Christian «Flake» Lorenz, geboren in Prenzlauer Berg, Ost-Berlin. Der «Weltmeister-Orgler» von Feeling B spielt heute Keyboard bei Rammstein. Mario Lang protokollierte ein Gespräch über das Leben in der DDR, Punk und die Wende.
Jugend in der DDR.
Als ich geboren wurde, 1966, war der Krieg erst 21 Jahre vorbei, und damals war er noch viel präsenter als die DDR jetzt. Die Straßen waren leer, PKWs gab’s so gut wie keine, es gab noch viele Kriegsverletzte, alles war ganz leise, langsam und in einem Farbton. Zwischen den Bauruinen wuchsen Blumen und im Kiez gab es ganz wenige offene Geschäfte. Ich bin mit meiner Mutter viel spazieren gegangen und fand dieses Bild unheimlich reizvoll. Später, als Jugendlicher, hab ich gemerkt, dass bei uns im Viertel ganz viele interessante Leute wohnen: Maler, Musiker und Leute, die gute Partys gemacht haben. Das Leben fand in den Wohnungen statt. Und je mehr Leute in den Westen gingen, umso mehr interessante Leute sind aus anderen Städten nach Prenzlauer Berg gezogen. Dadurch entstand eine sehr stabile Szene, die unheimlich freundschaftlich verbunden war. Der jetzige Prenzlauer Berg hat mit dem alten lediglich den Namen und den Ort gemeinsam. Jedes Haus ist ausgebaut, es sind Dachgeschoße draufgeknallt worden, auf der Straße stehen SUVs und von den ursprünglichen Bewohnern sind noch zwei Prozent hier.
Wir haben von Anfang an gelernt, dass der Sozialismus das überlegenere System ist und dass es allen Menschen auf der Welt schlecht geht, außer uns. Da wir das nicht kontrollieren konnten, haben wir es auch geglaubt. Diese staatliche Steuerung bekommt man als Kind nicht mit, wir haben vor uns hingelebt, auf der Straße gespielt und hatten eine wunderschöne Jugend. Das Einzige, wo der Staat sichtbar wurde, war die Pflicht, am 1. Mai und am 7. Oktober (Republikgeburtstag) eine Rote Fahne rauszuhängen. Meine Eltern haben das nicht gemacht, und dadurch waren wir als Außenseiter bekannt.
Was ich nicht gut fand, war, zur Armee zu gehen. In der DDR war es wichtig, dass man mindestens drei Jahre zur Armee geht, wenn man was werden wollte. Aber ich war Punk und hatte eine große Fresse und hab gesagt: Leckt mich doch! Damit stand fest, dass meine Karriere zu Ende war, dass ich kein Arzt werde, was ich eigentlich wollte, dass ich kein Abitur haben werde, aber es war meine freie Entscheidung.
Punk im Osten/Feeling B.
Das Gute war, dass wir in Ost-Berlin so nah an West-Berlin waren und wir die westlichen Radiosender hören konnten. Wir haben John Peel aus England gehört und hatten dadurch dieselbe Musik, dieselbe Strömung wie die West-Punks. Wir waren ausnahmsweise einmal zeitgleich, sonst war die DDR immer zehn Jahre hinterher. Es wurde viel improvisiert, und es war sehr lustig, offen und lebensfroh. Das hatte nichts mit den Punks zu tun, die jetzt in der Fußgängerzone sitzen und betteln. Die Punks in dieser Zeit waren alle sehr wache, progressive Typen, die fast alle Musik gemacht, gemalt oder Gedichte geschrieben haben.
Ich hab angefangen, Musik zu machen, inspiriert von der Neuen Deutschen Welle – Trio, Ideal, Fehlfarben. In diese Richtung habe ich es auch versucht und gemerkt, dass ich nicht singen kann, deshalb hab ich immer Freunde singen lassen. Bei einem Konzert an der Schule von meinem Bruder wollte ich mit meinen Freunden spielen, und als sie die vielen Leute im Publikum gesehen haben, sagten sie: «Nee, spiel mal alleine.» Ein Trommler ist aufgestanden und meinte: «Okay, ich spiel mit. » Ich hab Keyboard gespielt und gesungen. Nach dem ersten Lied war schon die Hälfte der Leute gegangen. Beim zweiten Lied war auch der Trommler nicht mehr dabei. Nach dem dritten waren alle anderen Leute weg. Zwei Jahre später kam dieser Trommler wieder und sagte: «Ich gründe eine Band, willste mitspielen?» Bei der ersten Probe, ich wusste nicht, was ich spielen sollte, hab ich einfach die Tasten gedrückt und versucht, die Tonart zu finden. Diese Töne habe ich im Prinzip zehn Jahre weitergespielt, das war dann Feeling B. Wir waren keine richtige Band. Uns war völlig egal, ob wir gute Musik machen oder uns die Leute gut finden. Amateurbands sollten der Volksbelustigung dienen, und um das zu kontrollieren, wurde eine staatliche Einstufung gemacht, um zu sehen, ob das gesellschaftlich tragbar ist. Sonst hätten wir nur in Kirchen oder bei Privatpartys spielen dürfen, aber wir hatten Lust auf die großen Klubs. Vor einer Jury musste man sein Programm vorspielen, eine völlig absurde Veranstaltung. Dafür haben wir unsere Texte entschärft und uns ordentlich angezogen. Wenn wir dann über die Dörfer gefahren sind, haben wir natürlich ein ganz anderes Programm gemacht.
