Ins südmährische Nichtstun & lassen

Lärmschutzwände durchs Unesco-Biosphärenreservat?

Zu vielen Wiener_innen ist das tschechische Grenzstädtchen Mikulov/Nikolsburg, das anschließende Landschaftsschutzgebiet Pálava/Pollauer Berge und die beiden Thaya-Stauseen von Nové Mlýny/Neumühl unbekannt. Entsprechend wenig Beachtung findet das Faktum, dass diese Region vom Weinviertel her bedroht wird: von der sich nach Norden durchfressenden A5, die nach einer Verlängerung jenseits der Grenze schreit.

 

Foto: Hirschstetten retten

Die zukünftige Autobahn, die Brno mit Wien verbindet, soll sich mitten durch das Unesco-Biosphärenreservat Pálava ziehen. Die EU hat es so geplant: Die Schnellverbindung Brno-Wien ist Teil des TEN-Programms der Europäischen Kommission. TEN steht für Transeuropäische Netze. Weil die Autokonzerne der EU da einiges mitzureden haben, zielt die Brüsseler TEN-Politik vor allem auf den Ausbau europäischer Straßenverbindungen, denn zu den höchsten Freiheiten zählt in der EU die Freiheit des Gasgebens und der Beschleunigung in geleasten oder gekauften, jedenfalls aber immer gerade aktuellen Pkws – und die Freiheit der Wirtschaft, alle Waren in kürzester Zeit mit Lkws zu transportieren, wohin auch immer.

Als Interessent_innen für den Ausbau der Achse Brno-Wien haben sich exponiert: die Autobahngesellschaft Asfinag; der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll; die Raiffeisengruppe als Kreditgeber bei Bauprojekten, für die schlussendlich der immer zahlungsfähige Staat haftet; jenes Konsortium aus österreichischen und internationalen Baufirmen, denen der österreichische Teil der Autobahn 30 Jahre lang gehören wird; korrupte tschechische Politiker_innen; schließlich der Bürgermeister der Weinstadt Poysdorf, Karl Wilfing (ÖVP), dem das Wichtigste ist, dass sich seine Gemeinde mithilfe der Brno-Wien-Schnellstraße vor der Lkw-Flut schützen kann, die sich durch den Ort hindurch ergießt. Dass die Hochleistungsstraße die Kulturlandschaft in der Poysdorfer Umgebung entwertet und die Wanderwege durch die Weinberge mit einer Permanenz-Verkehrslärmwolke überzieht, ist aus Poysdorfer Sicht irrelevant, das scheint die Botschaft des Bürgermeisters mit dem «weiten Horizont» zu sein.

Sie haben richtig gelesen: Der österreichische Teil der Autobahn, auch «Weinviertel-Autobahn» oder «Nordautobahn» beziehungsweise ganz amtlich, ganz technisch A5 genannt, gehört nicht dem Bund, also «uns allen», sondern einem privaten Firmenkonsortium. Auf Inseraten, die für die A5 warben, konnte man lesen: «Österreichs erste privat betriebene Autobahn». Es handelt sich nämlich um eines der inzwischen umstrittenen PPP-Projekte, im vollen Wortlaut Vorhaben der Public Private Partnership, also der Partnerschaft zwischen der öffentlichen Hand und Privatkonzernen. Profitiert die Partnerschaft, streift der private Partner die Gewinne ein, misslingt die Partnerschaft, bezahlt die öffentliche Hand, vulgo «der Steuerzahler». Letzteres könnte sich im Falle der Nordautobahn als realistisches Szenario herausstellen.

Hohe Ablösen fürbefreundete Grundeigentümer?

Denn es könnte durchaus so kommen, dass der österreichische Teil, wie angekündigt, 2017 bis zur tschechischen Grenze fertig gestellt ist (heute ist die A5 bis Poysdorf ausgebaut), das Anschlussstück jenseits der Grenze (dort läuft sie unter R52) aber nie gebaut wird. In diesem Fall wäre die A5 eine Autobahn, die in das Nichts führt. In den Medien wurden die verschiedensten Gründe für den Ausstieg der Tschechen aus dem ursprünglich gemeinsamen Projekt genannt. Erstens sei die Autobahn unfinanzierbar; zweitens sei der Widerstand in den Orten des Landschaftsschutzgebietes zu groß; drittens baue die Slowakei die nur 60 Kilometer weiter östlich gelegene Transitroute D2 von Bratislava nach Tschechien sechsspurig aus, was eine Brno-Wien-Verbindung entbehrlich mache; viertens verdichteten sich Hinweise, dass der ehemalige tschechische Verkehrsminister die Trassenplanung für Freundschaftsdienste an südmährischen Grundeigentümern missbrauchte; fünftens sei tschechisches und internationales Umweltrecht verletzt worden, da die gesetzlich vorgeschriebene Überprüfung von möglichen und realistischen Alternativen zur R52-Trasse unterlassen worden ist, was wegen der Gefährdung der einzigartigen Flora und Fauna im Planungsgebiet als besonders fahrlässig bezeichnet werden müsse.

