«Ihr hängt da alle mit drin»tun & lassen

Beim Augustin können wir von Inseratenaffären in Millionenhöhe nur träumen. Wie man zu solch freundschaftlichen Deals kommt und warum sie weder dem Journalismus noch der Politik gut tun, darüber sprechen wir mit dem Medienwissenschaftler Fritz Hausjell.

Interview: Lisa Bolyos
Foto: Jana Madzigon

Das «Projekt Ballhausplatz», öffentlich geworden durch die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), sollte Sebastian Kurz in 61 Schritten zur Macht führen. Schritt 36 und 37 widmen sich der Pressearbeit: «Meinungsumfragen, Medienkooperation (Inserate etc.)», wurde da notiert. Nun sind Strategien zur parteipolitischen Machtübernahme erst einmal nichts Neues.­ Was ist in diesem speziellen Fall so demokratiegefährdend?
Fritz Hausjell: Demokratiegefährdend ist der Missbrauch von klassischen Medien. Zuseher_innen und Leser_innen dürfen sich eigentlich erwarten, dass die Informationen, die sie, egal ob gegen Bezahlung oder gratis, bekommen, Journalismus sind, und nicht gesteuerte Information. Eine liberale Demokratie baut auf Gewaltentrennung auf – Politik und klassische Medien müssen hundertprozentig voneinander unabhängig agieren können. In dem System, wie es die türkise Partei unter der Führung von Sebastian Kurz jetzt praktiziert hat, wurde dieses Prinzip stark angegriffen.

Um genau solches Geschäftsgebaren zu verhindern, wurde 2011 das Medientransparenzgesetz beschlossen. Angesichts des jetzigen Desasters könnte man meinen: Es braucht keine Transparenzgesetze, sondern Zufallsfunde wie das Handy von Thomas Schmid. Muss das Gesetz novelliert oder nur ordentlich angewendet werden?
Das Medientransparenzgesetz war eine halbherzige Lösung. Die Debatte darüber ist ja parallel zur Weltwirtschaftskrise 2007/2008 so richtig in Gang gekommen, also vor dem Hintergrund, dass auch große Medienhäuser aufgrund der wegbrechenden Werbung durch die Privatwirtschaft in ziemliche finanzielle Turbulenzen geraten sind. So war das Gesetz am Ende ein Zugeständnis gegenüber den Verlagen, die auf jeden Fall Inserate von der öffentlichen Hand haben wollten, weil die ein wichtiger Beitrag zur Erlösstruktur waren. Herausgekommen ist ein Kompromiss: Ihr pfuscht uns nicht rein, wir inserieren weiter, wie wir wollen, und ihr habt euer Medientransparenzgesetz.
Ich habe schon damals darauf hingewiesen, dass das vorgesehene Gesetz nicht ausreichen wird, um prüfen zu können, ob öffentliche Inserate berechtigterweise und angemessen eingesetzt werden. Angemessen kann heißen, nicht zu viel, aber es kann auch heißen, nicht zu wenig. Ich kann auch politisch den Fehler begehen, ein großartiges Angebot zu machen, es aber nicht ausreichend zu kommunizieren. Dann kann eine Überprüfung des Rechnungshofs, ob hier mit dem Einsatz der gegebenen Mittel effizient Politik betrieben wurde, auch ergeben, dass zu wenig in die Bewerbung der Maßnahmen investiert wurde.

