Wir kommen – Eine Kunstinitiative zur Rettung Floridsdorfs
Superheld_innen mischen Floridsdorf auf. Ausgehend von der Held*innenzentrale irritieren und belustigen sie, ernten Schulterklopfen oder werden bespuckt. Ängste vernichten, Dr. Kapitalo besiegen, eine Seilbahn gegen den Autowahnsinn bauen und einiges mehr steht auf der Agenda. Doris Kittler (Text und Foto) war vor Ort.
Hand aufs Herz. Wer, der nicht dort wohnt, war denn schon wirklich mal drüben, im fernen Transdanubien? Okay, wir gehen auf die Donauinsel schwimmen, Eingeweihte schaffen es bis zur Alten Donau, und die ganz Alteingesessenen beehren sogar den einen oder anderen Heurigen in Stammersdorf. Dabei sind die Bezirke jenseits der Donau, Floridsdorf und Donaustadt, durch den katastrophalen Wiener Wohnungsmarkt bedingt durchaus im Kommen.
Als Bernhard Dechant, Schauspieler und Mitinitiator der Theatergruppe Die Schweigende Mehrheit, sich vor einigen Jahren in Großjedlersdorf niederließ, war es für ihn augenscheinlich, dass Kultur und Kunst in Floridsdorf – mit knapp 160.000 Einwohner_innen eine der «Großstädte» Österreichs – eher unterrepräsentiert bis kaum vorhanden sind. «Ich vermisse hier enorm Farbe, Kultur, Kommunikation und Orte, wo Menschen zusammenkommen», sagt er. Gemeinsam mit Text-, Film- und Theaterarbeiterin Tina Leisch initiierte er also das Projekt Wir kommen.
Supergrätzel.
Das «Branding» wurde mithilfe von öffentlich affichierten Comics unter die Leute gebracht und erzählt von drei «Superheld*innen», die den Bezirk retten sollen: Der «Patriot» kommt aus dem rechten Milieu und sucht die Schuld bei den anderen; «DaRode» aus der linken Szene, liebt die Menschen, verzweifelt aber auch gleichzeitig an ihnen. Gemeinsam mit ihnen kämpft «Süpermüslima» gegen Dr. Kapitalo, der die Menschheit schon seit Jahrtausenden quält. Er versucht, den Bezirk zu seinen Gunsten umzubauen, erzeugt Neid, Angst, Missgunst, Spaltung und Leerstand. Doch dafür müssen die drei zusammenhalten.
«Das sind die Positionen, die nicht nur in Floridsdorf, sondern immer mehr auch in Europa und auf der gesamten Welt verbreitet sind», so Dechant. «Die drei Figuren treffen aus unterschiedlichen politischen Ecken aufeinander. Es war uns wichtig, auf keinen Fall mit einer politischen Partei assoziiert zu werden.»
Anfang Mai bezogen Dechant und Leisch mit ihrem Team die ehemalige Kofferzentrale und luden alle Interessierten ein, mit ihnen zu sprechen, Grätzel-Geschichten bei einem Häferl Kaffee zu erzählen, der Kunst zu lauschen, selbst den Raum kreativ zu nutzen. Dabei wurden auch echte Superheld_innen gesucht, die sich für den Bezirk engagieren, wie etwa Marietta und Günter Wild mit ihrem seit langer Zeit erfolgreichen Kulturverein Transdanubien. «Wir wussten nicht, wie die Leute reagieren würden, denn es gibt viele irrationale Ängste, dennoch hat mich gewundert, wie tief die Spaltung hier ist. Egal, von welchen Problemen man spricht, ob von der Verkehrshölle, dem enormen Leerstand so vieler Lokale und Wohnungen oder dem abgewirtschafteten Schlingermarkt: Nach zehn Minuten geht es oft nur darum, dass die Ausländer schuld seien.» Es sei traurig zu sehen, wie die FPÖ und das ebenso rechtsradikale WIFF (Wir für Floridsdorf) gemeinsam mit den Boulevardmedien Hetze betreiben, Ängste schüren, Feindbilder schaffen. «Wenn man dann fragt, ob ihnen schon mal was passiert ist, ob sie angepöbelt oder ihnen was gestohlen wurde, verneinen sie», erzählt Dechant.
Keine Häppchen.
Er nimmt sein Schild in Form einer Sprechblase mit der Aufschrift «BITTE LÄCHELN!» in die Hand, setzt seine Maske auf und hält sie den im 31er vorbeifahrenden Menschen entgegen. «Dieses Bunte, Verrückte macht manchen Leuten Angst. Sie wollen alles in Häppchen serviert bekommen, sofort einordnen und beurteilen.» In der Gerüchteküche brodelt es bereits, das Kunstkollektiv sei rechtsradikal, islamistisch oder kommunistisch. «Es kommen immer wieder zwielichtige Gestalten vorbei – unter anderem ein junger Islamist in ‹Uniform›, der nach den Verantwortlichen für diesen Comic in der Auslage fragt. Wir würden Allah beleidigen; und eine Frau könne keine Superheldin sein. Wir sollen das sofort entfernen, sonst werden sie uns die Scheiben einschlagen.» Ebenso gab es Angriffe von ganz rechts. Die FPÖ stellte eine Anfrage in der Bezirksvertretungssitzung, wer denn die neuen Mieter_innen in der Brünner Straße 7 seien und wer sie finanziere. Bernhard Dechant sagt dazu: «Sie müssten nur auf unsere Homepage schauen, um zu sehen, dass wir ein Lokal zwischennutzen und dafür gar keine Miete bezahlen müssen und dass unsere Subventionsgeber die Basis.Kultur.Wien und das BKA sind. Es ist das übliche Spiel: Sind die politischen Gegner da involviert und wie können wir sie fertigmachen? Davon darf man sich aber nicht abhalten lassen und weitermachen. Den Menschen mehr Möglichkeiten zu geben, ihre Solidarität zu leben und Plätze dafür zu schaffen ist ein essenzielles Anliegen des Projektes.» Noch bis Ende Juni gibt es in der Held*innenzentrale Kulturprogramm, und wer will, kann auch selbst mitspielen, ob als Teil der lebendigen Auslage oder mit sonstigen Held_innenkräften.
Held*innenzentrale
21., Brünner Straße 7
Öffnungszeiten:
Mo–Fr, 10–13 Uhr und 16–20 Uhr, Sa, 11–15 Uhr
www.wirkommen.at