Die kronenzeitungsförmigen Instanzen der Volkspädagogik belehren uns, dass der Unwille von Minderheits-Vertetern, sich an die Mehrheitsgesellschaften anzupassen, zu den größten Sünden zähle. Muslime, die unter ihresgleichen bleiben, und die sprichwörtliche türkische (kinderreiche) Gastarbeitergattin, die seit 20 Jahren in Wien lebe und kein deutsches Wort kenne, sind bekannte Klischees, die die Xenophopie der Gesellschaft teils widerspiegeln, teils reproduzieren.Als ob ich nicht wüsste, dass Appelle an die Vernunft nicht greifen, wo das Ressentiment tief in der Seele der Menschen verwurzelt ist, begegne ich Sprachrohren solcher Klischees doch immer wieder (vergeblich) mit kopfgeborenen Argumenten, in der Regel mit folgenden Begründungs-Doppel:
Erstens: Eine Weltstadt, die diesen Titel für sich beansprucht, muss aushalten, dass nicht alle BenützerInnen und BewohnerInnen dieser Stadt sich den üblichen Moden und Verhaltensmuster der Mehrheit unterwerfen. Wer Angst vor einigen Nichtangepassten hat, soll ins Dorf ziehen, aus dem die dortigen Nichtangepassten längst in die Hauptstadt abgeschoben wurden. Eine Weltstadt ist per definitionem der Ort, wo man den Grad seiner Integration wählen kann.
Zweitens: Oft verstoßen Menschen, die das Prinzip der obligatorischen Anpassung predigen, gegen dieses Prinzip, indem sie die Resistenz gegen einen Integrationsdruck als positive Stärke verteidigen. Dazu fallen mir im spontanen Gespräch meistens folgende drei Beispiele ein: Tiroler in Brasilien, ChinesInnen in Wien, ein prominenter Bayer in New York.
Die Tiroler Auswanderergemeinden sind in der fremden lateinamerikanischen Gesellschaft tirolerisch geblieben; ihre Einwohner werden wegen ihrer Integrations-Resistenz als die Unsigen, die ihrer alten Heimat treu blieben, verherrlicht. Die aktuellen Pläne der chinesischen Community in Wien, eine Chinatown entstehen zu lassen, werden von den selben Massenmedien, die gegen eine imaginäre muslimische Parallelgesellschaft mobilisieren, als möglicherweise fremdenverkehrsfördernd freudig begrüßt; der sprichwörtliche hundertjährige Chinese in der Chinatown von New York, der noch keinen einzigen englischen Satz ausgesprochen hätte, obwohl er in dieser Chinatown geboren wurde, gilt als lebenswertes menschliches Logo dieser Konzentrationen chinesischen MigrantInnen in den Weltstädten. Auch das zeigt: sich nicht anzupassen, kann so oder so bewertet werden.
Das letzte Beispiel ist Oskar Maria Graf. Als Sozialist in Lederhosen wurde der Schriftsteller (1894 1967) bezeichnet, als roter Heimatdichter, als bayrischer Balzac. Von 1938 an lebte Oskar Maria Graf bis zu seinem Tod 1967 in New York. Er lernte nie Englisch, zog in Lederhosen durch New York und gründete dort einen bayrischen Stammtisch. Auch wenn hierzulande und in Deutschland die politische Haltung Grafs von Konservativen nicht goutiert wird (er empfand es als größte Schmach, dass die Nazis anfänglich seinen Namen auf die Weiße Liste empfohlener Autoren setzten, und forderte über den österreichischen Rundfunk seine Landsleute auf, auch seine Bücher mit zu verbrennen), wird die Anpassungsverweigerung des Bayern in New York überaus positiv rezipiert.
Und das, obwohl Lederhosen uns allen längst weit weniger vertraut sind als Kopftücher.