60 Jahre Interessensvertretung der bildenden Künstler_innen
In der Gumpendorfer Straße prangen knallrote Buchstaben: IG Bildende Kunst. Vor nunmehr sechzig Jahren haben bildende Künstler_innen sich ihre eigene Interessensvertretung organisiert. Was daraus geworden ist, hat Lisa Bolyos sich vor Ort angesehen und dabei auch ein bisschen im Archiv gekramt.
Bild: Eva Dertschei
«Spezielle Fälle» steht in zarter Bleistiftschrift auf einer beigen Mappe mit abgegriffenen Rändern. Darin findet sich zum Amüsement der Archiv-Verliebten: ein Brief vom Berufsverband der Bildenden Künstler Österreichs (BVÖ) an das Militärkommando Wien, selbiges möge dem Künstler X eine befristete Befreiung vom Präsenzdienst gewähren, es sei für sein wirtschaftliches Fortkommen als junger Künstler wichtig, sich jetzt erst einmal um die Kunst zu kümmern. Der nächste Zettel dokumentiert in knappen Worten eine «Aussprache mit der Zollamtsstelle» vom März 1969: «Frage: Ein Künstler fährt in die Schweiz auf 3 Monate, nimmt seine eigenen Arbeiten mit für Ausstellungen und auch zum Verkauf. Was nicht verkauft ist, will er wieder nach Österreich zurückbringen. Wie steht es mit dem Zoll? Antwort: Ausfuhr ist zollfrei.» Nettes Detail die Raumangabe auf der nächsten Seite: «Ausfuhr von Kunstwerken bedarf der Genehmigung des Bundesdenkmalamtes, Zimmer (neben Frau Pipping).» Ein anderer «spezieller Fall» ist die Korrespondenz über die «Erteilung des Punzierungsrechts beim Hauptpunzierungsamt» für das BVÖ-Mitglied Y, ihres Zeichens Goldschmiedin. Eine Künstlerin will Rechtsauskunft darüber, ob sie für Schäden an von ihr produzierten und bereits verkauften Emaillearbeiten haftet. Nein, lässt der hinzugezogene Rechtskundige «fernmündlich» wissen; sie haftet nicht.
Aktionskomitee zur Verhinderung des Allerschlimmsten
Korrespondenzen mit Künstler_innen und Behörden, Gründungsdokumente und Pamphlete, das BVÖ-Organ «Der Wille» und Karteikarten mit fragmentarischen Biografien finden sich im kleinen Archiv der IG Bildende Kunst in der Gumpendorfer Straße. Die Interessensvertretung bildender Künstler_innen feiert heuer ihren Sechziger; sie ist die direkte Nachfolgerin des BVÖ.
Hier im ersten Stock, mit Blick auf die Galerie, findet einmal die Woche auch die Beratung zur Sozialversicherung statt. Die Grundidee, sagt Daniela Koweindl, hat sich in sechs Jahrzehnten nicht geändert: «In den 50er-Jahren wurde das erste allgemeine Sozialversicherungsgesetz beschlossen, das für Künstler_innen große finanzielle Nachteile bedeutete. Daraufhin haben aktive Künstler_innen ein Aktionskomitee gegründet, das zwei Jahre lang für eine Gesetzesänderung lobbyierte, und zwar mit Erfolg.» In diesen Fußstapfen sieht sich die IG heute noch, wenn auch mit «weniger alten Männern und vielleicht einem etwas anderen Kunstbegriff» ausgestattet. «Künstler_innen müssen sich organisieren, um eine Verbesserung ihrer sozialen Lage zu erreichen.» Daniela Koweindl arbeitet seit 2001 als kulturpolitische Sprecherin bei der IG Bildende Kunst. Damals war der Sozialversicherungsfonds für Künstler_innen frisch gegründet worden, «es gab zum ersten Mal einen Zuschuss für Künstler_innen in allen Sparten, und niemand kannte sich aus». Koweindl selbst war im März 2000 auf die IG gestoßen, als in den damaligen Räumlichkeiten in der Mariahilfer Straße ein Treffen von Kunst- und Kulturschaffenden gegen Schwarz-Blau stattfand. Zu deren Eröffnung wiederum war 1992 ein Sonderwagen der Straßenbahn gechartert worden! – absurd weit weg allein schon die Erinnerung, dass die Straßenbahn die Mariahilfer Straße einmal hinauf zum Westbahnhof fuhr … Umziehen musste man im Jahr 2000, weil das symbolische Kapital zwar floss, die zugesagten Subventionen aber auf sich warten ließen: Die Miete konnte schlicht nicht bezahlt werden, der BVÖ, wie er damals noch hieß, wurde gekündigt.
