Irgendwas ist immerArtistin

BALD werden wir bei Rühm sein..NUN sind wir dort. EBEN waren wir bei ihm

«Niemand kann immer Avantgarde sein», sagt MUMOK-Direktor Edelbert Köb über das Schicksal mancher KünstlerInnen, die eine Epoche prägen und im Laufe der Jahre Arbeiten produzieren, die vielleicht weniger (politische) Sprengkraft, aber nicht zwingend geringere Qualität aufweisen. Eine Ausstellung ehrt Gerhard Rühms bildnerisches Schaffen von den 1950ern bis heute.Zu Beginn seiner Amtszeit, die im Herbst diesen Jahres auslaufen wird, fasste Köb einen Vorsatz: Keine Geburtstagsausstellungen österreichischer KünstlerInnen ohne ganz besonderen Grund. Das Werk Maria Lassnigs war ihm ein solcher, nun ist Gerhard Rühm, der kürzlich seinen 80er feierte, an der Reihe: mit einer Schau, die eine repräsentative Auswahl seines umfangreichen bildnerischen uvres darstellt. Als Mitglied der «Wiener Gruppe» ist Rühm einer der wichtigsten Wegbereiter des Wiener Aktionismus ein besonderer Grund also.

Gerhard Rühm, 1930 in Wien geboren, studierte Klavier und Komposition. Noch keine 20, lernte er H. C. Artmann kennen, der ihn zur Dichtung inspirierte und mit dem Rühm ebenso wie Konrad Bayer, Oswald Wiener und Friedrich Achleitner, etwa eine Dekade lang eng zusammenarbeitete. Der lose Freundschaftskreis wurde als «Wiener Gruppe» bekannt, von der Artmann allerdings behauptete, es habe sie nie gegeben. Und tatsächlich steht der Name für eine Aktion, die nie stattgefunden hat: Rühm und Achleitner planten eine (letztlich abgesagte) Kabarettaufführung in der Schweiz, für die sie einen Namen brauchten.

Die performativen, (polizeiliches) Aufsehen erregenden Werke der Gruppe wie die «literarischen Cabarets» eine Anspielung auf das historische «Cabaret Voltaire» der Züricher Dadaisten resultierten aus dem Bestreben, das Potenzial der Sprache zu explorieren. Eine rein beschreibende, aussagebezogene Funktion der Sprache lehnten die literarischen Extremisten (Rühm) ab. Speziell Rühm, der es von der Musik gewohnt war, in formalen Disziplinen zu denken, beschäftigte sich eingehend mit den Konstruktivisten, die Sprache als Material begreifen, mit dem sie arbeiten. Losgelöst aus Satz- und Sinnzusammenhängen überprüft er Laute, Buchstaben und Worte unter anderem auf ihre visuelle und akustische Qualität und setzt sie gezielt ein.

Reizwortzeichnungen

Besonders die frühen Typocollagen Rühms machen dies anschaulich, etwa wenn auf einem Bild die, in ansteigender Größe geordneten Buchstaben «s» und «t» ein eindringliches, lautes «ssssstttttt» erzeugen, das man als Summen, «ist» oder «psst!» wahrnehmen mag. Dieses Beispiel verdeutlicht, was allen Bildern der Ausstellung zugrunde liegt: Man muss nichts über sie wissen, damit sie «funktionieren» was auch an der gelungenen Auswahl liegen mag. Ein jedes ist in sich abgeschlossen, auf das Essenzielle reduziert. Wenn über einem blauen Querbalken «Lachen» steht, so kann man das hören. Selbst ein simples Raster lässt Rühm zu einem Klangraum werden, und manche der Scherenschnitte in Schwarz-Weiß (ab den späten 1980ern) lassen unausweichlich an Tonspuren denken.

Einzig die Silhouetten nackter Frauen sind von aus der Reihe fallender Plakativität, den Erotischen Scherenschnitten haftet nicht zuletzt aufgrund der Technik weitaus weniger Erotik an als vielen anderen Bildern, die voll unausgesprochener Anspielungen sind, etwa die «Reizwortzeichnungen». Hier geht Rühm wieder von Zeitungen entnommenen Worten und Sätzen aus, wobei er den «Reizworten» grafische Antworten gibt. Das Medium der Zeichnung hat Rühm nie so stark eingesetzt wie hier, etwa lässt er sich zu «fliegen», «Inhalt» oder «Irgendwas ist immer» hinreißen eine neue, 2010 begonnene Periode, die sich von Rühms Anfängen her erschließt und diese mit durchaus ähnlichen Ansätzen ergänzt.

Übrigens arbeitet Rühm mit Sprachelementen auch in plastischer Form. Nähert man sich etwa einem weißen Schaukasten von links, ist «bald» zu lesen. Steht man davor, wird «nun» daraus, und beim Verlassen des Objekts ist «eben» zu lesen. Noch bis 27. 6., nicht versäumen!

INFOS:

Gerhard Rühm. Die Ambivalenz des Konkreten

Bis 27. 6. 2010

MUMOK

Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien

Museumsplatz 1

1070 Wien

www.mumok.at

Freier Eintritt für Kinder, Jugendliche und Studierende sowie Inhaber des «Hunger auf Kunst und Kultur»-Ausweises.

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