Real Digital
Texte, die auf sozialen Plattformen im Internet entstehen, sind quasi schon eine eigene Literaturgattung. Die Wiener Autorin und Künstlerin Ianina Ilitcheva verquickte Leben und Kunst auf spezielle Art. Ende 2017 sind ihre Twitterprotokolle in Buchform erschienen. Ruth Weismann hat sie gelesen. Bilder: Ianina Ilitcheva
Legendäre Gartenpartys hat sie gegeben! Das hörte man oft, im dem Umfeld, in dem Ianina Ilitcheva sich bewegte. Leider war ich auf keiner dieser Partys in ihrer Wohnung mit Garten am Rande Wiens, einem Ort, der mit seinem kleinbürgerlichen Familien-Flair nicht zu einer wilden Künstlerin zu passen scheint. Aber Ilitcheva passte sowieso überall und nirgends hin. Eine kleine, zarte, dünne Frau, mit Narben im Gesicht und stets mit Handschuhen an den Händen. Sie kam 1983 in Usbekistan mit einer seltenen Hautkrankheit auf die Welt, bei der die Haut extrem empfindlich und verletzlich ist. 1991 zog ihre Mutter mit ihr nach Österreich, da die Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland unzureichend waren. Zerbrechlich aber wirkte Ilitcheva nie, im Gegenteil. Eine Kraft, ein Auftreten, ein Charisma, das das ausstrahlte, was sie lebte: Leidenschaft und totale Unabhängigkeit.
Digitales Leben.
Ich habe sie oft auf der Akademie der bildenden Künste in Wien gesehen, wo sie Malerei studierte. «Sie hat das aber immer eher belächelt. Sie fand es süß, wie die Leute unbedingt Künstler_innen sein wollen, aber für sie selbst ging es nie darum, möglichst viel auszustellen und bekannt zu werden», erzählt Rick Reuther. Mit ihm zusammen hat sie nach ihrem Malerei-Studium noch Sprachkunst auf der Universität für Angewandte Kunst studiert. Und er ist es auch, der zusammen mit Christiane Frohmann vom Berliner Frohmann Verlag jetzt ein Buch mit ihren Tweets herausgegeben hat. Denn neben ihren Gartenpartys war auch ihr Twitter-Account (der noch online ist) legendär, und wie dieser heißt auch der literarische Band: @blutundkaffee
2012 – 2016.
35.700 Tweets kamen in diesen vier Jahren zusammen – ein digitales Archiv von online generierter Literatur einer Autorin, die sich mit den Rahmenbedingungen von 140 Zeichen, mit der Schnelllebigkeit und der Timelinestruktur formal auseinandersetzte, mit Alltagssprache und Netz-Jargons jongliert, aber mit ihrem Entwurf eines kompromisslosen Subjekts, das zwischen Autobiografie und Fiktion oszilliert, dennoch an «große» Literatur anknüpft. «ICH WILL BEBEN ICH WILL LEBEN ICH WILL DASS AN MIR SUSHIS KLEBEN». «Lieber 100 traumatisieren und 1 retten, als 1000 zum Lachen bringen. / Ich lache innen mehr.» Und dazwischen wieder ein Bericht:
«Also was heute passierte: Sie spritzten mir radioaktiven Zucker und steckten mich in einen CT, und weil ich das fad fand, schlief ich ein. / Ich mag es, radioaktiv zu sein, wenn auch nur für’n paar Stunden. Geiles Gefühl von könnte dich mit meinem Laserblick verdampfen, Fucker. ^–^»
Produktiv.
Zart und verletzlich, hart und unerschrocken, ehrlich und witzig tippte sie unermüdlich in ihr Handy – über Schmerzmittel und Steaks, über Krankenhausaufenthalte und hübsche Jungs, über Besäufnisse mit Freund_innen oder alleine durch die Nacht wandelnd und Fremde aufgabelnd, was sie oft tat, wie Herausgeber Reuther erzählt.
