In manchen Pässen: Vermerk „Bettlerin“tun & lassen

Betteln als Beruf? Teil 2

BettlerInnen_1.jpgIst Betteln Arbeit? Oder gar ein Beruf, der spezifisches Wissen und kontinuierliches Lernen erfordert? Der Augustin brachte in der vorigen Ausgabe, 226, den ersten Teil des Interviews mit der Bildungswissenschafterin Marion Thuswald, das hier fortgesetzt wird. Sie sprach mit Bettlerinnen auf Wiens Straßen. Eine Erkenntnis: Nicht eine imaginäre Mafia, sondern die Polizei nimmt den Bettlerinnen das Geld ab. Thuswald entwickelte eine ungewöhnliche Forschungsperspektive auf das Thema, die bettelnde Frauen nicht nur als passive Opfer wahrnimmt.

Wie schaut die Lebenssituation der bettelnden Frauen, die du interviewt hast, aus?

Ich bin hauptsächlich auf zwei Gruppen hier in Wien gestoßen: einerseits auf Slowakinnen, die der ungarischen Minderheit angehören und Romnia sind. Sie pendeln im Ein- bis Zwei-Wochen-Rhythmus nach Österreich und lassen ihre Kinder bei weiblichen Verwandten zu Hause. Sie machen stille Besetzungen, d. h. sie suchen sich leer stehende Häuser, legen Matratzen rein und schlafen dort. Sie essen bei Suppenausspeisungen etc. Sie leben damit hier sehr, sehr billig und können den Großteil des Geldes mit nach Hause nehmen. Die zweite Gruppe, die rumänischen Frauen, die kommen für etliche Wochen oder Monate und haben ihre Kinder zumeist dabei. Sie mieten sich ein Zimmer oder einen Schlafplatz und sind hier gemeldet. D. h. sie haben weitaus höhere Ausgaben in Österreich, dadurch bleibt ihnen abzüglich der Lebenshaltungskosten auch weniger, was ihren Erfolg als Bettlerinnen schmälert. Zum Vorwurf der organisierten Bettelei bzw. der Ausbeutung ist aus meiner Sicht zu sagen: Natürlich gibt es überall, wo große Not herrscht, auch Ausbeutung. Ich glaube allerdings nicht an mafiaähnliche Strukturen. Ausbeutung kann auch schon dort beginnen, wo sich jemand Geld leiht, es nicht zurückzahlen kann und dann empfohlen kriegt, nach Österreich zu kommen, um das Geld zurückzahlen zu können. Ich habe mit einer Frau gesprochen, bei der es so war. Die Person, von der sie Geld geborgt hat, wurde aber sehr widersprüchlich geschildert. Auch positiv, weil ihr die Frau viel geholfen und ihr auch gezeigt hat, wie man betteln muss, um Erfolg zu haben.

Was sind die größten Probleme der Frauen hier in Österreich?

Die Frauen haben drei zentrale Herausforderungen hier: Erstens die Grundversorgung für sich und ihre Familien sicherstellen; zweitens den Schutz für sich und die Familie gewährleisten. Es kostet die Frauen sehr viel Energie, ständig wachsam sein zu müssen. Zum einen: Wo ist die Polizei? Kann ich noch rechtzeitig verschwinden? Auch das Verhalten der Polizei ist für sie ein Problem. Und zum anderen: Wer wird mich anspucken, wer wird mich treten, wer wird mich zur Prostitution auffordern? Also die eigene Integrität schützen, körperlich, moralisch, psychisch. Das kostet sehr viel Energie. Und drittens: Perspektiven entwickeln. Einerseits materiell, also sich zum Beispiel ein Heim aufbauen oder eine Waschmaschine kaufen. Eine der Frauen sie hat allerdings die Schulpflicht abgeschlossen gehabt hat eine Lebensversicherung für ihre Kinder einbezahlt, damit sie mit 18 etwas rausbekommen. Viele der Frauen haben den Wunsch, arbeiten zu gehen, aber das ist sehr schwierig. Die meisten haben ihre Kinder sehr, sehr früh bekommen und keinen Schulabschluss, keine Berufsausbildung, keine Lohnarbeitserfahrung, und da gibt es sogar im Bereich der informellen Ökonomie und auf dem Schwarzarbeitsmarkt starke Konkurrenz. Eine Frau habe ich kürzlich wieder getroffen: Sie ist jetzt Rosenverkäuferin. Sie kauft Rosen bei Hofer und geht dann durch die Lokale. Sie hat also einen kleinen Aufstieg geschafft und kann inzwischen auch ganz gut Deutsch. Ihre Situation ist aber weiterhin prekär.



