Im Nadelstreif in die MeldemannstraßeHeroes

Rüstiger Rentner und Augustin-Verkäufer

Gaggl.jpgDer Augustin-Verkäufer Norbert Gaggl fühlt sich trotz Rentenalters topfit. Sein Rezept, um agil zu bleiben, beinhaltet viel Bewegung und vor allem Kontakt zu Menschen. Beides ließe sich mit dem Straßenzeitungverkaufen verbinden. Dieser Kolporteur scheint mit der mühsamen und nicht angesehenen Tätigkeit mehr als zufrieden zu sein solange nicht die Polizei dazwischenfunkt.

Als hätte er sich den ganzen Sommer hinweg nur in der Sonne braten lassen, so braun gebrannt ist die Haut des Norbert Gaggl. Bald nach unserem Gespräch stand für den 67-Jährigen die erste Flugreise seines Lebens an es sollte auch erst sein zweiter Urlaub am Meer werden. Vor vielen Jahren sei er einmal an der kroatischen Küste gewesen, doch jetzt wollte er einmal das Fliegen ausprobieren. Die Destination musste am Meer liegen, also fiel die Wahl auf Mallorca.

Straßenzeitung verkaufen und in den Urlaub fliegen, wie passt das zusammen? Sollte nicht die Donauinsel das höchste der sommerlichen Gefühle sein? Das war sie in den letzten Jahren für Norbert Gaggl auch. Dort holt sich der leidenschaftliche Sportler die Bräune, aber auch die Lust, endlich wieder einmal im Meer schwimmen zu können. Und die Kombination aus kleiner Rente, unermüdlichem Abspulen der Verkaufstouren und Wille zum Sparen ermöglicht ihm den Luxus Mallorca in der Nachsaison.

Außergewöhnlich ist seine körperliche Verfassung, obwohl er obdachlos und alkoholabhängig war. Suchtkrankheit und Obdachlosigkeit sind normalerweise Parameter, die Menschen viel älter aussehen lassen, als sie sind. Ich werde regelmäßig auf 55 Jahre geschätzt, erzählt der Augustin-Verkäufer mit stolzer Brust. Seine Fitness sieht er in sportlicher Betätigung begründet, wobei er nur noch regelmäßig schwimmen gehe. Früher sei er Skifahrer und Boxer gewesen Letzteres verrät auch seine Nase, die zweimal bei Faustkämpfen gebrochen wurde. Aber ein noch effektiverer Jungbrunnen als Sport ist für ihn, unter die Leute zu gehen.

Abstand von der Familie

Der gebürtige Kärntner verließ im Alter von 17 Jahren das Elternhaus: Ich komme mit Fremden besser als mit meiner Familie zurecht. Die erste Station war für den Bäcker- und Konditorlehrling Bregenz, es folgten Lindau am Bodensee und Zürich. Zu Zürich erwähnt er drei Aspekte: Der Arbeitsbeginn fiel auf eine Uhrzeit, die für Gleichaltrige bedeutete, in die Disco aufzubrechen, Spielertrainer einer Fußballtruppe, die aus Berufskollegen bestand, gewesen zu sein und die Mutter seiner beiden Kinder kennen gelernt zu haben: Angeblich bin ich schon dreifacher Opa, habe aber keinen Kontakt mehr zu den Kindern. Dreizehn Jahre lang sei er verheiratet gewesen, was er mit zum Kinder machen gehören zwei, aber auch zum Streiten kommentiert.

Nachdem das Familienglück in einem deutschen Domizil endgültig zerbrochen war, ging er zurück nach Vorarlberg, lernte dort eine Frau, die bald nach Wien ziehen sollte, kennen. Blind aus Liebe folgte er ihr in die Bundeshauptstadt, doch kaum am Westbahnhof angekommen, sprachen klare Indizien gegen eine gemeinsame Zukunft. Auf den Boden der Realität zurückgeholt hieß es für Norbert, ein Bett für die Nacht zu finden. Er bekam den heißen Tipp Meldemannstraße (ehemaliges Männerwohnheim, Anm.) und ließ sich von einem Taxi hinbringen. Sie sind hier aber nicht richtig, mit diesen Worten wurde er in der vermeintlichen Pension empfangen.

Doch der von der Liebe Enttäuschte und wie ein Lord Gekleidete ich trug einen Nadelstreifanzug beharrte angesichts vorgerückter Stunde auf ein Bett und blieb dort schließlich für zwei Jahre in ein Zimmer eingemietet!

Wegen Schneefall die Villa verloren

Norbert Gaggl kennt auch das Sich-durchschlagen-Müssen. Er schlief in der Waggonie und auf einem an der Donau liegenden Schiff . Ein Jahr lang wohnte er gar in einer leer stehenden Villa im vierten Stock mit Fernseher und Kühlschrank. Der kleine Haken dabei: Um sich nicht selbst um den Unterschlupf zu bringen, durfte er bei Dunkelheit kein Licht aufdrehen. Verraten hatten ihn schließlich seine Fußstapfen im Schnee.

Sehr gelassen blickt er auf seinen unkonventionellen Lebensstil zurück. Ein Job-Highlight sei das Schaumbecher- und Kipferlverkaufen bei großen Sport- und Musikevents gewesen, wo er sich mit Bauchladen ausgerüstet durch die Massen kämpfen musste. Doch mittlerweile geht es für ihn etwas ruhiger zu. Seit Jahren bewohnt er ein privat vermietetes Zimmer, das er, der sich selbst als Zimmermuffel und guter Geher bezeichnet, aber sonntags als Rückzugsgebiet schätzt, denn an den übrigen Wochentagen heißt es für ihn: raus ins Geschehen, um Zeitungen zu verkaufen.

Aber auch Norbert Gaggl, der die Kolportage locker wie kaum ein anderer betrachtet, weiß von enervierenden Zwischenfällen zu berichten. So hätten zwei junge Buam am Naschmarkt, die sich als Polizisten in Zivil entpuppten, seinen lebhaften Verkaufsstil moniert. Und schräg seien ihm auch Polizisten eingefahren, die ohne erkenntlichen Auftrag bei ihm eine Fahrscheinkontrolle (!) am U-Bahn-Steig durchführten.

Solche Erfahrungen mit der Exekutive bringen Norbert Gaggl auf die Palme, doch der Gedanke ans Meer holt ihn wieder runter. Für die Realisierung dieses Urlaubstraumes arbeitete er auch hart, vor allem an sich seit einem halben Jahr meidet er Alkohol.