Und viel über ihren Körper, der nicht den Schönheitsidealen entsprach, wie sie selbst sagte, und davon, was es heißt, eine Frau zu sein, die eine Frau sein will, aber manchmal gern einen Penis hätte. Vom Begehren und vom Leben mit einer unheilbaren und schließlich tödlichen Krankheit. Oft erstreckte sich über mehrere 140-Zeichen Tweets eine Geschichte:
«In den nächsten zwei Monaten: sechs Projekte laufend, drei zu starten, vier Reisen. Noch nicht drin: Lesungen, Uni, Krankenhaus. Stöhn. Da kein Raum ist für konzentriertes eigenes Schreiben, werde ich weiterhin hier alles reinnotieren und ihr werdet es ertragen müssen. DT hat mir Bücher geborgt, [lacht irre auf], die sollen mich belesener machen [lacht irre auf], ich liebe Bücher und denke: Scheiß auf alles, aber ein Baby würde ich gern machen, es versuchen zumindest, und es gerade noch hinkriegen und selig verrecken.»
Was hier wie das Programm einer 70-Stunden-Arbeitswoche klingt, war für Ilitcheva normal. «Sie war unglaublich produktiv», erzählt Rick Reuther. «Sie wusste, dass sie nicht ewig Zeit hat, darum versuchte sie so viel wie möglich in die Zeit zu packen, die sie hat.» Kunst machen und exzessiv Leben, aber auch das radikale Gegenteil. Vor einigen Jahren schrieb sie: «Hallo, mein Name ist Ianina Ilitcheva und ich stelle meine sozialen Interaktionen für ein halbes Jahr lang ein.» Die Idee dahinter: Durch soziale Isolation draufzukommen, woher die Inspiration kommt, was in einem selbst passiert, wenn man Kontakt auf ein Minimum reduziert. Kontakt mit Freund_innen und dem Internet nur, wenn notwendig und minimal, sonst aber: Briefkontakt. Die Beschäftigung mit den Pflanzen im Garten, in sich hineinhorchen, herausfiltern, was von außen kommt, und was von innen. Aus dem Isolationsprojekt entstand das Buch «183 Tage», 2015 erschienen bei Kremayr & Scheriau, das gerade in Zeiten digitaler Echt-Zeit-Permanenz wie die Faust aufs Auge passt. Noch dazu von einer Person, die eine Social-Media-Plattform zu ihrem zentralen künstlerischen Medium erkoren hat. Texte, Zeichnungen, Faksimiles von Post-its und Selfies aus ihrem Garten finden sich darin und zeigen Alltagstrivialitäten, Einsamkeit, Sehnsüchte und immer wieder der ihr eigene, oft sarkastische, Humor.
Trockenmasse.
Gerade arbeiten Rick Reuther und Christiane Frohmann an einem weiteren Buch-Projekt, diesmal soll es eine Gesamtausgabe werden, die auch Ilitchevas bildnerische Kunstproduktion beinhalten wird. In der geht es viel um Körperlichkeit und – wie in den Texten – die Welt zwischen digital und haptisch. Selfies, oft noch übermalt. Gemälde und Collagen, in denen zerrissene Papier-Oberflächen, bröckelige Farbe und das eigene Blut eine Rolle spielen. Die Assoziation zu ihrer eigenen «Oberfläche», der leicht zu verwundenden Haut, ist stets da. Ihre Haut hat sie sogar auch direkt «verarbeitet», in dem sie eigene Körperteile auf den Scanner legte und diese «Bildproduktion» dann weiterverwendete (siehe diese Seite, Bild links oben). Immer stand die Frage im Raum, wie sich ihr bzw. ein Körper zum Außen und zum Innen verhält und wie mediale Formen ihn darstellen und verändern können.
«Sterben und Twittert [sic!] kann man nicht multitasken, also Ciao», lasen ihre Follower_innen am 20. November 2016 auf Twitter. Ein radikaler Abschied für eine, die es verachtete, wenn ihr Mitleid entgegengebracht wurde, und die auch schrieb «Ich konnte mit Hoffnung nie was anfangen. Hoffnung ist so nahrhaft wie ein Joghurt mit 0,1% Fett in der Trockenmasse.» Ianina Ilitcheva starb am 20. Dezember 2016.
Ianina Ilitcheva:
@blutundkaffee 2012 – 2016
Frohmann Kleine Formen 2017
176 Seiten, 19,90 Euro
orbanism.com/frohmann