Im Hintergrund: die Heuschreckentun & lassen

Was Sie schon immer über Ratingagenturen wissen sollten

Sie lesen aufmerksam die Wirtschaftsseiten der Zeitungen? Sie schauen sich einschlägige Berichte an? Doch Sie haben noch immer den Eindruck, nicht zu verstehen, was da so läuft, mit den Triple As, den CDOs und CDSs, den ABBs und was es da noch so alles gibt? Dann sollten Sie Ihren Hausverstand kurz irgendwo parken und Ihr demokratisches Grundverständnis ebenso. Einer, der es gut versteht, Licht in dieses verwirrende System zu bringen, ist Werner Rügemer. Im Aktionsradius Wien erklärte er kürzlich das System Ratingagenturen. Einigen ist Rügemer von seinem Auftritt im Film «Lets make money» bekannt.

Wie es begann: Schon 1929 gab es einen Crash, der durch Spekulationen verursacht wurde. Der Crash führte zu einer umfassenden, weltweiten Wirtschaftskrise. Damit so was nie wieder passieren kann, gründeten die USA die erste Börsenaufsicht und führten eine Reihe von Regulierungen und Gesetzen ein. Ratingagenturen sollten mit ihren «Ratings» vor spekulativen und gefährlichen Anlageformen warnen. Das amerikanische Finanzsystem war nach 1934 also streng reguliert. Erst mit der Ära Reagan in den 80er Jahren wurden die Regulierungen gelockert. Gesetze, die den Finanzmarkt in Zaum halten sollten, wurden auf Druck der Bankenlobby sukzessive abgeschafft. Der Durchbruch eines Systems, das wir «Neoliberalismus» nennen, begann. Und die privaten Ratingagenturen bekamen immer mehr Macht. «Man hat diese Macht sogar gesetzlich verankert: Pensionsfonds dürfen nur Anlagen mit Triple-A-Bewertung kaufen, wer an die Börse geht, muss sich raten lassen, ja selbst die UNO verpflichtete so genannte «Entwicklungsländer» sich raten zu lassen», erklärt Werner Rügemer. Mit den Abkommen Basel 1 und 2 wurde dieses amerikanische Modell schließlich von 50 Staaten übernommen. Von ursprünglich sieben Ratingagenturen etablierten sich die heute bekannten Big Three: Moodys, Fitch und Standard & Poors.

Triple A für Pleitebanken

Raten Sie einmal, welches «Rating» Lehman, die berühmte Pleitebank von 2008, kurz vor ihrem Crash von den Ratingagenturen bekommen hatte? Sie hatte ein «AA»-Rating! Das ist nicht das brillante «Triple A», aber doch eine sehr gute Bewertung ein begehrter «investment grade» also keinerlei Bedenken seitens der Ratingagenturen, mit Lehman Geschäfte zu machen. Oder Freddy Mac, die amerikanische Hypothekenbank? Sie können es sich wohl schon denken Triple A! Fanny Mae ebenfalls: Triple A. Kurz später mussten Freddy und Fanny mit 169 Milliarden Dollar Staatshilfe gerettet werden. Nicht nur die Pleitebanken hatten ausgezeichnete Ratings, sondern auch hochriskante Kredite, Kreditbündel, Kreditversicherungen die wüstesten Finanzprodukte glänzten mit «Triple A»! Denn mit dem entsprechenden Kleingeld kann ein hübsches Rating jederzeit gekauft werden.

Das «rating hopping and shopping» ist in Mode. Wer «geratet» werden will, geht von einer Agentur zur nächsten und schaut, wo er für welche Geldsumme das beste Rating bekommen kann. Ratingagenturen warnen also nicht vor gefährlichen Investments, sondern verhelfen selbst spekulativen Produkten bei ihrer Vermarktung bei entsprechender Bezahlung. «Das ist so, als würde bei einem Fußballspiel eine Mannschaft immer den Schiedsrichter mitbringen», meint Werner Rügemer. Ein unfaires Spiel also. Das dem Anheizen von Spekulationen, dem Vertuschen von Bankrotten und der Bereicherung von Insider_innen dient und die Volkswirtschaften letztendlich massiv schädigt.

Aber warum hat man das nicht längst abgeschafft?

Immun gegen Strafverfolgung

Wenn eine Ratingagentur mit ihrer Bewertung so derartig danebenschlägt, müsste sie eigentlich zur Verantwortung gezogen werden, sagt Ihnen wahrscheinlich Ihr demokratisches Grundverständnis. So dachten auch jene, die durch mit «Triple A» bewertete Schrottinvestments enorme Verluste gemacht haben, und verklagten die Ratingagenturen. Doch den Agenturen war nicht beizukommen. Mit der Aussage «Wir äußern nur unsere persönliche Meinung» beriefen sie sich auf die verfassungsrechtlich verankerte «freie Meinungsäußerung». Und die Justiz spielte mit. Die Gesetzgeber_innen hatten «vergessen», entsprechende Haftungsklauseln gesetzlich zu verankern. Auf Druck der Finanzmarktlobby, ist wohl anzunehmen.