Du hast erwähnt, dass die Polizei ein großes Problem für die Frauen darstellt. Was genau meinst du damit?

Ich war anfangs recht naiv. Ich hab den Frauen gesagt: Die Polizei darf euch nichts tun, denn Betteln ist erlaubt. Aber fast alle haben von massiven Problemen mit der Polizei berichtet. Die Rumäninnen erzählten, dass immer wieder ihre Daten aufgenommen werden, sie immer wieder von Plätzen, wo sie betteln, vertrieben werden mit der Bemerkung, hier sei Betteln nicht erlaubt, wenn sie nicht weggingen, würden sie eingesperrt. In manchen Pässen finden sich Vermerke wie Bettlerin oder der Verweis auf das Wiener Landessicherheitsgesetz als codierte Markierung. Sie bekommen reihenweise Anzeigen und Geldstrafen wegen aggressivem oder organisiertem Betteln. Was sie als besonders ungerecht erleben, ist, dass ihnen die Polizei das Geld abnimmt. Eine Strategie, damit umzugehen, ist die, dass ein Familienmitglied zwischendurch vorbeikommt und das bis dahin erbettelte Geld abholt. Das erweckt aber bei manchen Beobachtern den Eindruck, hier werde abkassiert, und damit wird das mediale Klischee bestätigt. Eine recht schlimme Geschichte habe ich auch erzählt bekommen. Eine Frau ist mit ihrem 5-jährigen Sohn in einem Wiener Außenbezirk von der Polizei aufgegriffen und mitgenommen worden. Sie dachte, jetzt komme sie ins Gefängnis, und hatte große Angst, auch das Kind hat geweint. Sie sind mit ihr aus der Stadt hinausgefahren, irgendwo in den Wienerwald, haben sie dort mit ihrem Kind aussteigen lassen und sind weggefahren. Sie war ganz verzweifelt und ist lange zu Fuß und dann per Anhalter zurück und erst nach Mitternacht nach Hause gekommen. Oder die Slowakinnen haben zum Beispiel erzählt, dass sie schon mehrmals im Gefängnis waren. Vielleicht werden sie eher eingesperrt, weil sie im Gegensatz zu den Rumäninnen in Wien nicht gemeldet sind. Aber das habe ich im Detail nicht herausgefunden. Auch das Perlustrieren durch die Polizei wird von den Frauen als sehr heftig erlebt.

Warum wird deiner Meinung nach auf Bettelnde mit so heftiger Ablehnung reagiert?

Die Bettlerinnen sind sichtbar, und Emotionen laden sich ja oft auf einer sichtbaren Gruppe ab. Zuerst waren es die Schwarzafrikaner, jetzt sind es die Bettlerinnen. Es ist schon auch eine machtvolle Geste, die sie setzen: Sie nehmen sich den öffentlichen Raum. Eine mögliche psychologische Erklärung für die Ablehnung ist, dass sie bei den Menschen einen inneren Zwiespalt auslösen: Der Ausgangspunkt kann durchaus ein positives Gefühl des Mitleids sein, und gleichzeitig will man nicht jedem was geben; plötzlich wandelt sich dieses Gefühl in Ärger auf die Person um, die einen in diesen Konflikt bringt. Andererseits ist in diesem Kontext das Bild der sauberen Stadt zentral, jetzt noch verstärkt rund um die EURO 2008. Der Blick auf Bettelnde ist eine Konfrontation mit etwas Unangenehmem, mit Armut, mit großen materiellen Unterschieden. Ich muss auch noch jedes Mal überlegen, wie ich damit umgehe. Ich habe aber die Position: Es kann jeder entscheiden, ob und wie viel er gibt. Aber man muss es aushalten, dass sie da sind.

