Im Winterschlafvorstadt

Wiens Fußballpätze (17): Das Ernst-Happel-Stadion

Auch wenn im Ernst-Happel-Stadion gerade keine Veranstaltung stattfindet, der Skistall und diverse Magistratseinrichtungen sorgen dafür, dass im weiten Oval des Areals immer etwas los ist.Das Ernst-Happel-Stadion: Österreichs größtes, wichtigstes, traditionsreichstes Stadion. Austragungsort bedeutender Fußballspiele, zuletzt auch des Finales der Fußball-Europameisterschaft 2008, Bühne aufspielender internationaler Pop-Gruppen. Die Großereignisse täuschen leicht darüber hinweg: Die meiste Zeit steht dieses Areal mit immerhin rund 50.000 Plätzen leer.

In den letzten Tagen schneite es viel, und eine zentimeterdicke Schneeschicht legte sich auf den Grund des Happel-Stadions. Ein Bild von tieferer Aussagekraft: nichts als eine weite weiße Fläche und leere Ränge. Niemand ging daran, den Schnee wegzuräumen. Warum auch? In den nächsten Tagen und Wochen steht ja keine Veranstaltung an. Also kein Grund, den Winterschlaf zu stören, diesen besonderen Winterschlaf, der fast das ganze Jahr über anhält.

Innen die größte Ruhe, draußen dagegen emsiges Getriebe. Männer und Maschinen räumen in pausenlosem Einsatz die Fläche rund um das Stadion frei. Ein Kran wurde sogar beordert, um das Dach vom Schnee zu befreien, der hinunterrutschen und Passanten gefährden könnte.

Passanten? Ja, die gibt es hier auch, wenn keine Veranstaltung stattfindet. Da ist beispielsweise jene ältere Dame mit Skiern in der Hand, die auf dem Weg zu ihrer Langlaufstrecke ist, die gleich hinter dem Stadion beginnt. Auf einem Übungsplatz nebenan trainiert gerade die Rapid-Kampfmannschaft. Und da ist nicht zuletzt Manuel Krammel von «Kulinarik». Dieses Gastronomieunternehmen bewirtschaftet die Buffets im Stadion. Auch wenn kein Spiel sei, hätten sie genug zu tun, erzählt Krammel. Geräte warten, putzen, Getränke anliefern. Im Augenblick seien sie vier Leute, bei Veranstaltungen 120.

Es gibt ein Leben im Ernst-Happel-Stadion auch in der spielfreien Zeit. Das lehrt ein Rundgang um das Stadion. Nicht, dass hier, wie in dem vor wenigen Jahren neu errichteten Stadion in Basel, auch ein Altersheim untergebracht wäre. Solch spektakuläre Einrichtungen fehlen. Dafür hat sich hier, im Inneren des Ovals, etwa der Österreichische Fußballbund niedergelassen, genauso der Wiener Fußballverband, und zwar sowohl mit Geschäftsstelle wie auch der Unterabteilung Schiedsrichterwesen. Verständlich, in allen diesen Fällen ist ein beruflicher Konnex gegeben, die Fußball-Institutionen suchen offensichtlich die Nähe zum Ort des Geschehens.

Doch wieso haben auch die MA 6 (Rechnungswesen) und MA 31 (Wasserwerke) hier ihre Zelte aufgeschlagen? Möglich, dass sie die durch die ruhige Lage, am Rand des Praters, angelockt wurden. Wenn ein Länderspiel beginnt, haben sie längst Feierabend (und es nicht weit bis zur Kasse).

Was mag das sein? «Zugang zum Skistall und Turngerätetausch», lese ich auf einem Schild und reibe mir verwundert die Augen. Ich kenne zwar einen Kuhstall, aber was ist ein Skistall? Also die Treppen hinauf. Freundliche Gemeindebedienstete geben gerne Auskunft: 1200 Skier, 1500 Skischuhe und 200 Snowboards würden sie hier lagern, der Skistall sei eine städtische Einrichtung, gedacht für Pflichtschulen, die hier die Ausrüstung für ihre Skiwoche ausleihen wollen.

Irgendwo muss auch eine Gedenktafel angebracht sein, die daran erinnert, dass in der Zeit des Nationalsozialismus das Stadion als Sammelstelle zur Deportation jüdischer Mitbürger_innen missbraucht wurde, wie der Historiker und «ballesterer»-Mitarbeiter David Forster aufgedeckt hat. Doch diese Tafel ist mir nirgends aufgefallen.

Zurück in der U-Bahn-Haltestelle «Stadion». Auch das Training der Rapid-Mannschaft scheint gerade zu Ende gegangen sein. Auf dem Plafond, in der zugigen Luft, warm eingepackt, auf den einfahrenden Zug wartend Steffen Hofmann mit zwei Fußballerkollegen. Andere Profis kaufen sich einen Ferrari der «Fußballgott» fährt öffentlich! Das imponiert mir. «Weil es am schnellsten geht», sagt Hofmann lapidar. Mein Rundgang findet einen schönen Abschluss: Den Rapid-Kapitän mochte ich schon immer, nun mag ich ihn noch mehr (wenn das überhaupt noch möglich ist)!