Im SumpfArtistin

Trockengelegt wird nichts. Die Ausstellung ­Klärschlamm in der Kunsthalle Exnergasse will ­Grenzen zwischen Mensch, Tier, Technik und ­Natur verwässern. Ruth Weismann (Text) und Carolina Frank (Fotos) haben sie gesehen.

Schweinchen, halb zerschmolzen, liegen auf einem Podest. Sie sehen ein bisschen aus wie überdimensionierte Gummibärchen, und wurden von der Künstlerin Sophie Marie Csenar aus reiner Schweinegelatine gegossen. Schräg gegenüber hängen Bilder von Saskia Te Nicklin: große Metallplatten, bearbeitet mit Leim, Farbe, Plastik – abstrakte Formen, die an Mikroorganismen erinnern. Weiter drüben im Raum läuft der ­Schlammfilm: Thomash Schoiswohl mischt Klopapier und aus Zeitungen ausgeschnittene Sauberkeitskampagnen der Stadtregierung zu gatschigem, tropfendem Pappmachée. Daraus bastelt er dann etwa Abflussrohre, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind. Der Titel der Schau ist der Nährboden, auf dem all diese Werke wachsen: Klärschlamm.

Schlammglamour.

Eine Ausstellung die sich so nennt, beweist schon mal Witz und Mut. Denn glamourös klingt das nicht. In der Kunstgeschichte haben Fäkalien allerdings einen fixen Platz, und ebenso fix ist, dass sie provozieren – vom Konzeptkünstler Piero Manzoni, der seine merda d’artista (Künstlerscheiße) 1961 in Dosen füllte und zum damals aktuellen Goldpreis verkaufte, über die Performance Kunst und Revolution der Wiener Aktionisten im Hörsaal 1 (1968) bis hin zum Kakabet, den Buchstaben aus Exkrementen, von der Gruppe Gelatin. Den bereits transformierten Fäkalien, die aus der Kläranlage kommen, hat sich Mike Bouchet 2016 bei der Manifesta in Zürich gewidmet: Er stellte Quader aus 80 Tonnen getrocknetem Klärschlamm aus, und sorgte damit ebenfalls für Schlagzeilen. Was eine Gesellschaft tabuisiert, regt sie immer am meisten auf.
Enttabuisierung gehört auch zum Themenkreis der Klärschlamm-Ausstellung, aber so zugespitzt wollten die Kuratorinnen Julia Grillmayr und Eva Seiler es nicht angehen. Die Arbeiten, die zu sehen sind, funktionieren subtil, der Anspruch ist breit und nicht didaktisch: Es geht um die Auslotung der Beziehung zwischen Mensch, Tier, Natur und Technik, und wie Künstler_innen heute sich dieser Fragen annehmen. Wo hört das eine auf, wo beginnt das andere? Oder sind wir alle Hybride? Wenn der Klärschlamm aus lauter Kleinstlebewesen besteht, die das Abwasser ganz von alleine säubern, ist der Schlamm dann «tot oder lebendig, aktiv oder passiv, technisch oder organisch, Subjekt oder Objekt?» Diese Fragen, die im Einleitungstext des Booklets zur Ausstellung formuliert werden, greifen die zwölf Künstler_innen – allesamt in Wien lebend – unterschiedlich auf, der Klärschlamm als Motiv schwappt dabei in alle Richtungen, über das von Eva Seiler gebaute Ausstellungsdisplay, das den runden Klärbecken nachempfunden ist, hinaus.

Ungewöhnliche Communitys.

Dadurch, dass wir täglich im Klo runterspülen, seien wir auch täglich mit der Kläranlage verbunden, sagt Julia Grillmayr bei der Pressekonferenz. Aber man mache sich keine Gedanken darüber, was mit dem, was wir runterspülen, passiere. Der Schmutz wird immer verdrängt. Für ihre Recherche haben die Kuratorinnen fünf Kläranlagen in Österreich besucht – Grillmayrs Audioreportagen darüber gibt’s in der Ausstellung zu hören. Sie sind das Einzige, was direkt den Klärschlamm als Thema behandelt und damit die Rahmenhandlung festlegt.
Darin wird etwa erklärt, dass die Kläranlagen rein mechanisch und biologisch funktionieren. So, wie es auch in der Natur vorkommt, wo Mikroorganismen die Flüsse reinigen. «Die Leute, die an den Kläranlagen arbeiten, erzählen immer, dass sie nur die Bedingungen bereitstellen, aber die Kleinstlebewesen sind diejenigen, die arbeiten», sagt Seiler. Das wirft die Frage danach auf, was wir als Arbeit bezeichnen, aber auch die Frage nach Subjekt und Objekt. Wir leben offensichtlich in einer Gemeinschaft mit allen Organismen, auch nicht-menschlichen. Nicht nur in Kläranlagen.
Die Frage der Hierarchie zwischen Mensch, Tier, Technik und Natur schwingt auch in Leon Höllhumers Film Sandras WG mit. Sandra, ein Mensch, teilt sich diese WG mit nicht-menschlichen Wesen – dem nicht näher definierten «Naturwesen» Floppy und dem Roboter Robert. In der ausgestellten Filmsequenz wird eine Art mystisches Beschwörungsritual zelebriert, das so gar nicht zum technoiden Roboter passen will. Der Roboter als religiöses Subjekt? Oder ist er gar kein Roboter, sondern ein Cyborg? Sind wir das alle?

Hybride Formen.

«Cyborgs sind kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion», schrieb die Philosophin Donna Haraway 1985 in ihrem berühmten Essay Ein Manifest für Cyborgs. Die Autorin machte sich für eine Auflösen bzw. ein Überschreiten der Grenzen zwischen den Kategorien und eine zusammenarbeitende Community mit nicht-menschlichen Lebensformen stark, und passt damit zum aktuell in Kunst, Theorie und Popkultur vehement zu spürenden Interesse an diesen Natur-Mensch-Tier-Technik-Fragen. In der Philosophie läuft das unter dem Schlagwort «Posthumanismus» und ist wohl auch eine Folge des erstarkten Bewusstseins für die Klimathematik. In der Kläranlage verdichtet sich ein Zusammenspiel von Maschinen und Organismen auf besondere Art und eignet sich damit ganz gut als Topos.
Eine Anekdote, die Grillmayr und Seiler aus dem Klärbecken ausplaudern, illustriert mögliche Hybriditäten unserer Existenz zwischen Organismus und Technik besonders schön: Bei Kläranlagen wachsen viele Tomaten. Deren Samen sind sehr robust, wenn ich eine Tomate esse, überleben die Samen bis zur Kläranlage. Wenn etwas vom Klärschlamm dann aus den Becken auf den Boden schwappt, gehen die Samen auf und Tomatenstauden sprießen.

Klärschlamm
Bis 28. Februar
Kunsthalle Exnergasse / WUK
9., Währinger Straße 59
Eintritt frei

Spezialprogramm:
Symposium: 1. Februar, 16 Uhr
Mit einer Lesung von Fahim Amir und Vorträgen von Julia Grillmayr und Christina Gruber
Performances: 28. Februar, 18 Uhr

kunsthalleexnergasse.wuk.at

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