Für die nachkommenden Generationen ist zu hoffen, dass es die Autobahnlobby nicht überall so leicht hat wie im Weinviertel, Großprojekte des Straßenverkehrs zu realisieren, obwohl sie nichts als eine riesige Umverteilungsmaschine von öffentlich zu privat ist und Kulturlandschaften in riesigem Ausmaß irreversibel zerstört. Neben dem Kampf der Umweltschützer_innen und Gemeinden gegen die R52-Trasse in der Pálava-Region spielt in Tschechien vor allem der Widerstand gegen den Lückenschluss der Autobahn D8 zwischen Prag und Dresden eine mobilisierende Rolle. Diesem Langzeitprojekt, zu dessen Fertigstellung seit Jahren nur 16 Kilometer Fahrbahn fehlen und das dann auch noch die Kräfte des Hochwassers zu spüren bekam, widmete Regisseur Ivo Byst?i?an 2013 einen Dokumentarfilm. Er porträtiert Menschen aus den gegensätzlichen Lagern: Die einen können das Ende der Bauarbeiten kaum erwarten, schlafen demonstrativ mit Ohropax und beobachten voller Sorge die wachsenden Risse in ihren Häusern. Ihre Antipoden sind Menschen wie der Ökologie-Aktivist Miroslav Patrik aus der Bewegung D?ti Zem?, die die Natur schützen und die Bauarbeiter durch ihre Klagen vor Gericht dazu bringen wollen, die Gesetze einzuhalten.

Es gibt Autobahngegner_innen, denen es in erster Linie um den Schutz von Fröschen und Schmetterlingen geht, aber es gibt auch solche, die am Beispiel des Zusammenspiels von Politik und Bauwirtschaft die Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie aufzeigen und diese durch Selbstorganisation und Basisdemokratie ersetzen wollen. Nicht zuletzt die Luftaufnahmen verleihen dem Film mit dem Titel «Dál nic/Byeway» eine besondere Ästhetik. Zu erwähnen ist auch die Filmmusik aus Richard Wagners «Tannhäuser», dessen Libretto von der Gegend inspiriert ist, durch die heute die Autobahn führen soll.

Auf einen Film, der den ökologischen Wahnsinn der Weinviertel-Autobahn deutlich macht, warten wir noch immer. Man muss sich vorstellen, dass es nicht nur das Band der Autobahn ist, das die in Jahrhunderten gewachsene, vom Weinbau geprägte Kulturlandschaft zerstückelt; durch das Weinviertel zieht sich in Süd-Nord-Richtung eine Reihe von Autobahnknoten, die wie Wucherungen riesigen Ausmaßes die Landschaft innerhalb weniger Monate so verändern, wie sie sich normalerweise während einer Periode von 100.000 Jahren verändert. Nehmen wir den Autobahnknoten Eibesbrunn her: 1,5 Millionen Kubikmeter Beton, 390.000 Tonnen Asphalt und 10,3 Millionen Kubikmeter Erdbewegungen, um der Bevölkerung zwei Zuckerl zu bieten: die verkehrsmäßige Entlastung einiger Orte an der Bundesstraße 7 und die Beschleunigung der Pendler_innenbewegung durch die Lärmschutzwandschleusen nach Wien und zurück.

 

Asfinag weiß, was Insekten wünschen

 

Es ist kabarettreif, wie der künftige Betreiber der Weinviertelautobahn in einer Presseaussendung die größte Umweltsünde im Weinviertel als ein Musterprojekt ökologischen Handels verkauft. «Die Berücksichtigung der Umwelt war ein wesentliches Anliegen während und nach der Errichtung. Anrainer werden durch rd. 81 km Lärmschutzwände vor zu hoher Lärmbelästigung geschützt». Wirkliche Lärmreduzierung auf der Autobahn ist nur durch drastische Temporeduzierung zu erreichen. Erstens schreckt die Autolobby vor diesem «Freiheitsentzug» zurück; zweitens tritt die Gewerkschaft für die Vollbeschäftigung bei den Lärmschutzwanderzeugern ein. «Baustelleneinrichtungen durften keinesfalls auf ökologisch wertvollen und/oder Waldflächen errichtet werden.» Genau, denn diese Flächen sind den Autobahntrassen vorbehalten. «Durch die Verwendung von Aushubmaterial als Dammschüttmaterial bzw. für die Lärmschutzdämme konnten bis zu rund 75.000 Lkw-Fahrten zur und von der Baustelle reduziert werden.» Der Verzicht auf den Autobahnbau hätte allerdings diese Reduzierung etwas übertroffen. «Bei notwendiger Baustellenbeleuchtung wurden Natriumdampflampen verwendet, um die Lockwirkung auf Insekten und ihre Fressfeinde zu verringern.» Die überlebenden Insekten unterliegen dann den Scheinwerfern der durch die Nacht rasenden Autos.

Für einen aus Wien in Richtung Norden Flüchtenden wird das niederösterreichische Weinviertel erst richtig schön, wenn es zur Neige geht und sich ins Südmährische verwandelt – in die Pollauer Hügeln voller Ruinen und Felsklippen, in die Weingärten von Perná und Klentnice, in das Surferparadies von Dolní V?stonice, in die Thaya-Aulandschaft rund um den Krummsee, in den Nimmersatt-Teich, Mährens größten Fischsee … Möge ein «transeuropäisches Netzwerk» kluger Leute lieber nachdenken, wie die Arbeiter_innen der Lärmschutzwandproduktion in Hinkunft mit sinnvollerer Arbeit überleben könnten – und wie man es schaffen könnte, dass sämtliche Autobahnen, die sich heute im Bauzustand befinden, morgen ins Nichts führen.