«Ich, Mausohr-Fledermaus»vorstadt

Rotbauchunke (Mitte), Libelle (r.), Mausohrfledermaus (l.) u.a. bei der ­Pressekonferenz der Tiere 2.0 (Foto: © Julia Grillmayr)

Die Auwald-Tiere treten erneut vor die Presse. In der Fischa-Au zeigen sich auch historische Verbindungen der österreichischen Umweltbewegung.

Nun zur Aufstellung für das Gruppenfoto. Achtung auf Hasenohren und ­Hirschkäferbeine! Die Flügel der Libelle und den gefleckten Bauch der Rotbauchunke ­sollte man sehen! Der bunte Eisvogel ­bitte ­neben das Ziesel! Es ist ein sonniger Tag im Mai und die Tiere rufen zur Pressekonferenz. Wir sind in Lichtenwörth, nahe Wiener Neustadt. Hier soll, inmitten von Feldern eine Straße gebaut werden (­siehe S. 20) und die Tiere mobilisieren zum Protest.
«Ich, Mausohr-Fledermaus, bin hier, weil immer mehr Boden versiegelt wird, die Gewässer vertrocknen und die Insekten weniger werden. So geht mein Futter verloren, wie der Hirschkäfer da drüben.»Der angesprochene Käfer schaut erschreckt. Wir lachen. Es sind Pressevertreter:innen hier und Mitstreiter:innen der Bürger:innen-Initiative «Vernunft statt Ostumfahrung». Sieben von ihnen stecken in aufwendig gestalteten Kostümen, die sie zu Sprecher:innen für ortsansässige Tierarten machen. «Ich brauche die Au und das saubere Wasser zum Überleben», sagt die Libelle. «Ich bin hier, weil ich auf der Roten Liste stehe», sagt das Ziesel. «Wir sind am Aussterben», sagt auch der Eisvogel und fügt selbstlos hinzu: «Ich will nicht, dass es den Menschen auch so geht, dass sie ihre Lebensgrundlage verlieren, indem sie das funktionierende Ökosystem zerstören.»
Immer wieder werden auch die Menschen in den Kostümen von Moderatorin Karin Neckamm direkt angesprochen: «Die Rotbauchunke war schon vor 40 Jahren dabei, aber damals war sie ein Mann.»Auch das erntet Lacher, vor allem von den Eingeweihten, aber die Referenz wird eh gleich erklärt: «Damals war die Rotbauchunke Peter Turrini.»

Hainburg

Bezug genommen wird auf die Pressekonferenz der Tiere, die 1984 im Presseclub Concordia in der Wiener Innenstadt abgehalten wurde, zur Unterstützung der Proteste gegen das damals geplante Wasserkraftwerk in Hainburg. Ein rundes Jubiläum also, und auch hier ging es um den Schutz eines Feuchtgebietes, aber das sind nicht die einzigen Gründe, sich auf Hainburg zu berufen. Die Verhinderung des Kraftwerks gilt als einer der wichtigsten Erfolge der Umweltbewegung in Österreich und so stecken in dem Wort Kampfgeist wie auch Hoffnung.
Anschließend an die Pressekonferenz in Lichtenwörth wird Hainburg 84 – eine Bewegung setzt sich durch gezeigt. Diesen Dokumentarfilm hat Doris Holler-Bruckner gestaltet, die heute im Kostüm der Rotbauchunke steckt. Er zeigt Szenen der Besetzung – oder, wie hier lieber gesagt wird, der Rettung – der Hainburger Au und erzählt über das weitere Leben einiger Aktivist:innen. Was hier anhand einzelner Biografien dargestellt wird, gilt für das kollektive Gedächtnis Österreichs: Hainburg war ein einschneidendes Erlebnis für das Erstarken der Zivilgesellschaft. «Da war es noch eine Zeit hin mit mir, aber Hainburg ist sehr präsent», erklärt der junge Aktivist im Eisvogel-Kostüm. «Ich wünsche mir, dass wir wieder so ein Erfolgserlebnis haben, weil wir brauchen das jetzt.» Auch auf Plakaten der LobauBleibt-Bewegung ist immer wieder «Hainburg ist überall» zu lesen.
Ich bin mit Sophia Rut in Lichtenwörth. Sie ist Sozialökologin und Umwelthistorikerin und der Grund, weshalb ich diese Bezugnahmen auf Hainburg einordnen kann. Wir haben gemeinsam mit der Gewässerökologin und Künstlerin Christina Gruber in einem Forschungsprojekt über die Lobau gearbeitet und auch hier war Hainburg präsent. Trotz der offensichtlichen Relevanz ist dieser Protest erst in groben Zügen historisch aufgearbeitet. Das gilt für die österreichische Umweltgeschichte generell, erklärt Rut.

Aktivistinnen

Rut beforschte die ­Rolle von Frauen im Widerstand gegen das Wasserkraftwerk und stieß auf außergewöhnliche Erzählungen. Sie hörte von der Zusammenarbeit einer Rauchfangkehrerin mit den umliegenden Bäuer:innen, von Fürsorge, die aufgrund des harten Winters und der vielen Leute oft kreativ werden musste, dass zum Beispiel hunderte Liter Tee in Strümpfen zubereitet wurden, und sie sprach mit jener Person, die für die Pressekonferenz 1984 die Kostüme schneiderte, der Kostümbildnerin Elisabeth Binder-Neururer. All das ist in Sophia Ruts Buch nachzulesen, das Ende des Jahres im Mandelbaum Verlag erscheinen wird.
Es handelt sich dabei um Geschichten, die keine großen Schlagzeilen machten, die zwar weitererzählt, aber kaum niedergeschrieben wurden. Für jede emanzipative Bewegung ist eine solche kleinschrittige Geschichtsschreibung besonders relevant, denn gerade in diesem Kontext werden Aktionen häufig erst retrospektiv als wirksam und zulässig anerkannt. Dies wurde auch in Lichtenwörth festgestellt, als Neckamm einige Wortbeiträge der Tiere so zusammenfasste: «Manchmal muss man sich für etwas einsetzen, wo viele sagen, es sei unmöglich, und dann, wenn man es erreicht hat, war das Unmögliche doch möglich.»

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