«Ich mag das Haptische»Artistin

Seit vielen Jahren genießt Katharina Klement den Ruf als international renommierte Persönlichkeit im Feld der elektroakustischen Musik. Die gelernte Klavierspielerin bewegt sich zwischen Komposition und Improvisation und macht sich für beides häufig Field Recordings zunutze. Sie spielt aber auch Orgel, Clavichord und Zither. Und mit Vorliebe baut sie die Zertrümmerung großer Steine in ihre Arbeit ein.

TEXT: ANDREAS FELLINGER
FOTO: MARIO LANG

So ließ sich Klement im Vorfeld einer ihrer beiden jüngsten CDs vom Sound eines Zementwerks in Mannersdorf im Leithagebirge zu einem Musikstück inspirieren. Daraus formte sie die Werkserie schütten in jeweils drei Versionen für drei Instrumente, einmal als rohe Feldaufnahme zur Vorgabe für eine Improvisation, einmal als grafische Partitur, einmal auf Notenpapier fixiert. In der Aufführung bei Wien
Modern 2018 bewältigten Audrey Chen, Michael Moser und Séverine Ballon schütten am Cello, Annelie Gahl, Tiziana Bertoncini und Barbara Lüneburg an der Violine sowie Oskar Aichinger, Thomas Lehn und Georg Graewe am Klavier Klements divergierende Vorgaben. 2019 spielten alle ihren Part nochmals im Studio ein, das Resultat davon ist die besagte CD.
Das zweite frischgepresste Stück Klementmusik ist eine Soloschallplatte (Ventil Records). Darauf nimmt sie auf Plattenseite 2 Bezug auf zwei französische Pioniere der elektronischen Musik bzw. der Musique concrète, Pierre Schaeffer und Pierre Henry. Deren damals wegweisende, vor nunmehr 70 Jahren entstandene Symphonie pour un homme seul nimmt sie, «ohne mit der feministischen Faust» zuzuschlagen, wie sie im AUGUSTIN-Gespräch anmerkt, zum Anlass für die suite pour une femme seule. Darin hantiert sie an der elektronisch angereicherten Zither. Plattenseite 1 ziert das Stück vessel 1.2, ebenfalls bei Wien Modern entstanden, und zwar in der Programmschiene mit dem feschen, Komposition und Improvisation koppelnden Namen comprovise. Das hat Klement am Klavier, in dessen Innenleben, mit Präparierungen und mit elektronischen Mitteln neu im Studio eingespielt.

Punkt und Fläche.

Bereits mehrmals hatte Katharina Klement die Zerkleinerung von grobem Gestein in ihre Klangästhetik integriert, etwa in der
Maschinenhalle der Firma Hanisch bei Linz mit ihrer Arbeit granular für Perkussionsinstrumente, Klavier und Elektronik und beim Festival Kaleidophon in Ulrichsberg mit monde für Ensemble, zwei Betonmischmaschinen und 7-Kanal-Zuspielung. «Dahinter steckt sicherlich mein Interesse an körperlicher bzw. stofflicher Materie, also an allen möglichen Baustoffen, von Stein über Sand, Ton, Zement, Gips und Beton», erzählt Klement. «In mir lebt ja auch eine Bildhauerin-Seele. Ich mag das Haptische, die Beschaffenheit von Material an sich, plastisches und räumliches Arbeiten. Das Zerkleinern von Material ist ein skulpturaler Ansatz, den ich mit den Mitteln der Musik verfolge. Die Musik kann das auf wunderbar feinstoffliche Weise: sogenannte granulare Prozesse verarbeiten. Man kann das Zerkleinern zum Beispiel so anwenden, dass man einen Rhythmus allmählich in immer kleinere Zeiteinheiten teilt, bis er zerstäubt ist in eine granulare Wolke und letztlich als Kontinuum wahrgenommen wird. Dieses Pendeln zwischen Punkt und Fläche ist eine sehr ergiebige Fragestellung und taucht immer wieder in meinen Stücken auf.» Perfekt dazu passend, auch wenn es sich weniger aus Gestein als vielmehr aus den Anfangsbuchstaben ihres Namens zusammensetzt, nennt sie ihr eigenes CD-Label KalK. Die gebürtige Grazerin lebt und arbeitet seit ihrer Studienzeit in Wien, aktuell in der Brigittenau. Das Klavierstudium lässt sie bald die Grenzen der reproduzierenden Kunst erkennen. Sie experimentiert mit erweiterten Spieltechniken, verlässt immer öfter die Tastatur, um im Inneren des Klaviers mit Präparierungen und elektronischen Zuspielungen neue Klänge und Zusammenhänge zu erforschen. Ihre Profession schlägt sich zwar nicht in einer Professur, aber immerhin in einem Lehrauftrag an der Wiener Musikuniversität nieder, wo sie Elektroakustische und Experimentelle Musik unterrichtet. Katharina Klement ist keineswegs auf Kulturinstitutionen abonniert, die gegenwärtig großen Wert auf ihre sogenannte Systemrelevanz legen. Allerdings ist es in der mehr oder weniger autonomen Kulturszene nicht selten der Fall, dass in deren Veranstaltungsräumen kein Klavier herumsteht. Auch aus diesem Grund hat Klements intensive Beschäftigung mit der Zither ihren Ursprung. Also mit einem relativ handlichen Instrument, das erstens dem Innenklavier und seiner Behandlung in gewisser Weise ähnelt – und das zweitens längst aus dem Korsett volksmusikalischer Praxis und jener, die Anton Karas in Der dritte Mann berühmt machte, zu befreien war. In Kombination mit ihrem Wissen um elektronische Expansionsmöglichkeiten entwirft Klement auf diese Weise ganz abenteuerliche Klangwelten. Und sie hat auch für ein einschlägig avanciertes Ensemble, das Zithertrio Greifer des Tirolers Martin Mallaun, ein Stück komponiert, zu finden auf ihrer drift-CD (chmafu nocords).

