Mascha Dabić: Dolmetscherin, Übersetzerin, Autorin
Mascha Dabić kann zwischen vier Sprachen dolmetschen. Mit «Reibungsverluste» legt sie ihren ersten Roman vor. Der Beginn einer literarischen Karriere? Lisa Bolyos (Interview) und Carolina Frank (Fotos) haben sie zum Gespräch getroffen.
Bisher hast du vor allem gedolmetscht und übersetzt, und auf einmal hast du einen Roman geschrieben. Wieso?
Ich beschäftige mich mit dem Thema seit zwölf Jahren, für mich ist es nicht: auf einmal, sondern eher: endlich. Ich schreibe seit über einem Jahrzehnt eine Doktorarbeit zu «Dolmetsch in der Psychotherapie», und ich habe festgestellt, dass vieles in der Wissenschaft nicht ausgedrückt werden kann, weil man von dem ausgehen muss, was als Interview oder Text oder Ergebnis vorliegt. Die Literatur, die Fiktion bietet die Möglichkeit, in die Köpfe hineinzuschauen und auszuloten, was das Gedachte, was das Ausgesprochene und was das Verstandene ist.
Das Leben der Nora in deinem Roman, die in der Psychotherapie vor allem für tschetschenische Flüchtlinge dolmetscht, wirkt sehr verwandt mit deiner Arbeitsrealität.
Es ist natürlich meine Wahrnehmung dieser Tätigkeit, die da zum Ausdruck kommt. Aber es gibt keine einzelne Geschichte darin, die stimmt. Es ist alles erfunden, vom Anfang bis zum Ende.
Wie unterscheidet sich dein Arbeitsalltag von dem von Nora?
Ich habe nicht wirklich einen Alltag. Ich arbeite an verschiedenen Stellen und viel auch zu Hause. Ich dolmetsche, aber ich übersetze auch viel Literatur. Vor zehn, zwölf Jahren, als ich viele Stunden in der Psychotherapie gearbeitet habe, war mein Leben dem von Nora sicher ähnlicher; von der Grundstimmung, kann man sagen, ist der Roman schon autobiografisch.
An einer Stelle beschreibst du, warum die Sekretärinnen immer Erika und Svetlana heißen. Da hatte ich das Gefühl, Klasse ist in der Namensgebung eine relativ offensichtliche Kategorie – die lässt du aber ganz aus.
Die Idee war eher, dass einen der Name beeinflusst, mit dem man ständig gerufen wird. Je nachdem ob man einen lieblichen oder einen herben Namen hat, wird man oft auch so wahrgenommen. Dann gibt es wieder Namen, die sind irgendwie respekteinflößend. Aber das ist letzten Endes völlig spekulativ.
Die Arbeit ist in deinem Roman zentral, die Arbeitsverhältnisse sind es weniger.
Doch, es kommt zum Beispiel vor, dass die sogenannte Stehstunde, in der man Zeit überbrücken muss, mit nur elf Euro beglichen wird. Es ist ein prekäres Arbeitsverhältnis, so wie der gesamte Asylbereich für Dolmetscher ein prekäres Arbeitsfeld ist. Ein Grund ist natürlich, dass man den Bedarf nicht hundertprozentig einplanen kann. Die Kundschaft, wenn man so will, ist fluktuierend.
Wann hast du mit dem Dolmetschen für Flüchtlinge in der Psychotherapie begonnen?
Mit 22 oder 23, vor zwölf Jahren. Es war überwältigend. Es war echt nicht ohne. Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass es so eine Arbeit gibt. Durch die lange Zeit, die ich drangeblieben bin, habe ich natürlich vieles gelernt. Aber es hat nie aufgehört, interessant zu sein – und auf eine Art auch schwierig. Einmal habe ich zwei Jahre Pause gemacht, als ich dachte, jetzt hab ich genug; und dann habe ich gemerkt, es fehlt mir.
Der Nora in den «Reibungsverlusten» merkt man manchmal die Ungeduld an. Kennst du die Schwierigkeit, nicht zu interpretieren, dem Impuls zu widerstehen, einen Satz statt der Klientin «fertigzustellen»?
Es war eine Herausforderung, das zu lernen: Abstand zu nehmen vom Interpretieren. Im Studium lernt man viel mitzudenken, durchaus auch zu ergänzen oder zusammenzufassen, kurz: den Text zu verschönern. Das ist Teil der Dolmetschperformance. In der Psychotherapie muss man versuchen, das alles wieder bleiben zu lassen. Die Aufgabe ist, die Unterlassung zu vollziehen; der Verführung zu widerstehen, etwas zu verbessern oder zu verschönern.
Nora bereitet es Schwierigkeiten oder zumindest Kopfzerbrechen, wenn es darum geht, Täter-Erzählungen zu übersetzen.
Es ist sicher leichter, seine Dolmetschkapazitäten für ein Gespräch zu mobilisieren, wenn man sich so richtig innerlich einverstanden fühlt: Das mache ich gerne, der Person bin ich gerne ein Sprachrohr – da ist man motivierter. Dann gibt es Gespräche, da kostet es eine gewisse Überwindung, in der Ich-Form zu bleiben und Dinge zu sagen, die einem einfach widerstreben. Es muss auch nicht so etwas Drastisches wie ein Täter oder ein Folterer sein, sondern einfach, dass man inhaltlich nicht einverstanden ist. Da muss man sich manchmal mehr, manchmal weniger überwinden. Aber Tatsache ist, man muss sich überwinden, wenn man einmal gesagt hat, man wird dolmetschen.
