„Im Gasthaus wird soziales Leben gelebt“tun & lassen

Geselligkeit ist politisch

Lokativ_1.jpgDas neue Lokal Lokativ im Stuwerviertel entwickelt gerade seine eigene Szene. Und betreibt die Erfindung einer Spirituosenmarke von null weg bis zur Logistik und Verteilung. Ob die MusikerInnen-Partie vom Gaußplatz hinter die Venediger Au übersiedeln wird?

Als Ort des Begehrens und Aufbegehrens, als Ort der politischen Meinungsbildung und des Widerstandes, der aber nur für Männer funktioniere, beschreibt Beatrix Beneder in ihrem Buch Männerort Gasthaus. Öffentlichkeit als sexualisierter Raum die beliebte halbprivate Schleuse zwischen Arbeit und Familie: Die Entwicklung der Moderne als Kampfansage gegen Alkohohl und Müßigang macht die Gaststätte zum genußvollen Ort des Aufbegehrens gegen die Disziplinierung. Faulheit und Schlendrian gelten als die zähsten Nager am Geist des Kapitalismus.

Jasmina Jankovi und Thomas Staffelmayr führen das Lokativ die schnapsbar hinter der Venediger Au beim Prater. Wir sitzen gemütlich an einem niedrigen schwarzen Flohmarkt-Tisch in breiten roten Sesseln. Die orangenen Lampen leuchten. Wie war der Anfang, die Idee für das Lokativ? Ist Jasmina zu dir gekommen und sagte: So Schatzi, wir machen jetzt ein Gasthaus? Thomas erinnert sich sichtlich gerne: Mit Jasmina lernte ich ein reges soziales Leben inklusive zahlreichen Freundes- und Lokalbesuchen kennen. Privat spielte sich viel in Lokalen ab, und wir erhielten oft zu Hause Besuch. Dabei organisierten wir die Gastgeberrolle und waren gerne dabei. Andererseits suchte ich eine Möglichkeit, zu arbeiten und davon zu leben.

Thomas machte eine rasche Wandlung vom Mathematiker, Informatiker und Programmierer in Richtung Kommunikation mit lebendigen Menschen durch. Er sagte der virtuellen Welt ade. Mit Unterstützung des AMS besuchte er ein Unternehmensgründungsprogramm und traute sich in die Selbstständigkeit. Unsere privaten Wünsche und Bedürfnisse setzten wir also ernsthaft und als realistische Möglichkeit um, meint er. Für mich war ein Gasthaus immer so eine Art Schwärmerei, aber kein Kindheitstraum. Gasthaus ist für mich ein Ort, in dem soziales Leben gelebt wird, sagt hingegen Jasmina Jankovi, die in ihrer Jugend in Belgrad die Klubs kennen lernte und zwischen dem Stehen, Hüpfen und Tanzen in einem Klub und dem Sitzen, Kommunizieren und Trinken in einem Lokal unterscheidet.

Bei unserem aktivistischen Engagement wie z. B. im Stuwer-Komitee tauchte immer wieder der Wunsch auf, einen gemütlichen Raum zu haben, in dem sich verschiedene Projekte abspielen können. So wie ein größeres Wohnzimmer. Die selbst gebrannten Schnäpse des Vaters des Philosophen Ljubomir Brati, die aus Belgrad importiert werden sollten, passten wie ein Puzzlestück in das Konzept. Thomas schüttelte und rührte die Buchstaben des Lokativ durch und schuf sein neues Schnaps-Label: alkovit. Wir hängen da aber noch in der bürokratischen Prozedur fest, sagt Jasmina. Wir machen die Erfindung einer Spirituosenmarke von null weg bis zur Logistik und Verteilung, ergänzt Thomas.

Das Paar entschied sich für den Raum im Stuwerviertel, nachdem sie durch die künstlerische Umbenennung der Arnezhofer-Straße deren öffentliche Betonung von dem antisemitischen Pfarrer Arnezhofer, der 1760 Juden vertreiben ließ, auf die jüdische Widerstandskämpferin Selma Steinmetz umgeleitet werden sollte den Platz hinter der Venediger Au kennen gelernt hatten. Unterer Werd hieß das Gebiet. Unter Lueger wurde die Straße 1906 nach dem getreuen Pfarrer benannt. Die Kontinuitäten reißen nicht ab, kommentiert Jasmina. Die Gebietsbetreuungs-Leute sind übrigens, nach der Schließung des Kinderfreibades am Max-Winter-Platz, alte Freinde (eine Mischung aus Freunden und Feinden, Anm.).

Österreich ist Freier

Jasmina bringt das Kommunikative, das Lebendige ein, ihre Netzwerke , ich durch mein Denkertum eher das Konzeptionelle und die langfristige Planung, sagt Thomas. Ich bin gut im Genießen, lacht Jasmina. Ich bin hier Unterstützerin des sozialen Aspektes und Nutznießerin. Thomas tüftelt nächtelang an der Homepage und der Bürokratie seines Geschäfts als Einzelunternehmen herum, produziert aber auch Textkunst als Spielereien mit Worten (Jasmina). Er meint, das Lokativ sei kein Gasthaus, nämlich kein Gastronomiebetrieb im ländlichen Gebiet, sondern ein Lokal, ähnlich den Studentenlokalen seiner ersten Wiener Zeit. Von seinen vier Jahren Jugendzeit in Marokko brachte er eine Vorliebe für Pfefferminztee mit.