Der Rechnungshof prüft erst, wenn das Geld schon ausgegeben ist. Welche Instanz kann die Sinnhaftigkeit von Inseratenschaltungen im Vorhinein prüfen?
Das Parlament. Zu überprüfen sind die Mediapläne und die Kommunikationsziele, die erreicht werden sollen. Allein wenn diese Dinge in regelmäßigem Abstand dem Parlament vorgelegt werden, führt das zu einer entsprechenden öffentlichen Auseinandersetzung. Und natürlich braucht es bei einem ausgewählten Teil der Kampagnen eine umfassende Evaluierung, mit Umfragen, ob die zu kommunizierenden Inhalte bei den Bevölkerungsgruppen, die ich adressiert habe, angekommen sind. Diese Evaluierung dient dem Zweck, dass künftige Kampagnen treffsicherer werden, aber sie sichert die Regierung auch gegen den jetzt im Raum stehenden Vorwurf ab, sie würde eine Günstlingswirtschaft aufziehen, inklusive Bestrafung von jenen, die nicht konform berichten. Weil Horst Pirker es zum Glück öffentlich gemacht hat, kennen wir zum Beispiel den Fall der VGN-Gruppe, die für alle ihre Medien plötzlich keine Inserate vom Finanzministerium mehr bekommen hat. Medien werden dafür sanktioniert, dass es bei ihnen eine geschlossene Tür zwischen Anzeigenabteilung und Redaktion gibt. Was strukturell in vielen Medien leider eh nicht mehr der Fall ist, und auch das ist verheerend für die Branche.

Statistiken zeigen steigende Ausgaben für Inserate. Ist das ein Phänomen, das mit dem Entstehen des Gratis-Boulevards zu tun hat?
Diese zwei Dinge sind jedenfalls in einer wechselseitigen Beziehung zu sehen, aber um den Zusammenhang konkret beurteilen zu können, fehlen uns in der medienökonomischen Forschung die Zahlen. Die massive Förderung des Boulevards durch Inserate begann mit Werner Faymann. Zuerst auf Wiener Stadtebene als Wohnbaustadtrat, dann als Bundespolitiker. Heute ist im Umfeld der SPÖ als drittes Boulevardblatt gegründet worden. Um die Finanzierung dafür verbessern zu können, musste die rote Stadtregierung die anderen Boulevardblätter auch entsprechend bedienen. Und es hat sich bald herausgestellt, dass die öffentlichen Inserate nicht nur von der Stadt Wien und der Bundesregierung, sondern auch von politisch anders Geprägten – z. B. der niederösterreichischen Landesregierung – genützt wurden, um ebenso primär in den drei großen Boulevardriesen zu inserieren. Allmählich wurde dieses Instrumentarium dann auch in die andere Richtung genutzt – es entstand ein Anspruchsdenken. Die Boulevardmedien haben sich wechselseitig genau beäugt, wer kriegt wie viel, und sie haben Druck gegenüber der Politik gemacht: Wenn die so viel kriegen, müssen wir zumindest so viel kriegen, unsere Reichweite ist größer, wir schreiben viel über euch – und wir könnten auch weniger schreiben. So hat, will man den Klagen mancher Politiker_innen aus der Zeit Glauben schenken, eine moderate bis heftige Erpressungsgeschichte begonnen. Ich habe damals vielen Politiker_innen den Ratschlag gegeben: Geht auf eine Objektivierungsebene. Das ist der einzige Weg, wie ihr aus der Nummer noch rauskommt. Ihr hängt da alle mit drin.

Der Inseratenskandal ist ja nicht zuletzt ein Ärgernis, weil durch Inserate­ Medien finanziert werden, die nichts zur Demokratisierung beitragen.
In der öffentlichen Debatte geht es hauptsächlich um zwei Dinge, die ich für begrenzt sinnvoll halte: einerseits darum, wie hoch die Ausgaben für Inserate im internationalen Vergleich sind. Wenn ich in manchen Bereichen radikal mit Politik ins Verhalten großer Bevölkerungsgruppen eingreife, brauche ich aber Werbung. Nehmen wir an, die Stadt Wien will die Bevölkerung dazu bringen, vom Individual- auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen – da genügt es nicht, zu informieren, man muss werben. Man hat ja mit der Autoindustrie auch einen Gegenspieler, der viel Geld in die Werbung steckt, und zwar tagtäglich. Die zweite Frage ist, wer bei der Inseratenvergabe bevorzugt wird – und da zeigen die sogenannten Qualitätsmedien gern auf den Boulevard, obwohl sie selber oft gar nicht so schlecht aussteigen. Ich habe das Boulevard-Bashing ein bisschen satt, ich bin kein grundsätzlicher Gegner des Boulevardjournalismus, und ich glaube auch nicht, dass der zwingend rassistisch oder frauenfeindlich sein muss.