Du hast selbst eine Fluchtbiografie und bist 1992 nach Innsbruck gekommen. Hast du dich damals gut versorgt gefühlt?
Mein Vater hat zufällig zu der Zeit in Österreich gearbeitet; wir sind also schon als Kriegsflüchtlinge gekommen, aber ich war nicht in einem Lager untergebracht. Deshalb kann ich nicht beurteilen, wie die staatliche Versorgung war – auch nicht im Vergleich zu heute.
Wenn du aktuell Kinder ankommen siehst, hat das mit dir zu tun?
Ja, das trifft mich schon sehr, muss ich sagen. Wirklich, 2015, da ist mir die Luft weggeblieben. Ich habe mich inzwischen als Medienkonsumentin auch daran gewöhnt, aber es hat mich sehr getroffen. Und ich habe auch an mir selber gemerkt – ich bin nicht stolz drauf –, dass ich nicht einmal die Energie hatte, so aktiv zu sein, wie ich es eigentlich gerne gewesen wäre; es hat mich einfach gelähmt. Doch, es trifft schon was Biografisches.
Interessant ist, dass du jahrelang professionell dolmetschen kannst, und in dem Moment trifft’s dich.
Das Dolmetschen macht natürlich auch was mit den eigenen Erinnerungen, aber in einem geordneten Rahmen, geschützt durch die Abläufe, dadurch, dass man weiß, das Gespräch dauert immer eine Stunde und man kann sich nachher mit der Psychotherapeutin austauschen. Sich aber wirklich dem gegenüber zu sehen, dass da Massen sind und gar nichts mehr leicht zu ordnen ist – das trifft mich, weil ich mir vorstellen muss, wie groß die Aufgabe für diese Leute sein wird, die nächsten Jahre und Jahrzehnte lang. Was wird aus den Kindern werden? Wie werden sie ankommen? Was für Geschichten werden sie in zehn Jahren schreiben? Ich hoffe, dass sie so wie unsere Generation die Möglichkeit zur Auseinandersetzung haben werden – auch zur künstlerischen –, die sehr wertvoll ist: um besser zu verstehen, was politisch passiert ist und wie sich das zur eigenen Biografie verhält.
Du hast unter anderem Barbi Marković übersetzt. Wie bist du dazu gekommen?
Ich habe die Barbi bei einer Lesung kennengelernt, das ist auch schon – oh mein Gott, wie alt sind wir geworden! – zehn Jahre her. Sie hat ihren Text «Ausgehen» auf Serbisch vorgelesen. Ich bin in gewisser Weise Thomas-Bernhard-Fan, ich mag diese Sprache. Was sie daraus gemacht hat, dieses Experiment hat mir total gefallen. Und so haben wir überlegt, wie sie ja auch schon millionenfach in anderen Interviews erzählt hat: Wie wäre es, zu probieren, den Text ins Deutsche zurück zu übertragen, was für ein Text würde da herauskommen, in der Sprache von Bernhard? Das war wirklich ein Herzensprojekt, und es war auch meine erste literarische Übersetzung.
Wie war das für sie, den Text abzugeben?
Damals hat sie noch nicht so gut Deutsch gesprochen, da war es also eine Notwendigkeit. Inzwischen schreibt sie auch auf Deutsch und braucht keine Übersetzung mehr – leider, kann ich nur sagen, weil ich es liebe, ihre Texte zu übersetzen.
Kam aus der Übersetzungsarbeit auch die Lust zum Schreiben?
Ob das literarische Übersetzen und das literarische Schreiben zusammenhängen? Ich weiß es nicht. Ich bin von der Ausbildung her Übersetzerin und wollte immer übersetzen und habe immer übersetzt und werde auch weiter übersetzen, hoffe ich.
Wie prekär ist das?
Das ist auch eine freiberufliche Tätigkeit. Das literarische Übersetzen ist um einiges schlechter bezahlt als das Fachtext-Übersetzen – konkret kommt man auf ein Drittel. Das ist eben auch ein künstlerisches Biotop, wo viel von der Selbstausbeutung gelebt wird, wie immer bei Kunst und Kultur. Als Brotjob arbeite ich an der Uni, da habe ich eine Lehrstelle.
Was kriegt man am Ende raus, wenn man so einen Roman schreibt?
Als Autorin kriegt man 10 Prozent des Verkaufspreises, das war’s. Das ist letztlich weniger als das, was man fürs Übersetzen bekommt. Ich hatte zum Schreiben das Staatsstipendium, aber ich sehe die Sache so: Es ist besser, man hat eine Erwerbsarbeit und ist nicht so abhängig von der eigenen Kreativität. Ich weiß nicht, ob ich das könnte; ob mir überhaupt noch so viel einfallen würde im Leben. Ich glaube nicht. Es ist dieses eine Thema, an dem ich seit über einem Jahrzehnt laboriere, und das war’s jetzt. Ich würd nicht darauf wetten, dass da noch was kommt, ganz ehrlich. Auch wenn es Spaß gemacht hat.
Mascha Dabić: Reibungsverluste
Edition Atelier, 2017
152 Seiten, 18 Euro