«Ich hatte schon als Kind kommunistische Ansichten»Artistin

Auf Spurensuche im Jüdischen Museum

Noch bis 13. Mai ist die Ausstellung Genosse. Jude. Wir wollten nur das Paradies auf Erden im Jüdischen Museum Wien zu sehen. Kerstin Kellermann hat sie ­gemeinsam mit dem 85-jährigen Joel Spitzer (Name von der Redaktion geändert, Anm.) besucht.

Schönstes Sonnenlicht.

Ein leichter Wind weht durch Wien. Quer durch die Stadt zu Fuß in das Jüdische Museum. Mit bester Laune. Den 85-jährigen Shoah-Flüchtling Joel Spitzer betrifft das Thema der Ausstellung Genosse. Jude persönlich. «Ich war immer gläubig und skeptisch zugleich. Mein Vater war Sozialist. Er erklärte mir, dass die KPÖ 1938 für den Anschluss gewesen wäre. Das hat nicht gestimmt. Viele Sozis sind hinüber zu den Nazis, die haben sich alle umgedreht, dem Wind nach. Lenin hat vor Stalin gewarnt.» Er hätte eine «einsame Stellung» gehabt. In der bilderreichen Ausstellung trifft er gleich auf Bekannte: «Mein Vater hat mir von diesem Herrn Koritschoner erzählt, einem Juden, der 1936 verhaftet und nach Deutschland ausgewiesen wurde. Das hat gestimmt.» Nachdenkpause. Dann folgen Kopfschütteln und eine abwehrende Handbewegung. «Das mit den Sozialfaschisten ist alles so ein Blödsinn. Das hat man schon 1928 erfunden, und das wirkt bis heute nach. Wir leben in einer Halbwahrheit. Ich habe heute die Rede des neuen Finanzministers gehört, die mit der angeblich ersten Regierung ohne Schulden.»

In opulenter hell- und weinroter Ausstellungsarchitektur gehalten, werden im Jüdischen Museum dicht auf dicht die Entwicklungen in der Sowjetunion und in Österreich gezeigt. Mit vielen Plakaten, Malerei und Architekturbeispielen. Spitzer betrachtet das Modell einer Lenin-Tribüne, die wie ein Kran aussieht.

An die Revolution glauben.

«Damals lebten fast 200.000 Juden in Wien, wie viele sind heute noch da? So wenige.» Wieder die abwehrende Handbewegung. «Meine beiden Urgroßeltern wurden ermordet. Nur mein Großonkel überlebte. Ein Nazi hat ihn bewundert und ihm ein Visum nach Montevideo verschafft. Sogar ein Auto nach Triest stellte er ihm. Mein Großvater wanderte 1934 nach Palästina aus.» Der Großonkel hatte ein Handwagerl am Markt und verkaufte Damenunterwäsche, seine Frau war Schneiderin. «Der dritte Bruder war Reiter, nach dem Ersten Weltkrieg musste er sein Pferd zurückgeben.» Lachen und Melancholie liegen bei ihm oft nahe beinander. «Die Arier», scherzt er plötzlich, «blond wie Hitler, schlank wie Göring.» Und nach kurzer Nachdenkpause: «Die Juden waren niemals eine Rasse. Es gibt schwarze, dicke, kleine, ehrliche (lacht).» «Haben Sie einmal an die Revolution geglaubt?», frage ich ihn. «Natürlich! Ich habe gehofft, dass sich etwas ändern wird. Aber es hat sich nichts verändert. Die Menschen lassen sich leider immer kaufen.» Joel Spitzer wandelt durch die in Rot und Weinrot gehaltene Ausstellung wie durch ein altes und vertrautes Zuhause. Leichte Trauer ist bei ihm zu spüren – vergangene Zeiten, vermischte Erinnerungen: «Wir flüchteten nach Paris und die Mutter sagte, wir können euch Kindern nichts kaufen. Das macht nichts, sagte mein Bruder, das machen wir, wenn wir nach Wien zurückkommen.» Die Mutter war eine Kämpferin. Sie wurde später mitsamt der 1939 geborenen Schwester in ein Lager gesteckt, denn man holte in Vichy-Frankreich zuerst die ausländischen Juden. Dort machte sie erstaunlicherweise einen Hungerstreik, bis sie weg durfte. «Sie konnte so viele Wiener Lieder auswendig», erzählt der Sohn, «sie wäre eine gute Sängerin und Schauspielerin geworden.»

Vorsicht und Rücksicht.

«Der Hitler-Stalin-Pakt war eine Zerreißprobe für viele Menschen», meint der alte Herr im nächsten Raum und beäugt die Plakate. «Der Kapitalismus hat gewusst, wie er rüstet und wie er alle sozial kaputtmacht. Einer hat den anderen verpfiffen. Sozialdemokraten befürworteten den Zusammenschluss mit Deutschland. Nur der Kommunist Alfred Klahr trat 1939 noch für ein eigenständiges Österreich ein. Der flüchtete aus Auschwitz! Um dann in Warschau von einem SS-Soldaten erschossen zu werden!» Weiteres Kopfschütteln. Er selber wäre ein «sehr, sehr vorsichtiger Kommunist gewesen», nur eingeschrieben in die Partei. «Ich war kein richtiger Kommunist, weil der wäre mit Herz und Seele dabei. Als Kind habe ich ein kommunistisches Paar kennengelernt, sie war eine Jüdin. Die beiden empfahlen mir das Buch Die Mutter von Maxim Gorki. Schon als Kind hatte ich kommunistische Ideen», lächelt er plötzlich. In Frankreich waren die Brüder auf einem Bischofssitz versteckt. Er hatte den Nonnen die Hand geküßt, weil sein Vater ihm das – typisch wienerisch – empfohlen hatte. Die religiösen Schwestern waren erstaunt. Später in der Holzbaracke im Kibbutz in Palästina unter Kindern, die versteckt gewesen waren oder aus dem KZ kamen, arbeitete Spitzer halbtags und lernte in der anderen Hälfte des Tages Ivrit. Er tat sich schwer. Deswegen ist er wohl auch nach Wien zurück, während der zweieiige Zwillingsbruder in Israel blieb. Er hat seinen ganz eigenen Weg gewählt – und den ist er auch ganz alleine gegangen. «Ich habe geglaubt, dass die Menschen sich doch entschließen, sozialistisch zu sein.» Inzwischen glaubt er eher an einen Atomkrieg als an die Revolution.

 

Genosse. Jude. Wir wollten nur das Paradies auf Erden

Jüdisches Museum Wien, 1., Dorotheergasse 11

Noch bis 13. Mai, Sonntag bis Freitag, 10–18 Uhr

www.jmw.at

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