Was spricht für den Boulevard?
Der Boulevard ist historisch so entstanden, dass der Vertrieb öffentlich war: auf den Boulevards. Das hat nötig gemacht, dass man eher mit großen Schlagzeilen arbeitet. Der Boulevard hat mit seinen kürzeren Geschichten und seiner höheren Komplexitätsreduktion immer darauf abgezielt, Menschen zu erreichen, die wenig Zeit haben, um Medien zu nützen. Menschen, die lange Arbeitstage hatten und sich dann noch ausführlich um den Reproduktionsbereich kümmern mussten. Daher hat die Arbeiter_innenbewegung auch sehr früh in Boulevardmedien investiert. In der Ersten Republik gab es nicht nur die Arbeiter-Zeitung, sondern auch das Kleine Blatt. Das war von der inhaltlichen Linie das Gleiche, aber die Geschichten waren kürzer, pointierter, es war unterhaltsamer. Erst in der Zweiten Republik ist im Boulevard etwas entstanden, was davor so nicht typisch war: Politik ist pfui. Wir haben aufgrund der Ergebnisse des Bildungssystems nach wie vor eine hochgradig durch soziale Diversität gekennzeichnete Gesellschaft. Ich zum Beispiel, Akademiker mit ausreichend Einkommen und ausreichend Freizeit, habe den Luxus, viel lesen zu können. Da kann man dann ganz locker die Süddeutsche, die Zeit, den Falter und auch den Augustin lesen – der übrigens erstaunlich lange Geschichten bringt, obwohl er sich selber Boulevardzeitung nennt; aber das wohl aufgrund des Vertriebs auf der Straße. Ich bin der Meinung, dass es den Boulevard – in Print oder digital – braucht, und dass die österreichische Publizistik am linken Flügel unglaublich lahmt.

Offensichtlich bleibt, dass man die ­Inseratenvergabe wieder in den Griff kriegen muss. Ganz abschaffen, ­Kontingente einführen, welcher Weg führt Ihrer Ansicht nach zum Ziel?
In der Pandemie die öffentlichen Inserate auf null zu fahren, wäre eine Katastrophe. Was uns da abverlangt wird, muss mit einer Kampagne begleitet werden, aber diese Kampagne müsste auf spezifische Zielgruppen abgestimmt werden – und das passiert nicht. Es ist aber auch klar, dass es für Normalzeiten des Regierens, also außerhalb einer Pandemie, ein gesetzliches Limit nach oben braucht – so und so viel Promille des Bundeshaushaltsbudgets. Zweitens braucht es Vergleichsdaten aus der Privatwirtschaft, um eine Größenordnung festlegen zu können, in der die öffentliche Hand mitspielen können muss. Drittens müssen bei jeder einzelnen Kampagne klare Kommunikationsziele formuliert und entsprechende Streupläne erarbeitet werden. Diese gesamte Kampagnenarbeit ist aber momentan an Agenturen ausgelagert, die dem Parlament nicht mehr berichtspflichtig sind – wir reden hier von einem Etat von über 200 Millionen Euro, der ausgegeben wird, ohne dass sich jemand für Erfolg oder Misserfolg einer Kampagne rechtfertigen muss. Ein sicheres Geschäft! Und viertens, wie gesagt, Evaluierung durchs Parlament und Effizienzprüfung durch den Rechnungshof.

Die Inseratenvergabe hat sich zu einer Art paralleler Medienförderung entwickelt. Gehört letztere reformiert?
Wir brauchen definitiv, und das sagt die Fachwelt seit Jahren, eine zügige Umstellung und massive Ausweitung der Medienförderung. Unter anderem haben wir als Beirat für die Publizistikförderung immer eine Aufstockung der Förderungen von kleinen und Kleinstmedien gefordert. Die braucht ein liberaler demokratischer Staat, wenn er eine angemessene Medienszenerie erhalten will, sie sind das Salz in der öffentlichen Debatte, da werden Dinge ausprobiert und Sichtweisen respektiert, die noch nicht mehrheitsfähig sind. Wo wären wir ohne die alternative Medienszene der 1980er-Jahre heute etwa in der Klimadebatte?

