Eine kleine Augustin-Museologie, Folge 10: Das Museum des Wahnsinns in Trate
Hoch über der Mur waltete erst der Adel und dann die geschlossene Psychiatrie. Heute beherbergt das Schloss Obermureck ein Museum des Wahnsinns: Klinischer, künstlerischer und politischer Wahnsinn wird hier verhandelt. Lisa Bolyos (Text und Fotos) war sowohl von so viel Herrschaftsarchitektur als auch von so viel grenzüberschreitendem Engagement beeindruckt. Mit der zehnten Folge endet dieser museologische Reiseführer und macht anderen Vorstadtgeschichten Platz.Wo Mureck auf Trate und Trate auf Mureck trifft, steht die Polizei; unter ihren uniformierten Füßen fließt der Fluss. In diesem Murabschnitt gibt es fünfundsechzig Fischarten! Aber dazu später. «Die Grenze ist total konstruiert. Da ist halt ein Fluss, der hergenommen wird, weil er sich so anbietet», sagt Elias Dorner. Er ist eigentlich gelernter Architekt und lebt eigentlich nicht mehr in Mureck, sondern in Graz. Mit einem Haufen anderer Leute arbeitet er daran, Schloss Obermureck zu einem öffentlich zugänglichen Ort zu machen. «Erst haben wir was am Vorplatz veranstaltet, dann im Hof, und jetzt sind wir geduldet, den zweiten Stock zu bespielen.»
Früher waren Trate und Mureck eng miteinander verstrickt. «Mureck ist immer der Nahversorger gewesen, die Leute sind über die Grenze in die Kirche gegangen.» Mit dem Eisernen Vorhang war das vorbei. «Da wurde einiges zerstört, was gut funktioniert hat», meint Dorner und relativiert sich dann selbst: «Vielleicht ist das aber auch zu romantisch gedacht und es hat gar nicht so gut funktioniert.» Mit der Grenzöffnung 1989 habe sich jedenfalls Schritt für Schritt die Normalität des grenzüberschreitenden Lebens wieder eingestellt. Seit letztem Jahr ist der Schranken reaktiviert: «Die Grenze ist ein Rückschritt.» Die Grenze ist der eigentliche Wahnsinn.
Verrückt oder nicht verrückt – wer weiß das schon
Steigt man in Mureck aus der Bahn aus, fühlt man sich ein bisschen wie in der verstaubten Kulisse eines K.u.k.-Sommerfrische-Westerns. Simple alte Villen mit grünen Fensterläden, der weiße Lack blättert von den schmiedeeisernen Zäunen ab, auf der Terrasse eines Gastgartens ein einzelner Gast; die Straßenlaternen werfen kurze Schatten, die Luft flimmert, es ist Frühling und ungewöhnlich heiß.
Elias Dorner holt mich mit einem Kleinbus ab, es stellt sich – apropos Wahnsinn an der Grenze – heraus, dass wir letzten Herbst in Spielfeld gemeinsam für die neuankommenden Flüchtlinge gekocht haben. Wir passieren den Grenzposten unkontrolliert und fahren bergauf, zu linker Hand taucht die Schlosseinfahrt auf. Eine Holzbrücke führt über den Burggraben. Rechts der Eingang zu einem verwunschenen Garten mit betongegossenen Bänken. Hier saßen keine Adeligen, sondern Patient_innen der psychiatrischen Anstalt Schloss Obermureck. Und hier hat eine Gruppe von Leuten, wohnhaft auf beiden Seiten der Mur, beschlossen, das Museum des Wahnsinns einzurichten. Wobei der Museumsbegriff nicht ganz streng ist, im Vordergrund steht, das Gebäude als öffentlichen Ort zu bewahren (im Sinne der Besitzverhältnisse) und zu entwickeln (im Sinne der Nutzung). Pflanzentauschmärkte finden hier statt, ein alternativer Weihnachtsmarkt namens «Verrückter Dezember», Künstler_innensymposien, Konzerte, slowenisch-deutsche Lesekreise, Ausstellungen und Geschichtsarbeit; in einem Raum hängen Poster von Komponisten, die auch ihre psychischen Sorgen hatten: Mozart, Beethoven, Rachmaninov. «Auch solche Größen haben irgendwelche Störungen gehabt. Man sollte den Wahnsinn, wenn man ihn erkannt zu haben glaubt, in die Gesellschaft integrieren.» Auf meine Frage nach einer Definition antwortet Elias: «Zwischen Normalität und Wahnsinn gibt es eine Gratwanderung. Man weiß eigentlich eh nicht, was jetzt was ist.»
Vom Wahnsinn, die Wahnsinnigen wegzusperren
Die Burg, später zum Renaissanceschloss umgebaut, wurde Mitte des 12. Jahrhunderts zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Jahrhundertelang residierten hier die Stubenbergs, die auch die steirischen Landeshauptmänner stellten, in den 1920ern (die Untersteiermark gehörte mittlerweile zu Jugoslawien) verkauften sie das Schloss an den Gutsverwalter. Zwischenzeitlich besetzten die Nazis Jugoslawien und richteten eine Eliteschule für Buben ein, deren Geschichte, so Elias Dorner, erst noch erforscht werden muss. Lediglich ein paar Bücher mit Schulbibliotheksstempel hätten sie bisher gefunden. Die Gutsverwalterfamilie hatte letztlich Pech, sie besaßen das Schloss nur knappe zwanzig Jahre, dann schlug die Verstaatlichung zu. In den Fünfzigerjahren machte man das Haus zur geschlossenen Psychiatrie. «In den ersten Jahren ist man von drinnen nicht raus und als Besucher nicht wirklich rein gekommen. Später haben sie die Mauer rundherum gebaut, da konnten die Leute zumindest in den Garten. Und viel später gab es für manche die Möglichkeit, in Wohneinheiten unterm Dach ein halbwegs selbständiges Leben zu führen.» Für die Anrainer_innen ist dieser Ort, den man von unten täglich vor Augen hat, geheimnisvoll geblieben. «Sobald offen ist, kommen Leute rein und wollen sich das Areal anschauen. Was dem Projekt auch zugute kommt, denn es gibt viel Interesse für unsere Veranstaltungen.»