Die erste Punk-Generation waren Bands wie Planlos, Namenlos oder L’Attentat, die sind wirklich noch ins Gefängnis gekommen. Das hat Erich Honecker knallhart durchgezogen und sie wegen geringfügiger Vergehen eingesperrt. Wir gehörten zur zweiten Generation, die schon geduldet wurde, weil die DDR sich nach außen hin weltoffener zeigen wollte und gemerkt hatte, dass sie die Akzeptanz der Jugendlichen völlig verloren hatte. Als uns angeboten wurde, bei Amiga eine Platte zu machen, haben wir lange überlegen müssen, ob wir das machen, uns arrangieren mit der Staatsmacht. Wir haben’s gemacht, weil wir uns nie als richtige Punks gesehen haben, wir hatten dadurch das Gefühl, dass wir in der DDR alles machen konnten. Wir wollten zeigen, dass man auch innerhalb von Grenzen frei sein kann.
Der 9. November und das Jahr danach.
Wir durften schon vor dem Mauerfall im Westen spielen. Wir gingen davon aus, dass sie uns loswerden wollten. Am 9. November sind wir nach Mittag über die Grenze gefahren, in den Club gegangen, haben Soundcheck gemacht und sind noch spazieren gegangen. Das Konzert war ganz normal, erste Band, zweite Band, und als wir gespielt haben, wurde es auf einmal richtig voll. Wir haben es erst mal gar nicht richtig wahrgenommen, aber dann kamen so viele rein und einer hat geschrien: «Die Mauer ist offen!»Für mich war die größte Freude, wir spielen im Westen, die Mauer geht auf und was machen unsere Freunde? Sie kommen zu uns ins Konzert!
So ein Durcheinander, alle Möglichkeiten waren offen, man hatte Angst, etwas zu verpassen. Das Erste, was passierte: Ganz viele Leute haben eine Bar aufgemacht. In Prenzlauer Berg standen viele Wohnungen leer, man konnte einziehen und wohnen, man konnte Miete zahlen, man konnte es lassen, man konnte Cafés aufmachen – ohne Schanklizenz. In Berlin stand manchmal ein ganzes Mietshaus frei, ohne dass sich wer gekümmert hätte oder der Besitzer bekannt gewesen wäre. Dann haben wir nach westlichem Vorbild ein Haus besetzt. Von Anfang an waren Leute aus dem Westen dabei, weil sie das Wissen und die Frechheit hatten. Wir hatten immer noch die Gefängnisangst im Nacken. Die Westler hatten gleich eine Geschäftsidee und haben diese vermarktet. Sie haben sich auf uns ahnungslose Ostler gestürzt wie die Geier, weil wir jedes Geschäft mitgemacht haben. Später hat sich herausgestellt: Diese Leute sind im Westen schon überall rausgeflogen aus den besetzten Projekten, weil sie sozial unverträglich waren. Bei uns haben sie auf Chef gemacht und nach ein, zwei Jahren waren alle Clubs fest in westdeutscher Hand.»
Alles neu.
Die Bands und Musiker in der DDR hatten erst einmal Pause, weil niemand mehr eine Ost-Band hören wollte. Jetzt war nach zig Jahren endlich der Moment gekommen, wo man die echten Stones, UK Subs und Element of Crime sehen konnte. Wir haben gedacht, wir nutzen die Chance und spielen im Westen und sind völlig gescheitert. Es hat niemanden interessiert, es hat geheißen: «Letzte Woche war Sham 69 hier, dagegen seid ihr ganz schön scheiße.» In Nürnberg waren acht Mann im Publikum, und das waren acht Ostler, die sich gefreut haben.
Im Westen angekommen war Feeling B nicht mehr zeitgemäß. In der DDR haben wir gegen eine steife und verfestigte Regierung in einem Spaßland gearbeitet, und auf einmal war das Land rundum nicht mehr lustig, und unsere Art der Ironie hat nicht mehr funktioniert. Wir brauchten eine Band, die stärker ist, die durch diese Welt noch durchkommt und diese haben wir dann in der neuen Besetzung (als Rammstein) gefunden.
Das ausführliche Interview sendet Radio AUGUSTIN am 23. Dezember ab 15 Uhr auf Orange 94.0.
Hör- und Leseempfehlungen:
Feeling B:
Hea Hoa Hoa Hea Hea Hoa
Amiga/Buschfunk (Vinyl/CD)
Ronald Galenza & Heinz Havemeister:
Feeling B – Mix mir einen Drink
Schwarzkopf & Schwarzkopf 2010, 664 Seiten, 19,90 Euro
Flake: Heute hat die Welt Geburtstag
S. Fischer 2017, 352 Seiten, 20 Euro