«Ich wusste, sie werden das Stück vernichten»Artistin

Wenn das 3raum-Anatomietheater im dritten Bezirk kein Provisorium wäre ...

Ein für sieben Jahre abgeschlossener Pachtvertrag ermöglichte Alexandra Reisinger und Hubsi Kramar, in anregenden Räumlichkeiten der Musikhochschule den Beweis zu liefern, dass die sich die Subversivität von Theatermachen noch nicht erschöpft hat. Im Gegenteil, dass Theaterkunst gesellschaftsrelevant ist, erkennt man am besten daran, dass es überall dort, wo staatliche Bankenrettungspakete geschnürt werden, dem kritischen Theater an den Kragen geht.

Martha Labil ist komisch. Ich kenne keine Schauspielerin, die komischer ist als sie. Komischerweise assoziiere ich immer Robert Walser, wenn ich Martha Labil agieren sehe. Ihm war im anderen Genre dieselbe Art von Komik eigen. Stehen Sie sogleich ab von dem Wunsch, meine Bekanntschaft zu machen. Ich müsste Ihnen gegenüber die notwendige Höflichkeit hervorkehren; und das eben möchte ich vermeiden, da ich weiß, dass artiges und manierliches Betragen mich nicht kleidet. So schrieb Robert Walser. Labils Agieren auf der Bühne ist absurd wie Walsers Überlegungen, nämlich überhaupt nicht sensationell absurd, sondern im Vorübergehen absurd. Dass sie die Programmbeiträge der einzelnen Trauernden für das Begräbnisfest des 3raum-Anatomietheaters (die sie noch gar nicht alle kennt) zu einem großen, schönen, absurden Ganzen zusammenfassen wird, beweist ein letztes Mal in der Beatrixgasse Hubsi Kramars Gespür für die angemessene Qualität von Überraschungen.

Der Vertrag mit der Stadt läuft aus. Hubsi Kramar und Alexandra Reisinger, die das der Musikhochschule gehörende großdimensionale, dreisälige Anti-Mainstream-Etablissement als Zwischennutzer_innen sieben Jahre lang betrieben, beenden einen Lebensabschnitt mit Seufzern der Entledigung; der Flohmarkt vom 9. bis 11. November für die Entsorgung der kleineren, die Versteigerung am Abend des 9. November für die Entsorgung der gewichtigeren Wertsachen und die letzten künstlerischen Begehungen der Räumlichkeiten, von Martha Labil koordiniert, all das wird ein gleichermaßen trauriges wie skurriles Festival der Zurücknahme werden.

 

Dass Hubsi Kramar, wie auch dem Theaterkritiker der «Süddeutschen» auffiel, «höchst frei und eigenwillig abseits des Mainstreams statt mit Stars mit Laien, Obdachlosen, Asylanten, Missbrauchten agiert, unbekümmert um künstlerische Trends und nach dem Motto to whom it concerns», brachte ihn in die Nähe des Augustin und seiner Verkäufer_innen. Das meistdiskutierte Stück des 3raum-anatomietheaters, der Kunstaufreger des Jahres 2009 mit dem ursprünglichen Namen «Pension Fritzl», machte Hubsi Kramar, der in diesem Fall selbst die Regie übernommen hatte, schlagartig in aller Welt und in der deutschen «Welt» bekannt. Ein Kritiker dieses Revolverblattes urteilte: «Was man zu sehen und zu hören bekommt, ist unter aller Kritik: eine Trash-Revue, eine Schlingensief-Freakshow für ganz Arme.» Der Dünkel des konservativen Salons gegenüber sozialen Schichten, die keinen Zugang zur Hochkultur fänden, wird hier evident. Nicht nur des konservativen Salons! «Ich habe bei der Premiere die versteinerten Gesichter stadtbekannter liberaler Kritiker, also die Gesichter der Qualitätsmedien gesehen, als sie frontal mit unserer bunten Theatercrew konfrontiert waren», sagt Kramar. «So viele sichtliche Opfer, so viele Verlierer auf der Bühne, so viele Laien, das haben die nicht gepackt. Ich sah ihre Blicke und wusste, sie werden das Stück vernichten.»

