Jagt Bettler und ihre Freunde, die Fälscherbande!
Was anderswo als irritierende Kunstaktion oder als besonders gelungene Satire gewürdigt würde, gilt in Wien, wo urbane Nonchalance, aufgeklärtes Laissez faire und weltstädtische Liberalität immer mehr auf das Niveau der verkrampften postfaschistischen 50er Jahre herabsinken, wieder als Verbrechen. Eine unbekannte Spaß-Guerilla-Gruppe, die aus Protest gegen die Anti-Bettler-Kampagne der Verkehrsbetriebe einen design-getreuen Hinweis der Wiener Linien an die Lieben Fahrgäste gefaket hat, wird von der Kronen Zeitung wie von den Wiener Linien gejagt. Fälscherbande narrt Fahrgäste in den Öffis und Wiener Linien bitten um Mithilfe bei Suche nach den Tätern im ärgsten Revolverblattstil wird die Bevölkerung auf die Razzia eingestimmt.Dabei sorgen die unbekannten TäterInnen nach dem peinlichen pädagogischen Zeigefinger in Form von penetranten offiziellen Lautsprecherdurchsagen, nur ja nichts den Bettlerbanden und Straßenmusikern zu geben für eine Ehrenrettung der Musikstadt Wien. In dem gefälschten (auf U-Bahn- und Stationswände zu klebenden) Hinweisen heißt es wörtlich: Wir bitten Sie für StraßenmusikerInnen und BettlerInnen immer ein paar Münzen bereitzuhalten. Sie tragen damit zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz von Betteln, Hausieren und Musizieren bei und leisten somit einen wertvollen Beitrag zu einem solidarischen Zusammenleben.
Wer möchte nicht in einer Großstadt leben, die ausreichend liberal ist, dass man solche Aufforderungen gar nicht erst fälschen muss, weil sie tatsächlich Ausdruck einer Menschlichkeits-Offensive der Stadtverwaltung sind?
Wie Gastkommentator Martin Amanshauser in der nicht gerade mit liberaler Urbanität injizierten Presse kürzlich bewies, muss sich niemand einsam fühlen, der diesen Wunsch teilt. Zutat aus Amanshausers Text:
U6, Station Jägerstraße. Ein etwa 16-jähriger Bettler schleicht durch den Waggon. Er gehört nicht zur Hast einmal einen Euro-Fraktion, ist zu schüchtern für seinen Job, streckt den Leuten hilflos die Hand hin, Geld gibt ihm keiner. Vielleicht auch deshalb, weil die Fahrerin gerade eine Lautsprecher-Durchsage tätigt: Achtung, es sind Bettler im Zug. Gebts ihnen nix! Sonst werden wir die Bande nie los! Während in den U-Bahnen anderer europäischer Hauptstädte eine vielfältige Musikkultur (Paris) oder Bettelkultur (die Blinden in Lissabon) entstanden ist, die von manchen Passagieren ignoriert, von anderen gefördert wird, nehmen die Wiener Linien seit jeher eine rigide Haltung gegenüber informeller Erwerbstätigkeit ein. Ich fand das immer traurig, akzeptierte es aber als legitimen Ausdruck österreichischer Seele. Wenn nun aber über Lautsprecher individuell Politik betrieben wird, die den Passagieren Verhaltensweisen einer suggestiv als existent vorausgesetzten Bande tunlichst kein Geld zu geben vorschlägt, überschreitet das eine Grenze: Denn es heizt die Stimmung vom Typus Bevölkerung wehrt sich auf, und es produziert Strache-Wahlkampf ohne Strache.