Was wären deiner Meinung nach Ansatzpunkte, damit sich die Lebenssituation der Frauen zum Besseren wendet? Oder wie kann sich die Art des Diskurses verbessern?

Die Durchsage der Wiener Linie (siehe unten) hat die Ablehnung der Bettlerinnen sehr stark legitimiert. Die pauschale Zuschreibung organisiertes Betteln man sieht ja niemandem an, ob das zutrifft oder nicht hat die öffentliche Meinung sehr stark negativ geprägt. Da sehe ich die Möglichkeiten, wirkungsvoll gegenzusteuern, momentan eher pessimistisch. Vielleicht im Kontext, des Rechts für alle den öffentlichen Raum zu nutzen und zu gestalten. Das wird ja in Wien auch im Zusammenhang mit der Plakatier-Monopolstellung der Gewista diskutiert. Das könnte ein Ansatzpunkt sein. Für die Lebenssituation der Frauen fände ich es sehr wichtig, dass man gegen ihre Kriminalisierung und gegen das Verhalten der Polizei etwas unternimmt. Es müsste jemand gemeinsam mit einer betroffenen Frau wagen, die Polizei zu verklagen. Wenn das ein, zwei, drei Mal passiert, dann traut sich die Polizei nicht mehr, Bettlerinnen auf diese Weise gegenüberzutreten. In Graz hat das Pfarrer Pucher von der Vinzenzgemeinschaft Eggenberg mit Erfolg gemacht. Das würde die Lebenssituation der Frauen wesentlich verbessern. Die Vinzenzgemeinschaft hat auch Initiativen gesetzt, in den Herkunftsländern Dinge zu verändern, zum Beispiel eine Nudelproduktion in einem slowakischen Roma-Dorf aufzubauen. Das halte ich auch für einen legitimen Schritt, immer in Absprache mit den Frauen, was für sie passt. Das Schwierige ist, dass die Frauen sehr gewohnt sind, von einem Tag auf den nächsten handeln zu müssen, und dass es viel Misstrauen gibt. Um wirklich etwas gemeinsam zu machen, was auch Bestand hat, braucht es viel Vertrauensaufbau. Den zentralen Ansatzpunkt sehe ich darin, hier in Österreich gegen die Repression zu arbeiten. Denn das können wir machen, jeder und jede von uns. Das ist unser Staat, das sind auch unsere Grundrechte. Das würde viel verbessern.

Durchsage der Wiener Linien seit Juni 2006

Viele Fahrgäste fühlen sich durch organisiertes Betteln in der U-Bahn belästigt. Wir bitten Sie, dieser Entwicklung nicht durch aktive Unterstützung Vorschub zu leisten, sondern besser, durch Spenden an anerkannte Hilfsorganisationen zu helfen. Sie tragen dadurch zur Durchsetzung des Verbots von Betteln und Hausieren bei den Wiener Linien bei.

Info:

Interessante Links zum Thema:

Wiener Bettlerinnen-Mythen:

http://www.ka-wien.at/betteln/betteln1.php

Artikelsammlung zum Thema Betteln:

http://www.christopolis.net/?tag=betteln

Die Studie:

Marion Thuswald: Betteln als Beruf? Wissensaneignung und Kompetenzerwerb von Bettlerinnen in Wien Diplomarbeit, Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien 2008