Ein anderes Paar, Ljubinka Joki und Marika von Zokis Grill am Gaußplatz, scheiterte nach vier Jahren ohne Ruhetag, kurz nachdem die Schulden abgezahlt waren, wohl an der permanenten Selbstüberforderung mit großem Gastgarten und nächtlichen Sessions. Ob diese Szene mit Musikern wie Otto Lechner nun ins Lokativ übersiedeln wird? Ljubinka verbrachte gerüchteweise schon eine Nacht mit der Gitarre in der Hand an der Bar, die Klezmer-Geigerin Daniela Fischer wurde gesichtet und Vincenz vom Kollegium Kalksburg erkundete ebenfalls schon die Location. Die Ab-Ort-Musik war mit vollem Hause schon viermal zu Gast. Hoffen wir, dass Die Frauenband mit Irina Karamarkovi hier auftreten wird!

Jasmina wünscht sich eine langsame Entwicklung mit Menschen, die keine Gelegenheit haben, irgendwoanders aufzutreten oder auszustellen. Wir beschränken uns hier darauf, das zu machen, was wir gerne machen, und denen das gefällt, die kommen einfach wieder. Die Infrastruktur wird nach und nach belebt, sieht Thomas die Geschichte ganz entspannt, der bei dem Wort Kunst gleich nach der Definition des Begriffes verlangt. Gewisse Themen zu bearbeiten sei aber gefragt: Österreich ist Freier, steht auf einem Flyer, der die Prostitution im Stuwerviertel behandelt und aufgreift. Das Stuwerviertel ist traditionell ein Rotlichtviertel, Razzien und Illegalisierung inklusive. Am 2. Juni zum Internationalen Hurentag wird es eine Veranstaltung geben.

Zur Schizophrenie des Krieges

Ein anderes notwendiges Bearbeitungsfeld mit Hilfe von Veranstaltungen wäre die schlechte Aufarbeitung der Ursachen und Folgen des innerjugoslawischen Krieges. Jasmina war während des Bosnien-Krieges oft als Dolmetscherin im Schubhaft-Gefängnis in Salzburg, wo viele Flüchtlinge landeten, da die meisten nach Deutschland wollten und abgewiesen wurden. Einen jungen Mann, der mit seinen Mitgefangenen zu acht in einer kleinen Zelle saß, konnte Jasmina über Amnesty International erst nach sechs Monaten herausholen. Nenn mich bitte nicht Serbin, sagt sie. Wenn es schon sein muss, dann Jugoslawin. Aber ich mag keine nationalen Bezeichnungen.

Auf Okto TV gab es vor kurzem eine Serie über den Krieg. Nun ja. In diesem Land hier sind das mittlerweile siebzig Jahre, und es ist eh nix aufgearbeitet worden, lacht Jasmina. Der Raum dort ist ja zurzeit nur eine Art von moderner Kolonie. Besonders Bosnien. Kolonialismus pur, was dort passiert. Im Vordergrund stand damals immer Nachbar in Not, in den Medien wurde diese gute Rolle Österreichs eingebläut, aber es war im Endeffekt ein Verschließen der Augen vor der tatsächlichen Realität mit diesem anonymen Spenden von Geld oder irgendwelchen Gütern. Kein Mensch konnte den Krieg erfassen, das Wie und Warum ist bis heute unmöglich zu begreifen. Alles das gibt es in Tuzla, wo ich meine glückliche Kindheit und frühe Jugend verbracht habe, nicht mehr. Tuzla war im Krieg von der Welt abgeschnitten, selbst von Nachbar in Not. Alle diese Menschen sind jetzt irgendwo auf der ganzen Welt verstreut. Das ist die innere Tragödie. Diese Machtlosigkeit, du kannst ja gar nichts dafür und auch nichts dagegen tun. Dass die Zeit mitten in Europa Ende des 20. Jahrhunderts nicht voranschreitet, sondern für dich zurückgeht in diesem Moment, in nur 800 Kilometer Distanz, führt zu Schizophrenie.

Jasmina besuchte einmal eine Veranstaltung enttäuschter Nationalisten und Kämpfer, im Publikum saßen Menschen, die Familienmitglieder verloren hatten. Eine Verarbeitung geht nicht so schnell, lange Phasen von langen Gesprächen wären nötig. Warum mussten zum Beispiel meine Schulfreundin Alma und ich am Nationalismus leiden? Die Menschen wünschen sich jetzt ein normales, ordinäres Leben, dass ihnen endlich einmal langweilig wird. Der Humor rettet sie ein bisschen. Und der Schnaps. Wobei wir wieder im Lokativ angelangt wären.