«Früher», so Rügemer, «waren Ratingagenturen im Besitz der Wallstreetbanken. Doch dann gab es eine Verschiebung. Die Haupteigner von S & P und Moodys sind heute die größten institutionellen Spekulanten der Welt: Hedgefponds mit den Namen Blackrock, Capital World Investors, Fidelity, Vanguard, State Street, Morgan Stanley und andere. Blackrock z. B. verwaltet ein Vermögensvolumen von 3,5 Billionen Dollar und ist Miteigentümer von Goldman & Sachs, der Deutschen Bank, sämtlichen 30 deutschen DAX-Konzernen und z. B. auch der «New York Times». Diese Hedgefonds stehen nicht im Fokus der Kritik wie etwa Banken. Sie agieren recht anonym im Hintergrund und unterliegen auch nicht der Finanzmarktaufsicht, was sie sehr mächtig macht», gibt Rügemer zu bedenken. Die Spuren von Fitch führen übrigens in die Finanzelite Frankreichs und damit auch in die dortige Polit- und Verwaltungselite. Die juristischen Firmensitze der großen Ratingagenturen liegen in Steuerparadiesen.

Daumen rauf und Daumen runter

Je schlechter das Rating, desto höher der Zins. Doch es geht längst nicht mehr darum, ob das geborgte Geld zurückgezahlt werden kann, denn Kredite werden gebündelt und weiterverkauft (CDOs). Man kann auf sie Wetten und Versicherungen abschließen (CDS). Und jede dieser Transaktionen bringt eine Menge Kohle die begehrten «Fees». Je mehr Geld verborgt wird, desto mehr Geschäfte kann man damit also machen. Die Ratings für Staaten machen die Agenturen meist aus eigenen Stücken, ohne Auftraggeber_in. Sie beauftragen sich selbst. Doch welches Interesse haben sie? Helfen sie ihren Besitzer_innen den Hedgefonds zu wissen, wann sie welche Wetten (Derivate) am Markt platzieren müssen, um ihre begehrten Spekulationsgewinne zu machen?

 

Wer den Kredit nicht bedienen kann, muss sein Hab und Gut verkaufen. Ein Staat muss privatisieren, höhere Gebühren verlangen, Löhne kürzen, mehr Steuern einheben, um die Zinsen zu bedienen. Die Bedingungen, unter denen ein Kredit vergeben wurde, werden nicht berücksichtigt. «Den Ratingagenturen ist ja egal, ob die Kreditnehmer_innen enteignet werden, in Bankrott gehen oder verhungern», so Rügemer, «sie helfen bei der schleichenden Enteignung von Individuen, Anleger_innen und Staaten und dienen damit der Selbstbereicherung einer ungewählten Elite, die nach dem Motto vorgeht: «Hinter uns die Sintflut».

 

«Die Ratingagenturen müssen ihrer öffentlichen Funktionen enthoben werden», fordert Werner Rügemer. Doch es passiert nichts. Politiker_innen und Medien handeln längst im Sinne der kurzfristigen Interessen der spekulierenden Finanzakteur_innen. Die Krise wird nun sogar neu interpretiert: Sie soll nicht mehr als Banken- und Finanzmarktkrise wahrgenommen werden, sondern als «Staatsschuldenkrise». Als Krisenursache gelten nicht mehr die umfassenden Spekulationen der deregulierten Finanzmärkte, sondern es wird uns weisgemacht, dass die Staaten viel zu viel Geld für uns alle ausgegeben hätten. Und die «Schuldenbremse» folgt den Ratschlägen der Ratingagenturen: einsparen und das Tafelsilber verkaufen. «Wir werden alle Griechen werden», hat Werner Rügemer schon bei seinem Besuch in Wien 2010 prognostiziert. Heute können wir verstehen, was er damals gemeint hat. Die Krise hat statt weniger Neoliberalismus mehr Neoliberalismus gebracht. Und wenn sich seitens der Zivilgesellschaft der Druck nicht erhöht, wird wohl weiter uneingeschränkt von unten nach oben umverteilt.

 

Quellen:

Werner Rügemers Buch «Ratingagenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart» erscheint im März 2012 im transcript-Verlag.

«Inside Job» oscargekrönter Dokumentarfilm von Charles H. Ferguson über die weltweite Finanzkrise

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