Immer der Nase nach (II. Teil)
Was assoziiert man spontan mit Körpergerüchen? Achselschweiß, Morgengeruch, Inkontinenz? Obdachlose, Schmutzwäsche? Körpergerüche genießen für gewöhnlich kein allzu großes Ansehen – weil sie unangenehm konnotiert sind. Von Stephanie Weismann, Foto: Nina Strasser
Dabei sind es häufig Geruchseindrücke, die bestimmen, wie wir andere Menschen wahrnehmen – ob angenehm oder abstoßend, vertraut oder fremd. Die Nase entscheidet (meist unbewusst), von wem wir uns angezogen fühlen, wen wir sympathisch finden, wen wir in unserer Nähe haben wollen, mit wem wir Sex haben möchten oder gar Nachkommen zeugen – das ist wissenschaftlich belegt. Durch neue Maßstäbe der Köperhygiene in der westlichen Welt sowie die zunehmende Verurteilung von (natürlichen) Körpergerüchen werden olfaktorische Unterschiede deutlicher wahrgenommen – seien es nachlässige Hygienepraktiken (der Sandler, von dem alle abrücken), andere Ernährungsgewohnheiten (die eine oder andere Curry-Ausdünstung) oder die Aura des Alters (die Wohnung der Großmutter). Zusätzlich ist unser Geruchsempfinden stark von unserer Umgebungskultur geprägt – Gerüche beinhalten kulturelle Werte und haben gesellschaftliche Bedeutung. Was wir als gut oder schlecht riechend bewerten, basiert zum Teil auf individuellen Empfindlichkeiten und Erlebnissen, jedoch wird uns das, was wir als «Wohlgeruch» oder «Gestank» wahrnehmen, aber auch historisch und kulturell «gelehrt».
Soziale Anerkennung durch Körperpflege. Gerüche sind ein bedeutender gesellschaftlicher Mittler, weil sie maßgeblich die Eigen- und Fremdwahrnehmung prägen. In unserer westlichen Welt existiert die Beschäftigung mit Körpergerüchen und Mitteln ihrer Unterdrückung bereits seit der Antike. Die heutige Verfügbarkeit von Hygieneprodukten sowie die Art, diese zu bewerben, haben das Bewusstsein für (unangenehme) Körpergerüche in mittlerweile allen Gesellschaftsschichten gesteigert. Gleichzeitig wird die Notwendigkeit nach artifizieller Körperbeduftung stark durch die Parfüm- und Kosmetikindustrie beworben – mit dem Versprechen der gesteigerten Attraktivität. Regelmäßige Körperpflege – vom Duschen über Deodorant-Benutzung zur Körperhaarentfernung – ist in hohem Maße ausschlaggebend für soziale Anerkennung im täglichen Miteinander geworden. Designte Körperdüfte aus der Parfümerieproduktion boomen, natürliche Körpergerüche dagegen polarisieren. Wer im öffentlichen Raum schweißelt, wird schief angesehen, wer aus dem Mund riecht, hat’s beim Vorstellungsgespräch schwer, Menschen, die sich nicht an die olfaktorische «Norm» der höchstmöglichen Geruchslosigkeit halten (von künstlicher Parfümierung abgesehen), werden zunehmend des öffentlichen Raums verwiesen – bis zur Kriminalisierung. In den USA gibt es Verhaltensanleitungen für Bibliotheksangestellte, wie mit streng riechenden Besucher_innen (vor allem Obdachlosen) umgegangen werden soll. «Asozialer» Geruch wird mittlerweile auch juristisch als rechtskräftiges Argument für die Ausgrenzung bestimmter Personen diskutiert.
Olfaktorische Stereotypen. Schlechte Körpergerüche verursachen also nicht nur situatives Unbehagen, sondern generieren auch Vorstellungen von sozialer und moralischer Verunreinigung. Hier kommen nicht nur tatsächlich wahrgenommene Gerüche zum Tragen, sondern es überwiegen mit bestimmten (meist Minderheiten-)Gruppen assoziierte Gerüche – und schon sind wir bei den olfaktorischen Stereotypen angelangt. Wenn man jemanden «nicht riechen kann», wie im Volksmund gerne gesagt wird, spielen die anfänglich erwähnten Pheromone oder andere subtile Geruchsmoleküle eine meist nur untergeordnete Rolle. Stattdessen dient der fremde «Dunstkreis» symbolisch als Argumentation für ein generelles Gefühl der Ablehnung oder gar des Widerwillens. Denn sich selbst beziehungsweise die eigene soziale Gruppe nimmt man für gewöhnlich als geruchlos war, es sind immer die anderen, die «riechen». So war die Verwunderung des weißen europäischen Mannes groß, als er das erste Mal damit konfrontiert war, dass die Europäer_innen den Asiat_innen als ausnehmend schlechtriechend und als «Butterstinker» gelten. Olfaktorische Vorurteile und Stereotype leiste(te)n so einen grundlegenden Beitrag zur Schaffung gesellschaftlicher, ethnischer und geschlechtlicher Unterschiede und Grenzen.
