Ich schenk dir das BrautgeldArtistin

Der Film "Im Bazar der Geschlechter" macht mit der Institution Zeitehe bekannt

Die österreichisch-iranische Filmemacherin Sudabeh Mortezai im Gespräch über ihren neuen Film «Im Bazar der Geschlechter», in dem es um die Zeitehe, Mann-Frau-Beziehungen und Leben in einem repressiven System geht.Mein persönlicher Eindruck beim Ansehen deines Films ist: Einiges scheint mir sehr fremd, anderes ist mir wiederum sehr vertraut. Vertraut ist mir, dass Ehen scheitern, finanzielle Abhängigkeit von Frauen oder dass viele Menschen unfreiwillig Single sind. Fremd war für mich z. B. das enge Verhältnis von Geld und sexueller Beziehung.

Ich glaube, dass diese enge Beziehung zwischen Geld und Sexualität gar nicht so fremd ist. Das ist wie bei den Punkten, die du erwähnt hast, dass man das kennt, nur dass das bei uns in Europa viel subtiler abläuft und deswegen nicht so sichtbar ist. Die Zeitehe in dieser direkten, expliziten Art des Austausches Geld gegen Sex hat natürlich viel mit Prostitution zu tun aber nicht nur. Es wird ja auch für andere Arten von Beziehungen genutzt. Aber, vom Ursprung her, war das als Legalisierung der Prostitution gedacht. Insofern ist das klar, sexuelle Dienstleistung gegen Geld. Und das ist ja schon etwas Universelles. (…) Mir ging es allerdings nicht nur um Prostitution. Ich wollte gerne über diese spezifische, vielleicht sehr fremdartige Praxis Geschlechterbeziehungen anschauen. Nicht nur in der iranischen Gesellschaft oder in einem islamischen Land, sondern universeller, dass man darüber reflektiert, wie die Rollenverteilungen sind.

Männer Frauen. Das war der eine Aspekt, der mich interessiert hat. Der andere war: Wie wird das Individuelle, das Private mit dem Gesellschaftlichen verhandelt in einem repressiven System? Wobei die iranische Gesellschaft in der muslimischen Republik extrem repressiv ist, gerade, was das Privatleben der Menschen betrifft. Das Private ist nicht nur Privatsache, sondern, was man anhat, mit wem man eine sexuelle Beziehung haben darf und mit wem nicht, wird ja vom Staat sehr stark kontrolliert, und da ist es dann spannend, solche Mechanismen zu sehen.

Was mir nicht ganz klar ist, wie läuft das mit dem Brautgeld ab?

Das wird mit der Familie der Braut ausgehandelt, aber ein großes Missverständnis ist, dass man immer glaubt, das Geld bekommt die Familie der Braut. Das stimmt nicht. Das Geld ist für die Frau bestimmt. Das ist im Ursprung als Absicherung der Frau gedacht, als eine Art Druckmittel der Frau gegen das einseitige Scheidungsrecht des Mannes. Im islamischen Recht hat nur der Mann das Recht, sich scheiden zu lassen. Die Frau kann die Scheidung einklagen vor Gericht, aber nur bei ganz spezifischen Bedingungen. (…) Hingegen der Mann darf jederzeit vor Gericht gehen und sich problemlos von seiner Frau scheiden lassen, egal ob sie das will oder nicht. Das schafft ein Ungleichgewicht, und das Brautgeld dient eigentlich dazu, das wieder auszugleichen.

Das Brautgeld ist Folgendes: Der Mann sichert der Frau schriftlich zu, ihr eine festgesetzte Summe, jederzeit auf ihr Verlangen hin, spätestens aber zum Zeitpunkt der Scheidung, auszuzahlen. Und dieser Betrag wird unrealistisch hoch angesetzt. Das können 50.000 Euro sein oder so. Ein Betrag, den sich der Durchschnittsmann im Iran nicht leisten kann. Das wird bewusst so hoch angesetzt, damit er von diesem Scheidungsrecht nicht Gebrauch machen kann. Und falls er es doch machen will, ist es ein Startgeld für die Frau, eine gewisse Absicherung. Und wenn die Frau z. B. die Scheidung will, geht sie oft zum Mann und sagt: Ich schenke dir das Brautgeld, schenke mir die Scheidung. Also, das ist ein reines Druckmittel in Wirklichkeit.

Wie bist du auf das Thema gekommen? Wieso gerade Zeitehe?