Die Wiener Revolverpresse sprang in die Falle

Der wesentlichere Grund, warum die Medien das Stück vernichteten, war jener denkwürdige Premiereabend der «Pension Fritzl», in der die patriarchale, doppelmoralische, pornografierende Praxis der Medien vorgeführt wurde bis zur absoluten Peinlichkeit. Es war die Premiere einer Mediensatire über die Vermarktung des monströsen Falls von Amstetten, diesen Josef Fritzl, von dem damals jeder und jede wusste, dass er seine Tochter 24 Jahre im Keller unter einem Amstettener Einfamilienhaus gefangen hielt, sie vergewaltigte und so sieben Kinder zeugte. In Kramars Theater erwartete man sich ein Vorspiel zu dem bald beginnenden Prozess in St. Pölten, der tatsächlich weltweit beobachtet wurde.

 

«Die Wiener Revolverpresse begann mit einer Diffamierungskampagne gegen den Theaterleiter nach altem Wiener Brauch, stilisierte ihn selbst auch zum Monster, und die internationalen Medien begannen sich, wenn auch wesentlich stilvoller, auf das Projekt einzuschießen», hieß es in der «Süddeutschen». Hubsi Kramar könnte tagelang zitieren, wie sich das Hubsi-Kramar-Bashing entfaltete. Ohne einen Satz des Stücks «Pension Fritzl» zu kennen, hatten die Mainstreammedien gegen die Fortsetzung der Gewalt gegen die Fritzl-Opfer gepredigt, die diesmal vom linken Theatermacher ausgehe. 120 Journalist_innen strömten zur Premiere, um sich die Legitimierung ihrer scheinheiligen Kampagne zu holen. Dort mussten sie sich vom Regisseur sagen lassen, worin die Show bestehe. Sie selber und ihre Texte seien die Show.

 

Ich kann mich an Kramars souveränen Premieren-Auftritt im Blitzgewitter der rund 60 Kameras erinnern, als ob er gestern passiert wäre. «Sie sind die Schriftsteller des Stücks. Sie schreiben dieses Stück und haben schon brav vorgearbeitet, und ich verstehe auch, warum Sie mich nicht zu dem Stück gefragt haben: weil Sie ja den Text kennen», ätzte der Buhmann der Nation. Dass überhaupt wer auf den Gedanken komme, dass jemand wie er eine Inzest-Komödie gemacht hätte, zeige, wie neurotisch die Gesellschaft sei. «In meiner Satire geht es darum, dass WIR die Fritzls sind; in keiner Aussendung von uns stand, dass es in dem Stück um die Familie des Josef Fritzl ginge. Die Medien haben über eine Produktion geschrieben, von der sie keinen Satz kennen. Es geht in dem Stück um das Thema der patriarchalischen Gesellschaft, die Gewalt wie sie in dem Keller von Amstetten passierte immer hervorbringt. Für die Medien ist das nur interessant, wenn man es pornografisieren kann, wenn man Wixvorlagen liefern kann. Österreich ist Fritzl-Land. Nicht wegen des konkreten Josef Fritzl der ist ja bloß eine Ausformung der strukturellen Gewalt im Patriarchat. Es geht um den Fritzl in uns.»

 

Premieren, zu denen normales Theaterpublikum keinen Zutritt hatte, weil sensationswitternde Journalist_innen die Tribünen füllten, zählten natürlich nicht zum «Alltag» des Theaters. An politischer Relevanz und Brisanz mangelte es jedoch nie. Die Regisseurin Asl Klal zertrümmerte mit ihrer Interpretation von Richard Schuberths Stück «Wie Branka sich nach oben putzte» die Klischees des Gutmenschen und ihrer ebenso stereotypen Zwangspartner, der armen, lieben, schützenswerten Ausländer. Auch eine Sternstunde im 3raum-Anatomietheater, nur war diesmal nicht die Boulevardpresse Objekt des künstlerischen Frontalangriffs, sondern die Linke mit ihren Bewertungsschablonen. Branka, die Putzfrau aus Serbien, verspielt bald den Multikulti-Bonus, den ausländerfreundliche Urbane gerne verteilen. Sie ist weder gut noch böse. Ihre Figur zeigt, dass Migrant_innen nicht von Vornherein gut sein müssen, nur weil das fortschrittliche Theaterpublikum den Impuls hat, sie vor den bösen Rassist_innen zu schützen. «Migrant_innen sind auch nur Menschen, die zu unfeinen Mitteln greifen können, wenn sie marginalisiert werden», meint dazu der Autor.

