Inklusiver HüftschwungArtistin

Tanzen fördert den Aufbau von Muskeln und Gemeinsamkeit. Bei «Ich bin O. K.» haben manche Tänzer_innen Behinderungen und manche haben keine. Manche haben große Ambitionen und manche einfach nur Spaß. Ein Bildband gibt Einblick in das künstlerische Schaffen. Text: Lisa Bolyos

Mit dem Opernball ist es ein bisschen so wie mit der Eheschließung: eine unnötige Institution, aber solange es sie gibt, soll sie allen offenstehen. Darum kann man sich schon ein bisschen mitfreuen, dass heuer zum dritten Mal zwei Tänzer_innen mit Down-Syndrom vom Verein «Ich bin O. K.» die Eröffnungs-Quadrille mittanzten. Aber wirklich cool ist was anderes: nämlich dass bei «Ich bin O.K.» seit vierzig Jahren gemeinsam getanzt wird – mit und ohne Behinderung, mit und ohne Vorkenntnisse, mit und ohne Karrierewunsch, aber immer mit Lust an der Bewegung, der Bühnenshow und der Gemeinsamkeit. Der Anspruch des Vereins ist, künstlerische Fertigkeiten professionell zu fördern und gleichzeitig einen Mikrokosmos zu schaffen, in dem eine Gesellschaft der Gleichberechtigten vorweggenommen wird.

Das Buch zum Tanz.

«Ich habe als Kind zu tanzen begonnen und nicht mehr damit aufgehört», erzählt uns Johanna Ortmayr, die Präsidentin von Down-Syndrom Österreich. Ortmayr ist eine der Tänzer_innen von «Ich bin O. K.». Sie besucht Kurse im Tanzstudio, nimmt an Produktionen teil und hat die Ausbildung zur Tanzassistentin abgeschlossen. Für das Buch über das andere Tanzen haben der Fotograf Philipp Horak und die Grafikerin Marion Mayr Johanna Ortmayr und dutzende andere Tänzer_innen ins Tanzstudio, in dem temporär ein kleines Fotostudio aufgebaut wurde, und zur Aufführung der Mozart-Adaption Flötenzauber begleitet. Entstanden sind dabei zauberhaft schöne Bilder, die den Spaß an der Bewegung, die Innigkeit des Gemeinsamen, die Aufregung der Bühnenkunst und die Professionalität der Tänzer_innen abbilden.

Eine richtige Institution.

Philipp Horak und Marion Mayr haben sich über ihre Kinder kennengelernt, der Sohn der Grafikerin ist ein bisschen jünger als die Tochter des Fotografen. Zuerst war der Bedarf da, sich über Elternschaft von Kindern mit Down-Syndrom auszutauschen, dann kam die Freundschaft dazu, heute tanzen beide Kinder bei «Ich bin O. K.». Auf die Frage, wie er den Verein kennengelernt hätte, lacht Philipp Horak nur. Man käme gar nicht daran vorbei, «das ist eine richtige Institution».
«Ich bin O. K.» wurde vor 40 Jahren von der Pädagogin Katalin Zanin gegründet. Die Geschichte dazu, die voll erkenntnisreicher Anekdoten ist, erzählt sie auszugsweise in dem Buch: «Ich wollte kein Mitleid erzeugen oder mit dem Tanzen therapieren, das war nicht der Sinn meiner Arbeit. Der Anspruch, den ich an mich und die Tänzerinnen und Tänzer stellte, war ein künstlerischer.» Talente schürfen, wo die Medizin nur Defizite sieht, und einen Raum schaffen, in dem man «Tanzschritte und gegenseitige Verantwortung» lernt, diese Ziele wurden in vier Jahrzehnten übererfüllt.
Emma Lou, die Tochter von Philipp Horak, profitiert in vielerlei Hinsicht vom Tanzsport: Sie liebt Bewegung, sie lernt Choreographien einzustudieren, sie hat erwachsene Vorbilder, findet Peers, die das Down-Syndrom haben, aber ebenso Tanzfreund_innen mit anderen oder ohne Behinderungen. «Der Mix ist wichtig», sagt der Vater, «Inklusion ist zentral, aber ebenso braucht es Kinder und Erwachsene in ihrer Umgebung, die auch das Down-Syndrom haben.»
E-Learning und Wohnzimmer-Dancing. Ein Kind mit Down-Syndrom so aufwachsen zu lassen, dass es seiner Entwicklung förderlich ist, ist, so Horak, «eine Lebensherausforderung». Man müsse «definitiv nicht behaupten, dass das easy ist», sagt er ganz unromantisch, aber man lerne mit der nötigen Aufmerksamkeit, die Stärken des Kindes zu fördern, und die Überraschungen bleiben nicht aus: «Vor einem Jahr hätte ich noch gedacht, dass Emma Lou nie schwimmen lernt, und heute schwimmt sie wie ein Fisch.» Die Corona-bedingte Zuhausesitzerei ist für Emma Lou wie für alle Schulkinder eine neue Situation. «Aber das E-Learning funktioniert wunderbar, sie braucht einen Motivations-Stupser, und dann ist sie so wissbegierig, dass sie kaum zu bremsen ist.»
Während auf den Tanzbühnen der Stadt vorübergehend der Vorhang gefallen ist, kann man wunderbar im Buch über das andere Tanzen schmökern und sich ausmalen, man wäre selbst eine gute Tänzerin. Und auch wenn der Wohnraum beschränkt ist, lassen Sie sich eines von mir sagen: Ein bisschen Musik und Hüftgewackel am Morgen vertreibt eine ganze Reihe WG- und Familiensorgen!

Ich bin O. K. – Ein Buch über das andere Tanzen
Fotos: Philipp Horak
Gestaltung: Marion Mayr
Texte: Verena Randolf u. v. m.
Hollinek 2020
224 Seiten, 35 Euro