In der Nacht flogen die Steinetun & lassen

«All diese Erniedrigungen» – Gespräche mit Menschen auf der Flucht

Hier und dort versucht man Menschen zu überzeugen, dass für eine «große Idee» nicht schade wäre, Blut zu vergießen. Und man glaubt daran trotz jeder Logik. Als ob man wirklich aus Millionen persönlicher Nöte ein großes Glück erbauen könne. Infolgedessen vergießen einige ihr Blut, damit andere erblühen. Diese anderen entscheiden dann, was schlecht und was gut ist, da gerade sie die Massenmedien beherrschen. Wer ist an den Unglücken unschuldiger Menschen schuld? Diana Wiedra hat für den Augustin einige in Österreich gestrandete Flüchtlinge befragt. Einige wenige menschliche Schicksale auf der erhitzten Pfanne der modernen Bürgerkriege …

Foto: Martin Petrik

A: Wie ich nach Österreich kam? Ich bin eine Armenierin, und mein Mann war Aserbaidschaner. Als der Krieg ausgebrochen ist, hat man ihn getötet, weil er mit mir, einer Armenierin, verheiratet war. Ich kam mit meinem Sohn nach Armenien zurück, aber auch in meiner Heimat hat mein armer Junge Schläge in der Schule bekommen, man nannte ihn den «aserbaidschanischen Bastard». Ich bin in die Schule gegangen, aber der Lehrer wollte auf mich nicht hören, er brachte mich zu einer Tafel mit Fotos von ehemaligen Schülern, die in Nagornyj Karabach umgekommen sind, und sagte zu mir: «Ergötze dich, du aserbaidschanische Dirne!» In der Nacht flogen Steine in unsere Fenster. Den Morgen nicht erwartend, liefen wir aus dem Haus, sogar die Zahnbürsten konnten wir nicht mitnehmen. Seit dieser Zeit finden wir kein Zuhause. …

B.: Während des ersten tschetschenischen Krieges war ich fünfzehn. Ich glaubte, dass es ein Krieg für eine Unabhängigkeit meines Landes war, und ich war bereit, mein Leben dafür zu opfern. Ich half den Kämpfern, versorgte sie mit Lebensmittel, mit Medikamenten und Munition. Später hat sich aber alles geändert. Oder ich bin erwachsen geworden und fing an, das zu sehen, was ich früher nicht sah. Der Kampf für die Unabhängigkeit verwandelte sich in einen Kommerz. An einem kommerziellen Krieg will ich mich aber nicht beteiligen. Ich floh nach Ossetien, dann in die Ukraine, und später in das freie Europa … Ich blieb aber hier auf der Straße. Übernachtete in Parks und auf den Bahnhöfen … Ich fror. Ernährte ich mich aus den Mülltonnen. Viele Flüchtlinge bekamen die Plätze in Wohnheimen, ich aber blieb ohne Hilfe. Das dauerte sehr lange. Ich bedauerte, dass man mich im Krieg nicht erschossen hatte, es wäre besser, als alle diese Erniedrigungen ertragen zu müssen …

C.: Mit einem Wort, wenn die Herren sich streiten, krachen bei den Leibeigenen die Köpfe. Mir ist es egal, ob die Weißen oder Schwarzen, Blauen oder Grünen da sind, ich will nur mein Geschäft haben. Ich hatte ein paar Kühe, ein paar Schafe und ich machte Butter, Käse, dann verkaufte ich das auf dem Markt. Einmal kommt ein Wagen, es springen drei Maskierte heraus, nehmen mich und noch zwei Männer und mit und schleppten uns in den Lastwagen. Sofort begannen sie mit dem Verhör: Wo sind die Kämpfer, mit wem ich mich traf, wohin bringe ich Lebensmittel usw. Ich bin aber ein Farmer, ein Geschäftsmann, ich will nur ruhig arbeiten und meine Familie ernähren. Man hat mir einen Sack auf den Kopf gesetzt und mich in einen Keller gebracht. Es war kein staatliches Gefängnis, sondern ein wie Gefängnis ausgestattetes Privathaus. Es war auch «Business»! Was war weiter? Mein Vater musste sein Häuschen verkaufen und Lösegeld bezahlen. Dann sagte er, ich solle wegfahren. Jetzt friste ich in Österreich ein elendes Leben. Ich will aber arbeiten, ich bin jung, gesund und stark, ich brauche ihre Almosen nicht …

D.: Ich bin mit meinen Nerven schon am Ende. Ich werde viel zu reizbar. Gestern sprach mich in der Küche unseres Wohnheims ein Iraner an, er fragte, wie ich heiße, wie ich ohne Mann zurechtkomme … Peinlich, das einzugestehen, aber ich bin auf ihn losgegangen, damit er mich in Ruhe lässt. Von meinem Mann gibt es seit zwei Jahren keine Nachrichten. Ich bin alleine mit drei Kindern geblieben. Im Wohnheim ist es natürlich besser als auf der Straße, aber die Kinder sind von der Gesellschaft abgeschnitten, so werden sie niemals Deutsch lernen können. Wo ist mein Mann? Ich weiß es nicht. Er war im Krieg, dann verschwand er. Vielleicht lebt er nicht mehr. Mir ist wichtig, meine Kinder großzuziehen. Ich würde gerne in eine private Wohnung ziehen, verzeiht mir, weit weg von unseren Landsleuten, damit sie meine Kinder nicht manipulieren können, damit meine Kinder mit keinen «großen Ideen» infiziert werden. Wenn sie in die Schule gehen, erlernen sie Deutsch …