So hatten olfaktorische Zuschreibungen wesentlichen Anteil an der Herausbildung von Klassenbewusstsein: «Die Arbeiterklasse stinkt», mokierte sich irgendwann das Bürgertum und der Geruch nach ungelüfteten Souterrain-Wohnungen oder physischer Arbeit wurden plötzlich nicht nur im Sinne der Wohnqualität und öffentlichen Gesundheit diskutiert, sondern als bedrohlich für die soziale Ordnung wahrgenommen. Mit schlechten Gerüchen wird Zersetzung assoziiert – von der organischen Fermentierung bis zum politischen Aufruhr, gesellschaftlicher Unruhe und Protest (in diesem Kontext waren auch Stinkbomben lange ein beliebtes Mittel, um seinen Unmut kundzutun). Die Arbeiter_innenklasse aber wurde weniger aufgrund mangelnder Hygiene als schlecht riechend wahrgenommen, sondern weil die Bourgeoisie sie als statusgefährdend empfand und ihnen die zunehmende Einforderung von Rechten schlichtweg «stank». Es sind also meist weniger die faktischen Gerüche selbst Grund für gesellschaftliche Antipathie, vielmehr wird allgemeine Ablehnung oft über olfaktorische Negativ-Stereotype beziehungsweise sensorische Aversionen ausgedrückt.
Rassistische Geruchscodes. Olfaktorische Normen und Codes wurden kreiert, um Machtverhältnisse und gesellschaftliche Klassifizierung klarzustellen: was dem einen die «geruchsintensive» Arbeiterklasse, sind der anderen ethnische Minderheiten. Ethnische Gruppen dünsten oft «fremde» beziehungsweise «ungeliebte» Gerüche aus. Über die Juden und Jüdinnen Osteuropas hält sich das hartnäckige Stereotyp, dass sie nach Knoblauch und Zwiebel stanken – das mag durchaus dem Dunstkreis der (armen) jüdischen Küche vor dem Zweiten Weltkrieg entsprochen haben. Dass «der Jude» per se streng beziehungsweise «anders» riecht, hat sich aber als antisemitischer Geruchscode gehalten. Ähnliche Ansichten gab/gibt es hinsichtlich der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA, wo Weiße oft beklagten, dass Schwarze einen unangenehmen, beißenden Geruch hätten. Dieses Stigma des «anderen», «tierischen» und damit «rückständigen» Geruchs trug viel zur Selbstwahrnehmung der betroffenen Gruppe bei. Aufgrund ihres kolportierten strengen Geruchs wandten sich viele Schwarze verstärkt Parfums und Deodorants zu – um in Konsequenz prompt wieder als zu stark «riechend» verurteilt zu werden. Auch Immigrant_innen werden für gewöhnlich als olfaktorisch «anders», das heißt geruchsintensiver und «organischer» wahrgenommen.
Der Mythos des «wohlriechenden Geschlechts». Geruchsmarker spielen außerdem eine bedeutende Rolle, wenn es um Weiblichkeitskategorien geht. Auf der olfaktorischen Skala der femininen Werte etwa hat(te) die Jungfrau zart zu duften, das heißt höchstens von einem Hauch von Blumen umgeben. Ehefrauen und Mütter dagegen beweg(t)en sich im Dunstkreis von Küchengerüchen, von Speisen und Gekochtem, mit einem Hauch respektablen Parfüms. Frauen aber, welche die etablierte männlich-dominierte gesellschaftliche Ordnung bedrohen, stehen grundsätzlich in einem «schlechten Ruch». Prostituierte (in den romanischen Sprachen wahlweise als «putain», «puta», von lateinisch «verfault», bezeichnet), Femmes fatales oder andere Verführerinnen, die Männer zu Fall bringen, sind vorwiegend von schweren, würzigen Gerüchen umgeben. Während Männer nach Schweiß riechen durf(t)en, ohne ihre maskuline Identität zu verlieren, wurden Frauen, die nicht angenehm riechen, zu Objekten von Abscheu und Empörung degradiert. Denn hinter dem Mythos des «wohlriechenden Geschlechts», werden Frauen seit jeher verdächtigt, eigentlich faul zu riechen beziehungsweise nach stinkenden, unangenehmen Körperflüssigkeiten (wie Menstruationsblut).
Wen ich «nicht riechen kann» und was «mir stinkt», ist also keineswegs nur persönlichen Vorlieben oder Pheromonen zuzuschreiben. Gefühle der Anziehung und Ablehnung sind stark kulturell codiert und gesellschaftlich geprägt. Beim nächsten Mal Naserümpfen also sich fragen: Stinkt’s wirklich oder stinkt mir einfach was?