Improvisation.

Damit nicht genug, beschäftigt sich Katharina Klement vermehrt mit der Improvisation, sowohl in Soloauftritten als auch in Combos. Im Trio USE und dem Trio REDOX praktizierte sie das nahe am (freien) Jazzkontext, mit Judith Unterpertinger & Manon-Liu Winter
bestreitet sie das Innenklaviertrio deepseafish-K, mit dem Instrumentalkollegen Josef Novotny tauscht sie sich immer wieder an Klavier und Elektronik aus. Eine spezielle Vorliebe entwickelt Klement für Sprache, Text und Stimme, daraus resultieren u. a. Arbeiten mit Marlene Streeruwitz (Verführung, 2017) und der US-Amerikanerin Lynn Book. Oder auch mit Martina Claussen im brandaktuellen Duo 3-Kanal. Andere, gegenwärtig wichtige Spielkameraden Klements sind, neben etlichen anderen, zwei experimentierfreudige Wiener Gitarristen: gelegentlich Burkhard Stangl, häufig Martin Siewert. «Wenn ich selbst auf die Bühne gehe», sagt Klement, «ist immer Improvisation im Spiel – von völliger Freiheit bis hin zu mehr oder weniger genauen Vorgaben. Solistisch agiere ich meist strukturierter als im Duo bzw. Kollektiv, da geht es mehr um das spontane Sich-Einlassen und Reagieren auf die Spielpartner_innen. Trotzdem gibt es bei mir im freien Spiel auch ein gewisses Vokabular und manchmal auch vorbereitetes Material oder Strukturen. Das hilft mir immer wieder, über längere Strecken hinweg einen Bogen zu spannen und nicht zu kurzatmig zu sein, zu schnell alle Möglichkeiten zu verbraten. Ich kann mich für eine Improvisation vorbereiten, indem ich übe, was mit reduziertem Material, zum Beispiel mit nur drei Klängen, alles möglich ist. Virtuosität liegt nicht darin, schnell alles herzuzeigen, was man drauf hat, sondern mit wenigem vieles zu sagen.»
Gern begibt sich Katharina Klement auf Reisen, aus denen sie immer auch Field Recordings mitbringt und für neue Kompositionen verwendet. Künstlerisch besonders fruchtbare Auswärtstermine verbrachte Klement in Belgrad, in Belgien und zuletzt in Südindien. Konkrete
Zukunftspläne Klements umfassen, «je nach coronaler Lage», eine Uraufführung des Stücks Tetrachrom für Harfe, Cembalo, Blockflöte und Querflöte im Februar in Triest, ein Klaviersolo im März in Basel, für Sommer ist eine Aufführung im burgenländischen Lockenhaus rund um das Thema Stimme-Sprache-Elektronik geplant. Und irgendwann wird sie auch wieder mit zerkleinerten Steinen arbeiten.

katharinaklement.com

Katharina Klement: schütten
(CD, Austrian
Grammophone 2020)

Katharina Klement:
vessel 1.2 / suite pour une femme seule
(LP, Ventil Records 2020)

Katharina Klement:
drift
(CD, chmafu nocords 2018)