Das hat sich zufällig ergeben. In Gesprächen, wo ich das erwähnt habe gegenüber österreichischen Freunden, habe ich diese Verblüffung gesehen. (…) Da hat man gemerkt, was man für Klischees von der islamischen Gesellschaft hat. Dass man denkt, da ist die Sexualmoral so wahnsinnig streng. So etwas wie ein lockerer Lebenswandel oder legalisierte Prostitution oder Promiskuität, solche Dinge kann es gar nicht geben in so einer Gesellschaft und Zeitehe ermöglicht aber alle diese Dinge. Diese Verwunderung, wenn man mit dem westlichen Blick draufschaut, fand ich dann auch interessant. Dass man etwas zeigen kann, was man nicht kennt und erwartet und etwas tiefer eindringen kann in eine Gesellschaft.

Deine Filme zeigen Lebenswelten im Iran. Gibt es bei dir auch den Wunsch, Europäern diese andere Kultur näher zu bringen?

Auf jeden Fall auch, das ist nicht das Einzige, um was es mir beim Filmemachen geht, mich interessieren schon eigentlich universell menschliche Dinge. (…) Aber durch meine Biografie fühle ich mich natürlich dem auch verpflichtet. Wenn man mit einem migrantischen Hintergrund aufwächst, wird man zum Sprachrohr. Man kann seine private Biografie aus dem größeren politischen Gefüge überhaupt nicht herausnehmen, und deswegen wird alles auch ein Statement. Ich finde, schon dadurch, dass ich in der Position bin, vermitteln zu können, ist es fast schon meine Pflicht zu vermitteln. Zu sagen: Ich kenne diese Kultur so genau und jetzt ist der Iran so viel in den Medien und ist aber auch so wahnsinnig klischeehaft und wahnsinnig dämonisiert und immer geht es nur um Ahmadi Nejad und Atomprogramm. All diese Dinge kennen wir schon, es leben aber auch Menschen dort, die haben ein Gesicht, und ich will, dass man dieses Gesicht sieht und dass man diese Geschichten miterlebt.



«Im Bazar der Geschlechter» wurde u. a. auf Festivals vorgeführt. Wie sind die Reaktionen auf den Film?

Ich bin total glücklich über die Reaktionen. Was mir am meisten Freude macht, ist, wenn Leute sagen, sie erwarteten etwas sehr Fremdes und dann war ihnen alles so nah und so vertraut und sie haben so viel erkannt, was sie auch in ihrer eigenen Kultur kennen. Das freut mich am allermeisten. Eine Reaktion ist auch, dass Leute den Film ziemlich humorvoll finden und viel lachen, und darüber bin ich auch sehr froh, weil ich finde, gerade so ernste Themen sollte man auch mit ein bisschen Humor anpacken. Ich sehe auch, wie die Leute im Iran ihren Alltag mit Humor meistern, was wohl zum Teil auch an der Mentalität liegt. Deswegen bin ich froh, dass das auch rüberkommt.

Liebe ist … Verhandlungssache

Die Zeitehe ist im Iran und einigen anderen Ländern erlaubt und ist eine Eheschließung, die für einen vorher festgelegten Zeitraum gültig ist. Danach kann sie verlängert werden oder jeder geht seiner Wege. Wichtig ist, dass die Dauer der Ehe und der Betrag des Brautgeldes vorher vereinbart wurden. Diese uns wohl etwas seltsam anmutende Praxis beleuchtet Sudabeh Mortezai in ihrem Dokumentarfilm «Im Bazar der Geschlechter», in dem unterschiedliche Positionen und Stimmen im heutigen Iran vertreten sind. Da sind einerseits konservative Vertreter des Klerus und andererseits Männer und Frauen, die positive und (vorwiegend) negative Erfahrungen mit Ehe und Zeitehe gemacht haben. Ein junger Mullah (Geistlicher) befragt islamische Rechts- und Religionsexperten zur Zeitehe. Sie alle sind sich einig, dass diese auf jeden Fall eine gute Einrichtung darstelle und z. B. Prostitution verhindere und die soziale Versorgung von geschiedenen oder verwitweten Frauen sicherstelle. «Sonst laufen sie dauernd zum Wohltätigkeitsverein» und würden letztlich als Prostituierte enden, meint einer, der selbst bei so einem Verein tätig ist. Materielle Aspekte sind für die Frauen, die sich auf diese Art von Beziehung einlassen, tatsächlich wichtig. Eigentlich würde sie die Zeitehe mit einem verheirateten Mann lieber beenden, meint eine der Frauen im Film, «aber er zahlt die Miete. Mit meinem kleinen Gehalt geht sich das nicht aus.» Eine andere Frau versteht sich wiederum ganz gut mit ihrem Zeit-Ehe-Mann. Warum keine «richtige» Ehe? «Er hängt sehr an seiner Mutter» und die will nun einmal keine Geschiedene als Schwiegertochter.

Ab 16. April im Kino