Sozialmärkte. Obwohl der Bedarf an leistbaren Lebensmitteln steigt, laufen den Sozialmärkten Niederösterreichs die Förderer weg. An der Kassa sitzen jetzt Ehrenamtliche. Christof Mackinger hat sich in einer Mödlinger Filiale umgehört.
Illustration: Büke Schwarz
Sie hätte nie gedacht, dass man «mal so absacken kann», erzählt Frau M., während sie eine Wühlkiste mit Weihnachtsdekoration durchschaut; Kerzen, Lichterketten und Plastikgirlanden im Tannennadel-Look. 99 Prozent der Leute hier könnten gar nichts dafür, dass sie wenig Geld haben, meint Sibylle M. Früher hätte sie selber Vorurteile gehabt: «Man denkt, die Leute wollen nix arbeiten.» Dann aber hat es auch sie erwischt. Aus ihrer günstigen Altmietwohnung musste sie ausziehen. Da ihr zwanzigjähriger Sohn mit ihr wohnt, musste die neue Wohnung zwei Zimmer haben, mit 800 Euro hat sich die Miete verdoppelt. Bei 880 Euro Pension bleibt da kaum was zum Leben. «Zum Glück zahlt mein Sohn was dazu, sonst würde das nicht gehen», erzählt Frau M. Gehen tut es aber auch nur, weil sie jede Woche hierher kommt, in den Sozialmarkt in Mödling.
So weit, Soogut.
In der Mödlinger Bahnstraße, in der Nachbarschaft von Kletterhalle und EVN, betreibt die SAM NÖ GmbH den Sozialmarkt Soogut. Er ist einer von sieben Soogut-Märkten in Niederösterreich, dazu kommen noch drei kleinere Verkaufsstellen. Darüber hinaus betreiben Caritas, Rotes Kreuz oder die Vinzenzgemeinschaft weitere Sozialmärkte in diversen niederösterreichischen Kleinstädten. Zwischen Jänner und August registrierte man bei Soogut 10.000 Einkäufe mehr als im Jahr zuvor. Rund 27.000 Menschen würden durch die Soogut-Märkte versorgt, so Uschi Oswald, Sprecherin des Unternehmens. Im Sozialmarkt kaufen keineswegs nur Arbeitslose ein. «Es kommen viele Pensionisten, Alleinerziehende oder Menschen, die trotz Arbeit einfach zu wenig haben», erklärt Frau Oswald. Der Bedarf an günstigen Lebensmitteln würde ansteigen.
Und dennoch geht seit 2018 die finanzielle Unterstützung zurück. Mit Jahreswechsel mussten bei Soogut Stellen abgebaut werden. Die Sprecherin nennt es lieber «Verschlankung». Von einem der wichtigsten Förderer 2018, dem Arbeitsmarkt Service (AMS) Niederösterreich heißt es: «Die Sozialmärkte erfüllen zweifellos einen sehr wichtigen sozialen Auftrag. Arbeitsmarktpolitische Effekte konnten allerdings leider kaum erzielt werden, weshalb die Projektförderungen mit dem Jahr 2018 beendet wurden.» Fünfzehn Soogut-Angestellte mussten Anfang des Jahres wegen fehlender Finanzierung gekündigt werden. Punktuelle Förderung vom AMS gäbe es aber schon auch in Zukunft, lässt AMS-Sprecherin Irene Klementschitsch wissen.
Eine zweite Chance.
«Es wird mal wieder bei den Ärmsten gespart», kommentiert Sibylle M. die Entwicklung bei ihrem Einkauf im Sozialmarkt Mödling und schiebt ihr Einkaufswagerl weiter. Neben getrockneten Bio-Mangos findet man im Regal bei der Kassa Proteinriegel, Süßigkeiten und Eiernudeln, alles zwischen 50 Cent und 1,20 Euro; daneben ein Kühlregal mit Aufstrichen, Fertiggerichten und Joghurts. Rund ein Drittel des üblichen Marktpreises kosten die Produkte im Sozialmarkt, berichtet Frau Flechl. Melitta Flechl ist hier stellvertretende Marktleiterin. Bei ihr laufen die Fäden zusammen, wenn die freundliche Frau nicht gerade «ihren» zweiten Markt in Ternitz betreut. Die Waren für den Sozialmarkt kommen von großen Handelsketten wie Hofer und der Rewe-Gruppe. Dreimal täglich rücken die Lieferwagen von Soogut aus, um abzuholen, was im Handel nicht mehr genutzt wird. Überschüssige Saisonware, Fehletikettierungen oder Produkte nahe an der Mindesthaltbarkeit – alles einwandfreie Lebensmittel. Zu schlecht für die Reichen, gut genug für die Armen, könnte man sagen. Dennoch, eine unabdingbare Hilfe für armutsgefährdete Menschen. «Die Waren bekommen eine zweite Chance», heißt es im Jahresbericht von Soogut. Dort betont man die Nachhaltigkeit, Klimafreundlichkeit und wirtschaftliche Effizienz der Zweitverwertung.
