In der Donauschlingetun & lassen

Illustration: Thomas Kriebaum

Eing'Schenkt (28. August 2024)

Dort, wo die Donau eine Schlinge macht, im oberösterreichischen Schlögen, stand zwischen 1935 und 1938 ein Zwangslager für Arme. Von diesem Haftlager, in das Armutsbetroffene aller Art, Nichtsesshafte, Obdachlose und Bettler:innen verfrachtet wurden, ist heute mit dem Auge nichts mehr zu sehen. Wer hinschaut, sieht aber die Geschichte von wirtschaftlicher Misere, aufgeregter Sündenbockpolitik und öffentlicher Demütigung sich entlang den Wassern der blauen Donau wiederspiegeln.
Das im Oberfeld am rechten Donauufer angelegte Lager bestand aus mehreren Holzbaracken, die mit Stacheldrahtzaun umgeben waren. Die Standortwahl begründete sich durch die seit mehreren Jahren geplanten Ausbauarbeiten an der Nibelungenstraße, die den Einsatz von vielen (billigen) Arbeitskräften erforderten. Die Häftlinge erhielten dafür keinen angemessenen Lohn, sondern nach Ende der Haft ­Naturalien als Sachleistung.
Mittels «Streifungen», so hießen die Aufgriffaktionen der Behörden, wurden die Menschen ermittelt und in das Arbeitslager an der Donauschlinge ­verschleppt. Die Presse im austrofaschistischen Ständestaat rühmte das Lager als «wegweisende Tat». An diese Kultur von Abwertungen und Entwürdigungen konnte das nationalsozialistische Regime anknüpfen.
Anna Burgers Kindheit in Klosterneuburg war von Armut, schulischen Problemen und häufigem Wohnortswechsel geprägt. «Ihre Geschichte ist in gewisser Weise eine typische Geschichte von jemandem, der als ‹asozial› verfolgt wurde», schreibt die Sozialwissenschafterin Brigitte Halbmayr, die sich auf die Spuren von Menschen begeben hat, die aufgrund ihrer Armut in die behördlichen Fänge der völkischen Ideolog:innen geraten waren. Der Großteil der als «asozial» Verfolgten stammte wie Anna Burger aus der unteren Einkommensschicht. Unter «asozial» fielen etwa Arbeitslose, Nichtsesshafte, Sozialleistungsbeziehende, Suchtkranke, Personen, die ihren Haushalt «nicht richtig führen konnten», die von staatlichen Leistungen abhängig waren oder sich angeblich vor der Arbeit drückten. Als «asozial» wurden auch Menschen verfolgt, die bettelten oder wohnungslos waren. Bei Frauen wie Anna Burger wurde stark auf die sogenannte «moralische Lebensführung» gesetzt. Diese Moralisierung der Armut findet sich auch heute in Kommentaren und Postings seitenweise vorgetragen: Vorschläge besserer Lebensführung für Sozialhilfebezieher:innen, wo besser sparen, wie billiger kochen, was nicht tun, was schon, wie unfähig, warum schuld. Die Mechanismen der Entwürdigung sind immer die gleichen.
Die Gaue Wien, Niederdonau und Oberdonau taten sich in der Verfolgung von als «asozial» gebrandmarkten Menschen besonders hervor. Arbeitsamt, Fürsorge, Kriminalpolizei und öffentliche Verwaltung arbeiteten in «Asozialenkommissionen» eng zusammen. Jugendliche, Frauen und Männer wurden in geschlossene Arbeitsanstalten (Am Steinhof oder in Znaim für Frauen) oder Arbeitserziehungslager (Oberlanzendorf für Männer) eingewiesen oder auch in Konzentrationslager deportiert. Anna Burger starb in Ravensbrück.
Das Wort «asozial» sagt ja viel mehr über den Zustand der Gesellschaft aus als über die Menschen, die sie mit diesem Wort bezeichnet. Die Geisteshaltung ist wieder sehr aktuell. Die Schlinge zieht sich zu. Wenn wir sie nicht lösen. Was vor ein paar Jahren noch als demokratisch unmöglich erschienen ist, wird heute akzeptiert und morgen vielleicht möglich.

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