Im Endeffekt ist es nicht so tragischArtistin

Musikarbeiter unterwegs … bis nach Kasachstan

2011 in der Steiermark gestartet, sind Viech, die Band, heute ein Wiener Trio. «Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren» ist der schöne Titel ihres jüngsten Albums. Text: Rainer Krispel, Foto: Mario Lang

Womöglich habe ich am Weg nach Gersthof gepfiffen. The Clash paraphrasiert, «Vienna is for going out and try to find a tune». Am Sonntag vor der Wahl, deren zwischenzeitlich bekanntes Ergebnis akut die politische Depression als weiteres Element der persönlichen Orientierungslosigkeit und Niedergeschlagenheit verstärkt, war Zuhause-Brüten keine Option. Hochwald im unmittelbaren Setting des Café Mocca verstanden es meisterlich, Gedanken und Gefühle woandershin zu lenken, einen gut aufgehoben und begleitet in erfrischende Musik und Texte eintauchen zu lassen – und das tat verdammt gut. Fünf Männer, kein Machismo, verbindliche, einnehmende Klarheit der Musik und deutsche Lyrics, die etwas zu wollen scheinen (hochwald.at). Bei Viech, von den Musikarbeitern gut drei Wochen vorher bei köstlichem Most befragt und abgebildet, spielen die Texte eine vergleichbar zentrale Rolle. Ihr eingängiger, locker fließender Pop versteht es dazu, rasch die allfällige Distanz zwischen Musik und Hörer_in zu überbrücken, eine wünschenswerte Verbindung herzustellen. «Dein Kopf unter Wasser/Deine Füße in der Luft/Schichten von Geschichten/Blättern von meinem Gesicht», so die ersten Zeilen des Titelstücks des vierten Albums von Viech.

Da kommen (wir) zwei.

Zum Gespräch kommt Paul Plut (Stimme/Gitarre/Keys), dessen Soloalbum Lieder vom Tanzen und Sterben (2017) immer eine Empfehlung wert ist, sowie Christoph Lederhilger (Schlagzeug, Stimme). Die beiden spielen seit 2012, damals noch in Graz, gemeinsam bei und mit Viech. Martina Stranger (Bass, Stimme) lässt von unterwegs grüßen. Paul (dessen Schaffen mit der Band Marta bei der Gelegenheit noch erwähnt werden will) erinnert sich nicht mehr im Detail, wie es zum Bandnamen kam, der sich im Grunde für Martialischeres als den – meist – gepflegten Wohlklang des Trios anbietet. Paul: «Es stand auch Dialekt im Raum, ich bin großer Fan von Element Of Crime und guter Musik, wir wollten das verbinden.» Das taten der Student der Musikwissenschaft (Paul) und der Student der Germanistik (Christoph). Bald spielten sie die sich bietenden Lokale in Graz und Umgebung auf und ab. Radio FM4 ließ durch Airplay von Steuermann und Mit dir möchte ich baden gehen, doch ich sehe uns noch lange nicht im Urlaub vom Debütalbum Viech (2013) die Wege weiter werden, die die Band mit ihrer Musik gehen konnte. Es folgten die Alben Yeah (2016) und Heute Nacht in Budapest (2018). Davor schon zog es beide nach Wien. Christoph arbeitet selbstständig als Texter, was ihm die Freiheit gibt, Viech sowohl als Liveband («Wir spielen extrem viel live, das ist unser Ding») als auch beim Prozess, ein Album zu erarbeiten und umzusetzen, mit der dafür unweigerlich notwendigen Zeit zu betreiben. Paul Plut lebt mittlerweile von der Musik, arbeitet auch fürs Theater. Existenzängste sind dabei dem jüngst Vater Gewordenen nicht fremd. «Aber die nächsten Jahre geht es sich aus.»

Die Party ist …

Paul Plut: «Jedes Album ist wie ein eigenes Kind, dreht seine eigenen Kreise.» Dabei spielte beim aktuellen Album die Erfahrung des Vaterwerdens noch keine Rolle. Es galt den erreichten 3er im eigenen Lebensalter zu reflektieren, wobei sich Viech Zeit für gemeinsame musikalische Konzeption und Texte ließen. «Der Prozess macht großen Spaß.» Was zu hören ist. Bei einer gewissen Grundmelancholie (Die Party ist vorbei, 1989) können Viech auch Euphorie (Sag ja, ich bin ruiniert mit der Zeile «Niemand stolpert so schön wie ich»), eine subtile. Vom eröffnenden FAQ («Was will die SVA von mir?») bis zu den zwei Teilen des Titellieds hat jedes Stück etwas Besonderes zu bieten, wird Leben und Lieben («Ich liebe Dich/Ohne Weil zu sagen») in einer Gelassenheit und Tiefe reflektiert, die mensch so von Pop nicht mehr unbedingt erwartet. Christoph: «Es ist eine Bestandsaufnahme, Erkenntnisse, den Status quo festhalten, es ist viel passiert in den 30 Jahren …» Der vermeintliche Fatalismus von Niemand wird sich daran erinnern, dass wir hier waren entpuppt sich dabei als ein Lied von tröstlicher Schönheit und großer Zärtlichkeit, erinnert an die Freiheit, die in Sterblichkeit und Vergänglichkeit (auch) liegen. Das Album erscheint im Eigenverlag, das Wegbrechen nennenswerter Verkäufe über den Handel stört Viech nicht: «Wir verkaufen ohnehin 90 % live.» Wie die unlängst hier porträtierten Alpine Dweller sind Viech 2020/21 im Förderprogramm NASOM, Ende Oktober geht es auf Einladung des dortigen Botschafters nach … Kasachstan! Die gute Musik kommt rum in der Welt. «Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren/Da kommt die nächste Welle/Ich stell mich in den Weg/Aber dem Meer bin ich egal.»

Viech: Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren
(Abgesang, ab 25. 10.)
Live: 10. 12., Konzerthaus
abgesang.at/viech