Jede Art von Lebensmittel kann dabei sein, vorhersehbar ist das Sortiment nie. Es sei immer ein «Überraschungspaket», lacht die aufgeweckte Chefin in Mödling. Manchmal gebe es auch «Exquisites» wie ein gutes Olivenöl oder Lachs. Vor sechs Jahren habe sie bei Soogut angefangen. Sie war damals selbst auf Arbeitssuche, es habe einfach gut gepasst, erzählt Melitta Flechl. Besonders schätze sie den sozialen Faktor im Sozialmarkt.
Butter mit Seltenheitswert.
Anders als in den großen Supermärkten, wo Kund_innen nur schnell durchhetzen, lernen die Menschen einander hier kennen: Vor dem Kühlregal unterhält sich eine junge Frau mit einer anderen Kundin, keineswegs nur über Kaufoptionen; und vor einem Regal mit Müsli, Cornflakes und Vollkornmehl haben sich zwei Frauen bei einem Kaffee niedergelassen und plaudern. Die Tasse Kaffee gibt’s um 50 Cent, so kommt man schnell ins Gespräch. «Wir haben ja alle dasselbe Problem. Vielleicht hat wer Tipps, wo man noch hingehen kann», erklärt Sibylle M. einen üblichen Anlass zum Kennenlernen.
«Mäßig» beschreibt ein Kunde hingegen seine Kontaktfreudigkeit beim Einkauf, während er seinen Einkaufswagen am Kühlregal entlangschiebt. Dementsprechend wortkarg reagiert er anfangs auf die Fragen vom AUGUSTIN-Reporter. Er sei hier «von Anfang an» Kunde. Seine Finanzen würden ihn dazu zwingen. «Krankheit und Arbeitslosigkeit», fasst er seine Lage knapp zusammen. Davor war er im Bereich Maschinenbau beschäftigt. Es sei eine «Schande für die österreichische Politik», redet sich der Mann langsam in Rage. Seit 75 Jahren gebe es keinen Krieg mehr, trotzdem brauche es immer mehr Sozialmärkte. Aktuell beschäftige ihn aber mehr, dass es heute mal wieder keine Butter gebe. «Butter hat hier Seltenheitswert», scherzt er mittlerweile. Seinen Namen will er trotzdem nicht in der Zeitung lesen.
Alles unklar. Zahlen der Armutskonferenz belegen den Bedarf an Leistbarem: 17,5 Prozent der Bevölkerung sind aktuell armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Das bedeutet, dass rund 1,5 Millionen Menschen, ein Sechstel der Bevölkerung, mit ihrem Einkommen unter der Armutsschwelle von 1.259 Euro liegen. Dort liegt auch die Obergrenze für Kund_innen im Sozialmarkt. «Wer weniger als 1.200 Euro verdient, bekommt von uns einen Pass, der ihn zum Einkauf berechtigt», erklärt die Marktleiterin. Täglich würde man allein in Mödling «ein, zwei, manchmal sogar drei» neue Pässe ausstellen.
Und dennoch ringt Soogut derzeit um die Finanzierung. Etwas mehr als die Hälfte der Kosten deckt Soogut mit dem Erlös aus dem Verkauf. 45 Prozent werden über Förderungen gedeckt, die im letzten Jahr vom AMS oder dem Land Niederösterreich bzw. den Gemeinden kamen. Zwar sei vom AMS eine «Startförderung» für Langzeitarbeitslose zugesagt, laut Unternehmenssprecherin Uschi Oswald sei für 2020 aber «nach wie vor alles unklar». Die Mitarbeiter_innenzahl wolle man natürlich halten. Aus Sicht der Marktleiterin in Mödling, Frau Flechl, war schon der Stellenabbau mit Jahreswechsel «katastrophal». Jedes Mal, wenn Kolleg_innen krank würden oder Urlaub nähmen, fehle das Personal, erklärt die Chefin im roten Kapuzenpulli: «Ohne Freiwillige geht nix.» An der Kassa sitze eine Ehrenamtliche, bei den Touren fahre eine mit, und nicht zu vergessen die Helfer_innen, die die neu eingetroffene Ware sortieren. «Wir brauchen dringend mehr Freiwillige!», so Flechl.
Kommt noch was?
Unterdessen hat der ehemalige Maschinenbauer genug vom Einkaufen. Oft warte er ein bisschen, «was noch reinkommt». Für heute dürfte es das aber gewesen sein. «Wenn nichts mehr nachkommt, dann gehe ich», beschließt er und schiebt den Einkaufswagen in Richtung Kassa.
Bei der Finanzierung der Sozialmärkte wäre unbedingt nötig, «dass noch was reinkommt». Sonst wird Armut einmal mehr ausschließlich von sozial Engagierten, von Ehrenamtlichen abgefangen anstatt von einem staatlichen Sozialsystem, das eigentlich dafür da ist, Armutsursachen zu bekämpfen – oder zumindest Menschen in schwierigen ökonomischen Lagen zu unterstützen.