 

«Nackt bin ich gekommen, nackt gehe ich»

Dazu brauchten wir Kramars Theater: als einen Ort der Wiedervermählung von Revolte und Poesie. Groß ist der Verlust. Traurig wird vor allem das Publikum sein; die beiden Betreiber_innen ungebrochen, aber ausgebrannt werden das dauerhafte Provisorium ihrer Selbstausbeutung nicht vermissen, schätze ich, für welches das Kulturressort der Stadt Wien durch die skandalöse Untersubventionierung verantwortlich zeichnet. Ich frage nach, ob meine Vermutung stimmt. «Nackt bin ich gekommen, nackt gehe ich», zitiert Hubsi Kramer irgendjemanden, ich will nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit googeln. «Es wird eine große Erleichterung sein. Hab ja insgesamt schon 40 Jahre Theaterschufterei hinter mir eine Schufterei gegen den Strom.» Die häufigen 18-Stundentage im 3raum-Anatomietheater seien für ihn und seine Partnerin Alexandra Reisinger nicht sehr gesundheitsfördernd gewesen. «Das Beste daran war, dass ich dadurch am Boden geblieben bin, auf Augenhöhe mit den Menschen, bei denen alles schief gelaufen ist. Wir Theatermenschen sind im Grund dieselben armen Würsteln. Ich habe ja mit der Alexandra wirklich alles gemacht vom Putzen, Hausmeistern mit den vielen Schlüsseln etc. Für die Kunst war da ja nicht sehr viel Zeit, zum Glück bin ich schnell und liebe Improvisationen obwohl ich gleichzeitig auch Perfektionist bin, mit dem Wissen, dass es nichts Fruchtbareres gibt als das Chaos.»

 

«Und nun gehst du in die Pension?», frage ich. Hubsi Kramar lacht: «Es ist nicht so notwendig, mich zu erholen, da ja die Begeisterung, die wir empfangen haben von einem Publikum, das uns gestürmt hat, für mich eine ständige Energiezufuhr war vor allem jetzt, wo es ans Abschiednehmen geht. Wir haben gegeben und wir haben genommen.» Für seine Arbeit sei der Begriff «Kommunikation» immer wichtiger als der Begriff «Theater» gewesen auch wenn er «mit sehr viel Techniken, Methoden und Erfahrungen bezüglich Theatermachen» vertraut sei. Jedenfalls. Ausgebranntsein ist anders, denke ich mir nun; denn Hubsi Kramar zählt mir die kommenden Projekte auf: den «Lebenden Adventkalender» im Palais Kabelwerk vom 12. bis 15. Dezember, die Wolfgang-Bauer-Gala im Rabenhoftheater im März 2013 und wieder ein dichteres Engagement für Film und Fernsehen. Außerdem will er dem Augustin einen unentgeltlichen Schauspiel- und Theatermacherkurs für Augustin-Menschen und andere Outlaws anbieten. So gesehen ist es nicht einmal eine Katastrophe, dass aus dem 3raum-Anaotmietheater eine Bibliothek der Universität für Musik entstehen soll, wie zu hören ist.

 

Kramars Perspektive ist nicht unbedingt meine. Ich bin konservativ und wünsche mir die Bewahrung: dass die Location in der Beatrixgasse ein Freiraum für subversive Kunst bleibe. Die einzig gerechte demokratische Rache für die Sparpolitik gegenüber der freien Theaterszene wäre die Besetzung des 3raum-Anatomietheaters. Hubsi Kramar hat Mitleid mit mir und bewahrt mich davor, an der Illusion weiterzuspinnen: Wer könnte im kommenden Winter, fragt er rhetorisch, annähernd erträgliche Temperaturen in den hohen Hallen der drei Säle finanzieren? Ich kapiere die Botschaft. Um 18 Grad Celsius zu erreichen, musst du dich schon in eine Abhängigkeit begeben …