Im letzten Zimmer der Baracketun & lassen

Briefe an den Vater

Hallo Vater! Wie geht es dir? Wenn du nach meinem Befinden fragst – gut. Es ist wieder ein Jahr vom Leben abgezogen. Immer noch die Fragen Überleben, Arbeit usw. … Als ich noch in der Türkei war, bis zu meinem 16. Lebensjahr, habe ich mir solche Fragen überhaupt nicht gestellt. Je älter man wird, desto mehr beschäftigt man sich wahrscheinlich damit.Bis zu meinem 16. Lebensjahr habe ich dich nicht gefragt, wo du wohnst. Jetzt möchte ich dir erzählen, wie ich deine Welt in Wien am Anfang empfunden habe. Wenn jemand in der Türkei Almanci ist, hat er einen Ruf, und ich war der Sohn eines Almanci, eines „Deutschen“ (wie auch die genannt wurden, die in Österreich arbeiteten. Die Red.). Ich durfte also nicht an dir zweifeln. Du hast zwar in Wien kein zweistöckiges Haus mit Rosengarten, aber du wirst sicherlich eine eigene Wohnung haben.

Dann kamen die Baracken der Asphaltfabrik in Sichtweite, ein zweistöckiger Baracken-Komplex, hoffentlich gehen wir wenigstens in die neueren. Du machtest eine quietschende Tür auf. Ein Schock: 20 einander gegenüberliegende Zimmer, Neonleuchten, kein Tageslicht. An jeder dritten Tür ein Plastikkübel, neben jeder Tür asphaltverschmierte Arbeitskleidungen, Asphaltkrusten an den Schuhen am Boden. An der letzten Zimmertür klopfst du. Ein Mann in deinem Alter macht die Türe auf. Wir begrüßen uns. Ich betrachte das Zimmer. Für jeden Bewohner des 15 Quadtratmeter großen Zimmers gibt es einen Hocker, einen Tisch in der Mitte, einen Kühlschrank, der gemeinschaftlich benützt wird, drei Betten. Ein alter Spiegel, den einer irgendwo gefunden hat. Willkommen, Mehmet, in deinem neuen Haus. Es ist mir jetzt klar, ich bin nun der Mitbewohner dieser beiden alten Herren. Der eine bist du, den ich nicht gut kenne, der andere ein komplett Fremder. Es wird türkischer Tee gemacht, wir frühstücken. Mir schmeckt es nicht.

Wir gehen ins Büro, du musst mich zur Unterkunft anmelden. Du sprichst sehr viel, ich verstehe gar nichts. Aber ich bewundere dich, wie toll du dich mit den Chefs und Angestellten unterhalten kannst. Erst nach einiger Zeit kann ich feststellen, dass du nur Gastarbeiterdeutsch sprichst.

Ich lerne die anderen türkischen Gastarbeiter kennen. Zwei der Türken hatten auch ihre Söhne zum Arbeiten mit nach Österreich gebracht. Ich wollte ja eigentlich in Österreich Fußballer werden. Nachdem ich die Wohnsituation gesehen habe, war mir klar: Ich bin zum Arbeiten hier. Die Straßen, die Baustellen von Wien warten auf dich, nicht die Fußballvereine. Wach auf, dein Vater ist hier kein angesehener Mann, er ist nur Gastarbeiter. Er muss sich wie die anderen Gastarbeiter verhalten, die gleichen Verhaltensmuster an den Tag legen.

Am Anfang haben sie Transistorradios gekauft und Anzüge mit weißen Nylonhemden und Krawatten getragen, als Zeichen des Wohlstands. Sie haben sich im Sommer, wenn sie in die Türkei zurückgekommen sind, dort sehr gut präsentiert. Später waren es Fernseher, Videorecorder und Videokameras, die sie mitgebracht haben. All diese Sachen waren sehr gut für die Politur des in Europa verletzten Stolzes. Einen Monat lang waren sie die önige der Dörfer. Keiner fragte: wo wohnst du, was für eine Arbeit verrichtest du? Auch ich stellte dir bezüglich der Arbeitsstätte nie Fragen. Fußballer wollte ich werden, ein türkischer Krankl, das hat mich bewegt. Und über die mitgebrachte Schokolade freute ich mich, wenn du nach Hause kamst. Jetzt war ich auch in Wien, und wo lebtst du? Im letzten Zimmer einer zweistöckigen Baracke.

Nach zwei Monaten bekam ich die Arbeitsbewilligung. Mein erster Arbeitstag: ein neuer Arbeitsanzug, Handschuhe, Arbeitsschuhe, die dem warmen Asphalt standhalten sollten. Wir fuhren mit dem LKW unter die Asphaltmaschine. Das schwarze Gold floss vor unseren Augen auf die Ladefläche. Rauch und Gestank verbreitete sich. Wir mussten den warmen Asphalt gleich zudecken, damit er bis zur Baustelle nicht kalt wird. Mir kam es so vor, als würde ich mich vom normalen Leben entfernen und Richtung Hölle fahren. Es ist gegen 6 Uhr in der Früh. Wir halten an. Ich frage dich, ob wir schon an der Baustelle angekommen sind. Nein, sagtest du. Das ist eine kleine Trinkpause für Bier, Wein und Tee mit Rum. Es ist sehr frisch. Lieber den Gestank aushalten als erfrieren.

Du hast in deiner Freizeit gegen Bezahlung fotografiert. Alle Parks in Wien, in denen sich die Gastarbeiter aufhalten, kanntest du. Sehr oft bist du am Südbahnhof, das ist der Treffpunkt, besonders an den Wochenenden.

An diese Zeiten errinnerst du dich sicherlich nicht!!

Dein Sohn Memo!