten, um den Zugang zu erleichtern.

Große Pläne.

Neben Auftritten auf Veranstaltungen von karitativen und gesellschaftspolitischen Events bilden regelmäßige Workshops die Haupttätigkeit des Kollektivs Brunnhilde. Der Andrang ist enorm – hier wird deutlich, dass solche Angebote auf große Nachfrage treffen. Bei einem Schnupperworkshop Ende November im Keller des Café Club International haben sich 24 lernbereite Frauen zusammengefunden, um ihre ersten DJ-Erfahrungen zu machen. Wie die Mitglieder von Brunnhilde sind auch die Teilnehmerinnen bunt gemischt, sprechen unterschiedliche Sprachen und kommunizieren vor allem durch Gesten. Kamila begleitet individuell bei den ersten Übergängen. «Deutsch ist nicht meine Muttersprache, deshalb waren die Workshops anfangs schwierig für mich. Ich hab’s aber immer wieder probiert und hab‘ dann gemerkt, dass die Sprache gar nicht so wichtig ist. Es ist viel wichtiger, dass du authentisch bist und es so erklärst, wie du es kannst», so Kamila.

Unterdessen hat sich um Leonie ein Kreis interessierter angehender DJs gebildet, die Fragen finden gar kein Ende. «Hast du vor, irgendwann deine eigene Musik zu produzieren?», möchte eine Teilnehmerin wissen. «Ich möchte irgendwann unbedingt meine eigene Musik auflegen», sagt Leonie und strahlt.