«Ich wollte studieren»vorstadt

Lokalmatadorin

Vesna Kovaˇcevi´c vermittelt: zwischen Lehrer_innen und Kindern aus Roma-Familien. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)Es ist nicht so, dass verbale Attacken gegen Angehörige der Roma an Wiens Schulen verstummt wären. Gut erinnert sich Vesna Kovačević an eine Kollegin, die verärgert ins Konferenzzimmer einer Wiener Volksschule kam und lautstark kundtat, dass Roma-Frauen «nur Kinder gebären können». Die Kollegin sagt das heute übrigens nicht mehr. «Auch deshalb, weil ich ihr zu verstehen gab, dass sie mit so einer Aussage auch mich beleidigt.»

Wir sitzen in einem gepflegten Vorgarten einer Genossenschaftssiedlung im Norden von Wien. «Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich hier bin», wird Frau Kovačević später betonen. Die Frau eines Taxifahrers und Mutter einer Anglistik-Studentin ist angekommen. Wien ist ihr Zuhause. Hier fühlt sie sich wohl, hier wird sie auch dringend gebraucht.

«Ich bin eine Bejasch», erläutert die Schulmediatorin, die vom Romano ­Centro an Wiener Pflichtschulen entsandt wird, um Kindern aus Roma-Familien zu helfen. Als Bejasch kann sie sich mit den Kindern in ihrer Muttersprache unterhalten. Sie spricht Rumänisch – und Romanes kann sie verstehen.

Die gemeinsame Sprache schafft Vertrauen. Das ist wichtig. Denn es ist nicht so, dass alle Familien, mit denen sie zu tun hat, leicht zu betreuen sind. Warum sollte es bei den Roma anders sein? «Es gibt leider noch immer Eltern, denen die Einsicht fehlt, dass Schule eine Chance und Bildung ein Wert ist», will Vesna Kovačević nichts schönfärben.

In einer Roma-Siedlung aufgewachsen. Die Mediatorin weiß, wie das ist, wenn man von zu Hause nicht den Talenten entsprechend gefördert wird. Sie selbst ist in einer Roma-Siedlung, am Rande der zentralserbischen Kleinstadt Obrenovac aufgewachsen. Ihr Vater war dem Klischee entsprechend ein landesweit bekannter Akkordeon-Spieler. «Er wollte, dass ich die ganze Zeit mit ihm durch die Lande fahre und wir gemeinsam Konzerte geben. Das habe ich als Kind auch getan, aber ich wollte studieren, ich wollte so gerne eine Sozialarbeiterin werden. Das hat er nicht verstanden.»

Sie weiß auch, wie sich das Anders-sein-als-die-Anderen anfühlt. Als Schülerin hat sie sich oft für ihre Herkunft geniert.

Heute ist sie in solchen Schulen tätig, die von weitsichtigen Pädagog_innen geleitet werden; die erkannt haben: Viele Probleme lassen sich im Vorfeld lösen, bevor sie ein ganzes Leben zerstören. «Es kommt aber auch vor, dass ich aus anderen Schulen angerufen werde, mit der Bitte, in einem schwierigen Fall zu vermitteln.» Zum Beispiel, wenn ein Kind schon seit Wochen nicht mehr am Unterricht teilgenommen hat.

Nicht immer lassen sich die Fehlstunden der Kinder mit der Bildungsferne der Eltern erklären. Oft sind prekäre Familienverhältnisse dafür verantwortlich, betont die Mediatorin: «Wenn das jüngste Kind einer Alleinerzieherin krank wird und sie arbeiten gehen muss, muss das älteste Kind notgedrungen zu Hause bleiben.» Generell sei zu sagen: «Roma-

Kinder sind öfter krank, leiden öfter unter der Armut ihrer Eltern.»

Auch sie musste manche sozial bedingte Hürde nehmen: In Belgrad besucht sie eine technische Schule, die nicht ihre erste Wahl ist. Als sie dort als Verkehrstechnikerin diplomiert, beginnt vor ihrer Haustür ein blutiger Krieg, der viele Menschen tötet und nebenbei auch ihren Job killt. Nach den NATO-Bombardements auf Belgrad wandert sie mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in die USA aus, um in Chicago ein neues Leben zu beginnen. Ihr Mann verdient schön, alles läuft gut, ehe er krank wird und am eigenen Leib zu spüren bekommt, welchen Wert eine staatlich organisierte Gesundheitsversorgung darstellt.

«Er konnte sich die Operation nicht leisten», sagt seine Frau, die seit dem November 2012 ausgleichend in Wiener Pflichtschulen wirkt.

Auch wenn sie das so nicht geplant hat, schließt sich hier im Norden von Wien ein Kreis. Ihr Mann hat heute die Hecke geschnitten, sie hat Kaffee gekocht. Stolz zeigt die Mediatorin dann ein Video auf ihrem Mobiltelefon. Zu sehen ist ihre Tochter, die vor einem EU-Gremium in Brüssel spricht. Die selbstbewusste Studentin tritt schon seit Längerem ehrenamtlich für die Rechte ihrer Volksgruppe ein.

300 Fehlstunden. Braucht man Roma-Schulmediator_innen in Wien? Die Frage zum Kaffee ist falsch gestellt, sie muss lauten: Warum gibt es nicht mehr Menschen wie Vesna Kovačević? Sie erzählt von einem Buben, der zu Beginn des Schuljahrs schnell einmal 300 Fehlstunden beinander hatte. «Ich habe mit ihm lange gesprochen, auch mit seinen Eltern und seiner Lehrerin.» Gut so: Der Bub hat noch nicht alles aufgeholt, aber er ist inzwischen auf einem guten Weg. «Manchmal sind es auch Missverständnisse, die ich auflösen kann.» Weil Menschen mit unterschiedlichen Muttersprachen nicht gleich bemerken, wie sie aneinander vorbeireden.

In den Unterrichtseinheiten mit den Kindern versucht sie, deren Neugier zu erwecken. Mit der Neugier kommt auch das Vertrauen in die eigenen Stärken. Und da ist er wieder, ihr Wunsch, künftig als Sozialarbeiterin zu arbeiten. An praktischer Erfahrung fehlt es der Schulmediatorin nicht, sie müsste noch einmal selbst zur Schule gehen. Aber warum eigentlich nicht? Mehr zur Roma-Schulmediation unter:

www.romano-centro.org.

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