Die Künstlerin Julischka Stengele erhält heuer den H13 Niederoesterreich Preis für Performance. Ihre Arbeiten widmen sich dem unverfroren fetten Körper und seiner schamlosen Existenzberechtigung.
Text: Julia Grillmayr
Foto: Magdalena Fischer
«In dieser Performance wird es anders sein, ich werde mich selbst als Schwerlast performen. Ich werde mich darin üben, eine Last zu sein», sagt Julischka Stengele über ihre Arbeit BALLAST / EXISTENZ. Die in Wien lebende Künstlerin ist «unverfroren fett», wie sie in ihrer Kolumne für das feministische Magazin an.schläge schreibt. Sie bekomme immer wieder vermittelt, sie, ihr Körper und ihre Lebensstil-Entscheidungen seien eine Belastung für die Gesellschaft. Gegenüber hochgewichtigen oder auch behinderten Menschen werde gesellschaftlich großer Druck aufgebaut. «Man hat den Eindruck, man muss sich extra leistungsfähig und gesund zeigen», sagt Stengele. Genau dies wird BALLAST / EXISTENZ konterkarieren. In der Performance macht sich Stengele den Vorwurf, eine Last zu sein, zu eigen und inszeniert sich lustvoll als Ballast.
Lebenswertes Leben. «Es kommt aus einer kapitalistisch-faschistisch-eugenischen Tradition, dass gewisse Körper als Ballast gerahmt werden; kranke, alte, behinderte», erklärt sie. Vor dem Hintergrund, dass rechte Politiken erstarken und auch, dass angesichts der Corona-Pandemie diskutiert werde, welche Leben lebenswert seien, sei es wichtig, diese Tendenzen sichtbar zu machen. Dieser Meinung ist auch die Jury des angesehenen H13-Preises für Performancekunst, der jährlich vom Kunstraum Niederösterreich vergeben wird – dieses Jahr an Julischka Stengele. Am 3. September nimmt sie in der Herrengasse 13 im ersten Wiener Bezirk den Preis entgegen und performt BALLAST / EXISTENZ.
Stengele arbeitet in unterschiedlichen Medien und versteht sich als Bildende Künstlerin, wobei das Performative eindeutig im Vordergrund stehe. In einer ihrer jüngsten Arbeiten, Not for Oscar (2019) – in Anspielung auf Oscar Wilde und sein mit Lippenstift bedecktes Grab in Paris –, versucht die Künstlerin möglichst ihren gesamten Körper mit roten Kussabdrücken zu stempeln und tritt dabei in Dialog mit dem Publikum. Gefragt wird nach der Handlungsmacht und Begehrtheit von Körpern, die immer als «das Andere» dargestellt würden.
Kunst ist Übersetzung.
«Manche Sachen liegen einem einfach. Bei mir ist es eine gewisse Körperpraxis», sagt Stengele. Am Anfang ihrer künstlerischen Arbeit war sie in der Amateurfotografieszene unterwegs und begann in diesem Rahmen als Aktmodell zu arbeiten. «In den Fotografien wurde ich zuerst von anderen inszeniert, dann habe ich begonnen, mich selbst zu inszenieren, und schließlich habe ich Sachen, die ich vorher in 2D gemacht habe, in den Raum gebracht.» Wenn man Kunst als Mittel der Kommunikation ernst nimmt, könne sie eine entscheidende transformatorische Kraft entwickeln und Performancekunst – «der gemeinsam geteilte Raum, das unmittelbare Miteinander, eine gewisse physische Energie» – sei dafür besonders geeignet.
Julischka Stengele lacht, als ich sie frage, ob ihre Kunst mit ihrem politischen Denken und Handeln zu tun hat. «Ich weiß gar nicht, wie das nicht zusammengehen kann», sagt sie. «In der Kunst geht es um Übersetzungsprozesse: Wie schauen wir auf die Welt und auf andere Körper. Die Künster_innen erzeugen visuelle Eindrücke, die die Betrachter_innen prägen.» Gleichzeitig macht sich Stengele keine Illusionen darüber, dass auch Kunst oft passiv konsumiert wird und nur in gewissen Kontexten besagtes transformatorisches Potenzial entwickelt. Vor einem homogenen und mit vielen Privilegien ausgestatteten Publikum, das sich von vornherein auf den Kunstkontext eingelassen hat, bewege sich weniger als bei ihren Interventionen im öffentlichen Raum oder ihren Workshops.
Fett ohne Scham.