E.: Ich bin schwanger, und ich habe noch zwei Kinder. Mein Mann wurde vor kurzem verhaftet. Wann hört das endlich auf?! Mein Mann sagte, Tschetschenen führten einen Kampf um die Gerechtigkeit. Er sagt, er sei unschuldig verhaftet worden, zufällig saß er in einem Auto mit seinen Freunden, und er wusste gar nicht, dass im Gepäckraum gestohlene Ware lag … Ich will das alles nicht mehr hören! Ich will nicht, dass meine Kinder das alles sehen! Aber was soll ich machen? In einem fremden Land, ohne Sprache, ohne Verwandte, ohne Freunde. Früher lebten alle in unserem Land friedlich, keiner tötete jemanden, keiner lief in dieses Europa …

F.: Sehen Sie diese blauen Flecke? Sie hat mich geschlagen! Ich habe nichts gemacht. Es passierte in der Küche in unserem Wohnheim. Ich habe nur gesagt, dass sie ihr Kind nicht anschreien darf. Sie fing aber an, mich anzuschreien, ich wäre eine Hexe, ich hätte ihr Kind durch meinen bösen Blick verhext und so weiter. Ich bin aber ein friedlicher Mensch, ich bin eine Pazifistin, ich liebe alle Menschen, ich war eine Lehrerin, ich lebe alleine, ohne Ehemann … Was ich überhaupt hier mache, in einem fremden Land?

G.: Warum lächle ich? Drei Nächte übernachteten wir mit unseren Kindern auf dem Bahnhof, dann haben wir aber gute Menschen gefunden, sie brachten uns zum Roten Kreuz, heute haben wir uns zum ersten Mal in der Wärme ausgeschlafen. Wie kann man da nicht lächeln? Wieso ich so lebenslustig bin? Ich weiß es nicht. Ich bin so von Kindheit an. Mein Älterer ist auch sehr lebendig, eine neugierige, rastlose Natur. Meine Bekannten, unsere Frauen sagen zu mir, warum ich meinen Sohn nicht bestrafe, er stecke überall seine Nase hinein. Aber wieso sollte ich das Kind bestrafen? Es entdeckt die Welt. Wenn man Kinder schlägt, werden sie als Erwachsene böse, dann schlagen sie ihre Kinder. So beginnen die Kriege …“

H.: Ich bin eine Ukrainerin. Mein Mann ist ein Afrikaner. Er ist ein guter Ehemann und Vater. Hätte ich einen Trinker geheiratet, aber einen von unseren, hätte man mich geliebt und bedauert, wahrscheinlich würde man mich für eine Heldin halten, aber ich habe ein Kind von einem Afrikaner bekommen. Ich will nicht wiederholen, wie man mich beschimpfte und was ich in meiner Heimat, in der Ukraine, erleben musste. Am Anfang dachte ich mir, macht nichts, meine Bekannten und die Nachbarn werden sehen, was für ein guter Mensch er ist, und alles wird anders. Das ist aber nicht passiert. Als unser Töchterchen in den Kindergarten kam, wurde auch sie geschlagen und beleidigt. Die Nachbarn schlugen unsere Fenster ein, sie nannten mich … Egal! Dann fuhren wir nach Sudan, in die Heimat meines Mannes. Dort war es aber nicht besser. Mein Mann hatte sich zuhause für Frauenrechte engagiert. Das hat man ihm nicht vergessen. Seine Verwandtschaft verlangte auch, dass ich und meine Töchter uns der Beschneidung unterziehen. So mussten wir wieder davonlaufen. Wo wir nicht überall umherwanderten! Weil ich eine ständige Angst hatte, ging meine Gesundheit verloren. In so einem Zustand ist es sehr schwierig, eine gute Mutter und Ehefrau sein.

I: Ich bin ein Tschetschene, und meine Frau kommt aus Weißrussland. Vom Charakter her ist sie unabhängig und stark, dafür haben sie meine Verwandten gehasst. Es war für sie gefährlich, in Tschetschenien zu bleiben. Wir sind in die Ukraine gefahren. Dort bekam aber ich die Probleme, beinahe jeden Tag kam die Polizei. Ich habe nichts gemacht, ich half keinen Kämpfern, mich interessiert nur meine Familie, ich will, dass meine Kinder glücklich aufwachsen, ohne Hass. Ich musste mich aber verstecken, damit die Nachbarn nicht wussten, dass ein Tschetschene im Haus lebt. Meine Frau nannten sie «tschetschenische Hure» …

 

Blauer Block stört Demo in Traiskirchen

Die Lage in Traiskirchen wird immer skandalöser. In der letzten Juliwoche näherte sich die Zahl der Flüchtlinge der 4500er-Marke an. 2000 davon sind obdachlos, liegen ohne Notbetten, ohne Matratzen auf den Grünflächen des Lagers. Rund 400 von ihnen demonstrierten am letzten Juli-Sonntag durch den Ort Traiskirchen, zusammen mit etwa 300 solidarischen Menschen, die zum Teil aus Wien gekommen waren. Traiskirchens Bürgermeister, der als Hoffnungsträger der SPÖ gilt, scheiterte mit seinen Vorstößen, die Demo zu verbieten. Die Traiskirchner Bevölkerung verfolgte von ihren Fenstern aus die lautstarke Demo – für viele überraschend – gelassen; eine FP-Anhänger_innengruppe, der blaue Block, versuchte die Demo zu stören, konnte aber von der Polizei auf Distanz gehalten werden. Besonders die jungen Flüchtlinge verwandelten die Demo in ein Fest der Würde und des Stolzes. Sie haben, zumindest an diesem Feier- und Kampftag, ein großes Stück öffentlichen Raums erobert. Von einem Punkt der Demo-Route aus ist der Schneeberg zu sehen. Manche erinnert er an die Berge der kurdischen Heimat.

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