Was nicht passt, müssen wir auf die Straße tragen
Die IG Bildende Kunst ist aber nicht nur Lobby- und Beratungsstelle für ihre rund eintausend kunstschaffenden Mitglieder, die in immer kleinteiligeren und mit immer mehr Ausnahmen versehenen Gesetzestexten verloren gehen. Sie ist auch und vor allem eine politische Interessensvertretung: «Die Idealform wäre eine Selbstorganisierung, aus der ja auch die IG selbst entstanden ist.» Die Probleme, mit denen Künstler_innen in die Beratung kommen – schlechte Arbeitsbedingungen, miese Bezahlung, fehlende Unterstützung –, müssten sie, meint Koweindl, gemeinsam mit anderen auch auf die Straße tragen. Und sie müssten lernen, über die vielen tabuisierten Unannehmlichkeiten des Kunstschaffens zu reden: «Wir wollen, dass die Leute wegkommen von diesem Vortäuschen, dass eh alles passt und es sich schon irgendwie ausgehen wird.»
Einen handfesten Arbeitskampf hat Koweindl in ihrer Tätigkeit bei der IG miterlebt: Eine junge Künstlerin klagte eine Galerie wegen vorenthaltenen Zahlungen. «Und sie hat gewonnen. Es war eine extrem mutige Entscheidung, eine Galerie zu klagen; das ist eine Rarität. Die Künstlerin kam später noch einmal zu uns, um die Angelegenheit öffentlich zu machen. Sie wollte, dass andere erfahren, dass es sich auszahlt, sich zu wehren.»
Zurzeit wird der inhaltliche Fokus auf das Kunstschaffen mit Kind gelegt. Das Thema sei aus der Realität von Vorstandsmitgliedern und Beratungsfällen entstanden. So wie überhaupt die erlebte Praxis der Künstler_innen vorgibt, was es auf den politischen Jahresplaner der IG schafft. Lange Jahre hat sich die IG vor allem dem Antirassismus gewidmet: «2006 trat eine neue Fremdenrechtsnovelle in Kraft, in der unter anderem auch die ‹Niederlassungsbewilligung Künstler_in› abgeschafft wurde. Da haben wir uns gemeinsam mit anderen Initiativen positioniert. Uns war immer wichtig, antirassistische Forderungen niemals ausschließlich für Künstler_innen zu stellen, sehr wohl aber aus der Position von Expert_innen im Kunstbereich. Damals ist daraus das Positionspapier ‹Freiheit der Kunst! Und Bleiberecht für alle!› entstanden.» In einer gemeinsamen Aktion mit der Initiative «Ehe ohne Grenzen» wurde 2006 gleich das ganze Fremdenrechtspaket «gesprengt». Aus den Fenstern der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs im ersten Bezirk ließ das «Sprengkommando» künstlerisch aufbereitete Information regnen. «Auch der Verfassungsschutz stand bereit», erinnert sich Daniela Koweindl, «wegen der angekündigten Sprengung?»
Es ist kein Verbrechen, Geld zu brauchen
Auch der Anspruch an die eigene Galerie hat sich in sechzig Jahren vielfach verändert. Die ist zwar heute «keine Verkaufsgalerie für Mitglieder mehr», sagt Elke Smodics, aber immer noch «zu viel White Cube», also zu viel kahler Raum, der auf Behängung durch Kunst wartet, anstatt auf Auseinandersetzung. Es brauche einen Raum, in dem kommuniziert werden kann. In Workshops soll der Bedarf erhoben werden: «Was brauchen die Leute eigentlich? Wie kann so ein Ort ausschauen? Was sind die Formate, die nah an den Leuten dran sind?» Und vor allem will Smodics, dass die Inhalte, die die Räume füllen, wieder feministischer werden. Elke Smodics ist von Berufs wegen Kunst- und Kulturvermittlerin und seit vier Jahren im Vorstand der IG Bildende Kunst. 2011 kam sie als Bildungskarenzvertreterin in die Galerie, dann ist sie geblieben: «Ich bin ein verbindlicher Mensch», sagt sie, «ich tu mir schwer mit Aufgeben.»
Ein solches Format, das scheinbar «nah an den Leuten dran ist», waren die sogenannten Geldfrühstücke, zu denen im Sommer eingeladen wurde. Betrachtet man die Besucher_innenzahlen, wurde damit offensichtlich ein Nerv getroffen. Bei Tee und Kipferl gab es moderierte Diskussionen übers Kapital: das handfeste, mit dem man Miete und Essen zahlen kann, und das symbolische, das Ruhm und Ehre bringt. Und natürlich über die brennende Frage, woher es kommt: von der Kunst oder von der «richtigen Arbeit»? «Es ist kein Verbrechen, nach einem Honorar zu fragen», steht mit Ölkreide auf die Wand geschrieben, und: «Honorare – das Wort müssen die Leute hören, bis ihnen schlecht wird.» Zitate, die die Künstlerin und Frühstücksmitorganisatorin Iris Christine Aue in den morgendlichen Diskussionen aufgeschnappt und auf der Wand notiert hat. «Das Geld ist schon eine sehr wichtige Sache», steht da auch. Folgerichtig ist der Titel der Ausstellung, die die IG Bildende Kunst sich zum 60er selbst geschenkt hat, eine unmissverständliche Aufforderung an die Kundschaft der künstlerischen Arbeitskraft: «Pay the Artist now!»