Ein Workshop mit Julischka Stengele kann etwa so aussehen, dass sie in einem wunderschönen, fotobedruckten Pommes-Ganzkörperanzug Kaffee und Kuchen serviert und mit ihren Gästen über negative Körperbilder spricht – so geschehen bei der Fettverteilung (2016). Wie im Falle des aktiv Zur-Last-Werdens in Ballast/Existenz, handle es sich auch hier um eine affirmative Strategie. «Anstatt mich für meinen Körper zu schämen oder mich abzustrampeln, diesen Klischees nicht zu entsprechen, nehme ich sie an», erklärt Stengele. «Das funktioniert ziemlich gut für mich. Es ist lustvoll … und es provoziert unglaublich.» Die eigentliche Provokation geht also gar nicht direkt von ihrer Köperfülle aus, sondern von der Weigerung, sich dafür zu schämen – eben, nicht nur fett, sondern «unverfroren fett» zu sein. «Es ist nicht einfach, da hinzukommen, und der Prozess ist auch niemals abgeschlossen», sagt Stengele. Auch sie sei nicht frei von einem Leistungsanspruch, von dem Bestreben, professionell zu gelten, oder dem Wunsch, wertgeschätzt zu werden; und auch sie sei nicht komplett schambefreit.
Sehr intime Einblicke in Julischka Stengeles Leben erhält man auf der Internetplattform instagram, wo sie unter dem Namen @fatfemmefurious bloggt, nicht zuletzt auch aus dem Spital. Sie hat eine chronische Erkrankung, die sie regelmäßig zu Krankenhausaufenthalten zwingt. «Die Sozialen Medien schaffen ausreichend Distanz», erklärt sie. Im persönlichen, aber auch im beruflichen Umgang falle es ihr schwerer, dies zu thematisieren. «Aber irgendwann wurde die Krankheitslast so hoch, dass es gar nicht mehr möglich war zu verschleiern, dass ich krank bin. Auch das hat wieder neue Möglichkeiten aufgemacht.» So hatte sich Stengele auch schon früher gegen Klauseln in Arbeitsverträgen gewehrt, die sich vorbehalten, kein Honorar auszuzahlen, falls die Leistung nicht erbracht wird, und zwar nicht nur aus Eigenverschulden, sondern auch aus Krankheitsgründen. Was damals aus Prinzip geschah, ist für sie heute angesichts ihrer Krankheit zur Notwendigkeit geworden. Das löse nicht zuletzt Versprechen ein, die von Institutionen in puncto Barrierefreiheit gemacht werden. «Man kann sich das nicht auf die Fahnen schreiben und dann in der Praxis völlig anders agieren.»
Wellen schlagen.
Auf noch eine andere und spannende Weise hat Julischka Stengele die Körperklischees, die an sie herangetragen werden, in der Performance Bodies of Water aufgenommen, die sie Anfang des Jahres für das Tanzquartier Wien erarbeitete. Während es ihr sonst ein Anliegen sei, die Aussagen ihrer Stücke direkt zu vermitteln, stehe hier das Poetische im Vordergrund. Soundkulisse und Licht- und Videoprojektion vermitteln eine Nähe zwischen Stengeles Körper und Gewässern. «Meine Haut, mein Fett- und Bindegewebe schlägt Wellen. Ich bestehe selbst aus unterschiedlichen Flüssigkeiten, die hier auch zum Einsatz kommen. Es wird viel gewackelt und viel geschwabbelt», sagt Stengele lachend. «Das knüpft an die Einordnung meines Körpers als etwas Abartiges, Unnatürliches an.» Und damit werde sichtbar, dass die Trennlinien, was als «natürlich» und «unnatürlich» beziehungsweise «künstlich» verstanden wird, selbst menschengemacht, willkürlich und künstlich sind.
Julischka Stengeles Kunst ist immer mit einem gesellschaftlichen Engagement verknüpft. Es geht ihr weniger darum, möglichst viele Leute zu erreichen und von etwas zu überzeugen, als darum, eine Gemeinschaft aufzubauen, die solidarisch ist und sich unterstützt und innerhalb derer ein solches Engagement produktiv werden kann. Ein Einblick in diese Community wurde im Herbst vergangenen Jahres beim Festival Purrr!-Femme!-ance! – Queer Femininities in Action geboten, das, von Stengele kuratiert, auf den Gründen des Otto-Wagner-Spitals stattfand. Die Veranstaltung nahm auch die teils grausame Geschichte dieses Ortes auf.
Generell arbeitet Stengele oft orts- und situationsspezifisch. «Wenige meiner Arbeiten sind für den White Cube gedacht», sagt sie – und wenn dann, werden die weißen Wände der Kunstinstitutionen selbst zum Material – so geschehen in der Performance Musenaufstand (2017). Als ein tableau vivant im wörtlichen Sinn, holzgerahmt und nackt auf Seide drapiert, ließ sich die Künstlerin im Kunstraum Niederösterreich ausstellen – aber Achtung, diese Muse blickt zurück.
Julischka Stengele: BALLAST | EXISTENZ
Performance und Preisverleihung:
Do, 3. September, 19 Uhr
Ausstellung: bis Sa, 12. September
1., Herrengasse 13
kunstraum.net