Mit manchen der ehemaligen Angestellten und auch einigen Patient_innen hält die Museumscrew Kontakt: «In Maribor gibt’s eine Einrichtung, die kommen immer wieder her.» Andere Patient_innen wurden weiterhin in großen Psychiatrien untergebracht. «Es gibt viele Burgen und Schlösser in Slowenien, die nach wie vor psychiatrische Anstalten sind.» Die Auflösung der riesigen psychiatrischen Einheiten steckt in Slowenien noch in den Kinderschuhen. «Dieser Prozess, der von Italien ausgegangen und in Österreich halbwegs abgeschlossen ist, seit Schwanberg vor ein paar Jahren zugemacht wurde, fängt in Slowenien gerade erst an.» Auch diese Geschichte muss im Museum des Wahnsinns erst geschrieben werden. Im Juni kommen Student_innen der Universität Ljubljana ins Haus, um «nach Versatzstücken aus der Zeit der Anstalt» zu suchen und eine erste Ausstellung «zum Thema Wahnsinn vor Ort, aber auch zur Behandlung von Wahnsinn in Slowenien im Allgemeinen» zu gestalten. Die Räume, die dafür vorgesehen sind, haben das unangenehme Flair der Psychiatrie: die Wände in hellem Türkis gestrichen, manche verfliest, kleine geschlossene Raumeinheiten mit viel Sichtglas wechseln sich mit großen Räumen ab. Auf einer Fensterbank liegt Kunst, von Kindern in einem Workshop produziert. An Wäscheleinen hängen Grundrisse und Architekturfotos der Burg. Ein paar Türen weiter eng an eng Betten. Mich schaudert’s, Elias Dorner lacht: «Ich habe mich schon daran gewöhnt. Und zumindest der Ausblick ist großartig, man schaut genau in den Sonnenuntergang.»
Die Fische sind unsere Verbündeten
Das Gebäude gehört dem slowenischen Sozialministerium, verwaltet wird es nach wie vor von dem Anstaltsträger der Psychiatrie. Die Arbeit der Museumskombo passiert ehrenamtlich, öffentliche Gelder? «Mangelware.» Elias Dorner führt mich durch die langen Gänge. Manche Türen sind versperrt, in einem kleinen Raum brennt Licht. «Es spukt ein bisschen», lacht er. Romantisierte Adelsgefühle komme nicht auf, eher Gedanken an die Weggesperrten, die hier durch die Korridore schlurfen mussten.
Einmal füllten auch die Fischereiverbände der Gegend das Haus: bei der Eröffnung der Fischausstellung. Zu jeder der 65 Fischarten im sogenannten «Grenzmurabschnitt» gibt es im zweiten Stock ein Foto und eine Infotafel. Auf den knapp 130 Kilometern zwischen Spielfeld und der Mündung in die Drau (wo die Mur längst als Grenze zweier anderer Nationalstaaten – Slowenien und Ungarn – missinterpretiert wird) unterbricht kein einziges Kraftwerk den Fluss, entsprechend kreucht und fleucht es. Die 65 Fische sind unsere Verbündeten, sie belegen die Absurdität der Grenze: «Während ein Fisch auf der slowenischen Seite Schonzeit hat, kannst du ihn auf der österreichischen Seite bedenkenlos abfischen; derselbe Fluss, dasselbe Ökosystem und eine Grenze genügt, um die Dinge so unterschiedlich zu betrachten. Ganz eigenartig.»
Wir machen uns auf den Weg rüber nach Österreich, wo wir im blühenden Obstgarten der Dorner’schen Familienwinzerei zu Mittag essen dürfen. In Mureck sind etwa sechzig Flüchtlinge untergebracht, «um zu warten», wie Elias Dorner es treffend nennt. Um dieses Warten zu erleichtern, wurde die «Plattform Willkommenskultur» gegründet. Bei der jährlichen Ramsar-Wanderung «zum Schutz der Mur» sind heuer auch Refugees mitgegangen – «und dann gab es unten ein kleines Abschiednehmen, weil die einen hinaufmarschiert sind zum Museum und die anderen die Grenze nicht queren dürfen».
Über das Knattern des Kleinbusses hinweg verbreitet Elias Optimismus: «Die Zukunft möge es bringen, dass man diese Grenzen einfach überwindet.» Dann kann man sich erzählen, das Ende des Wahnsinns habe hoch oben am Berg begonnen, als eine Gruppe diesseits und jenseits der Mur beschloss, ein Museum zu gründen …
Muzej Norosti / Museum des Wahnsinns
Trate 14c, 2214 Zg. Velka
www.muzejnorosti.eu
Ausstellung «Spielwiesen des Wahnsinns»
ab Samstag, 4. Juni, Schloss Obermureck
Eröffnung: 16 Uhr