Für eine gesellschaftlichen Debatte über Medienpolitik fehlt noch eine weitere Instanz: die soziale Bewegung. In Österreich scheinen Medien für Aktvist_innen kein Thema zu sein.
Für rechte Aktivist_innen schon, aber für linke nicht. Wir erleben massive Angriffe auf etablierte Medien, die als Lügenpresse, Lückenpresse, Fake News und so weiter bezeichnet werden. Von links gibt es allerdings keine breiter wahrnehmbare Kritik an Medienkonzentration oder Inseratenkorruption, obwohl viele Leute ja sehen, dass da hinten und vorne nichts mehr stimmt. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Linke insgesamt in den letzten zwanzig Jahren geschwächt worden ist. Eine Gesellschaft braucht immer auch einen radikal linken Flügel, denn die Auseinandersetzung über zentrale Fragen des Zusammenlebens werden aus solchen Positionen gespeist.

Neben den Inseraten liegt ein zweites Problem auf dem Tisch: der Verdacht, dass Umfragen frisiert wurden. Wozu sind Umfragen vor einer Wahl eigentlich gut?
Wir haben in den letzten Jahren mehrere Podiumsdiskussionen geführt über die Sinnhaftigkeit von Umfragen direkt vor der Wahl. In den sogenannten Qualitätsmedien hat sich der Umgang mit Umfrageergebnissen in den letzten Jahren durchaus verbessert: Die Schwankungsbreiten werden miteingezeichnet, der Untersuchungszeitraum und der Auftraggeber werden angegeben, und es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse keine Prognosen sind, sondern punktuelle Momentaufnahmen. Es gibt seitens der Meinungs- und Umfrageforscher_innen auch den Wunsch, dass immer die Originalfrage und die Antwortmöglichkeiten angeführt werden. Das wird in fast allen Medien verkürzt, und das bietet natürlich interpretativen Spielraum. Dass nun jemand wie die Kollegin von Research Affairs angeblich an die Schwankungsgrenzen gegangen ist und damit das Ergebnis verfälscht oder sogar umgedreht hat, wäre natürlich massiver Missbrauch von Forschungsbefunden. Was kann man dagegen tun? Von journalistischer Seite kann man sich daran halten, Ergebnisse der Meinungsforschung als das zu publizieren, was sie sind: die Momentaufnahme einer Meinung. Und man könnte generell weniger Umfragen publizieren – denn das ist eigentlich Nicht-Journalismus – und sich mehr der Motivforschung widmen. Was erwarten Sie, was wünschen Sie sich von politischen Parteien, warum würden Sie sie wählen und warum nicht? Das kommt immer erst nach der Wahl, dabei wäre es vorher sehr relevant.

«Aus Raider wird jetzt Twix. Sonst ändert sich nix», persifliert Christian Kern im Standard-Interview die Kurz/Schallenberg-Rochade. Was hat uns Kurz’ Rücktritt als Bundeskanzler demokratiepolitisch gebracht?
Das Schweizer Radio hat mich kürzlich gefragt, ob mich überrascht hat, was in dem Bescheid zur Hausdurchsuchung der WKStA stand. Ich habe gesagt, das hat mich überhaupt nicht überrascht, ich habe mich nur darüber gefreut, dass endlich nachweisbar wird, was lange schon auf der Hand liegt. Ich glaube, für viele war es eine Genugtuung, dass das, was man schon vermutet und befürchtet hat, ein Stück transparent geworden ist. Das ist wichtig, und man kann der WKStA nicht dankbar genug dafür sein. Es hat uns zumindest das Fenster aufgemacht dafür, neue Lösungen zu finden für eine weniger korrupte Gesellschaft. Ich glaube nicht, dass das System der Message Control in der ÖVP damit zerschlagen ist. Aber ich hoffe sehr stark, dass in viel mehr Redaktionen als bisher darauf geachtet wird, dass man nicht Opfer von Inszenierung und PR-Fernsteuerung wird. Und wenn jetzt auch noch die undichten Stellen im Innenministerium und in der Polizei, die ja offensichtlich ein Problem sind, wenn Leute vorzeitig belastendes Material vernichten können, angegangen werden, dann ist für die Sicherung des Rechtsstaates schon einiges gewonnen.

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