Ja, Panik, nicht preisgekrönt und trotzdem erfolgreichArtistin

«Kein Bewerbungsgespräch»

Nördliches Waldviertel, Palaverama-Festival 2010, einmal umfallen, das andere Ende der Lacke liegt in Tschechien. Der Himmel zürnt. Es schifft aus allen Rohren. Ein junger Mann, orangefarbene Regenhaut mit Schirmchenmuster, steht etwas verloren im schützenden Zelt und nippt an seinem Spritzwein, während das anwesende Publikum dem Wetter ein Spottlied singt: «We all live in a yellow submarine, yellow submarine, yellow submarine.»Viele von ihnen haben ihre Plastikumhänge, gesponsert von Bank- und Haftkleber-Firmen erst gar nicht abgelegt. Galgenhumor regiert in Gmünd. Der junge Mann mit der auffälligen, schirmchengemusterten Regenhaut hat inzwischen sein Outfit gewechselt, betritt die Bühne, stellt sich und seine Band kurz und unaufgeregt vor: «Guten Abend, wir sind die Gruppe Ja, Panik.»

Szenen- und Zeitwechsel. Non Food Factory, Wien Mariahilf, in der zweiten Hälfte des Jahres 2004. Ganz nebenbei drückt mir der Knopfharmonika-Spieler, Labelbetreiber und Studiobesitzer Walther Soyka einen neuen Tonträger in die Hand und meint kurz: «Du wirst sie lieben.» «Straight Outta Schilfgürtel» (2004) der Titel, die Band Flashbax. Nie gehört, doch Walther Soyka sollte Recht behalten. Inzwischen sind sechs Jahre durchs Land gezogen und die damalige Bubenband aus Neusiedl Umgebung lebt und operiert unter neuem Namen inzwischen von Berlin aus.

Aber eines nach dem anderen. «Flashbax war Neusiedl und zweitens ein Hobby. Wir waren eine klassische Schülerband», erzählt Andreas Spechtl, der eingangs erwähnte junge Mann, im Backstage-Zelt. «Dann der normale Weg, Matura am Land, studieren in Wien. In Wien wurde es dann ernst mit der Band, da haben wir auch die erste Ja,-Panik-Platte («Ja, Panik», 2006) aufgenommen.

Der Bandname Ja, Panik ist gleichzeitig Programm. «Wir müssen uns glühend, glanzvoll und freigiebig verschwenden! Der Exzess, der Rausch, die Raserei muss uns treiben …», bis zum nächsten Exzess. Sagenumwoben inzwischen ihr Bubenstreich bei der Aftershow-Sause einer deutschen Musikmesse, wo sich die Band kurzerhand ihrer Kleider entledigte und dafür Watschen der örtlichen Security kassierte. Exzess und Katerstimmung, Zorn und hintergründiger Humor, Rauben und Plündern, ein Ja,-Panik-Manifest zum Nachhören. Sorglos bedient sich die Band aus dem Supermarkt der Musikgeschichte. Andreas Spechtl dichtet in Deutsch mit englischsprachigen Einschlüssen. Er erzählt dabei aber keine Geschichten. «Ich versuche die Songs von mir wegzuschreiben und nicht mein Leben abzubilden.» Es wird zitiert, zerstückelt, Einzelteile entgegen dem Bauplan zusammengeschraubt «Aus Refrains werden Strophen und umgekehrt» zu einem neuen großen Ganzen. «Ich spreche von Popmusik im ganz weiten Rahmen.»

Über Wien nach Berlin. Die Band (Andreas Spechtl, Gitarre/Gesang; Stefan Pabst, Bass; Thomas Schleicher, Gitarre; Christian Treppo, Klavier/Keyboard; Sebastian Janata, Schlagzeug) wohnt und arbeitet seit ihrer Studentenzeit im gemeinsamen Haushalt. «Es hat sich alles aus einer Studenten-WG heraus entwickelt. Das klingt schnell nach Hippie-Gedanken, hat aber überhaupt nichts Dogmatisches. Obwohl manchmal schwierig, ist es das Einfachste, wenn 5 Leute in eine andere Stadt ziehen», reflektiert Andreas Spechtl. Das Kollektiv Ja, Panik kam ins Rollen. Vom Insider-Tipp zur aufregendsten Band des Landes. «Noch während wir in Wien waren, hat sich der Band-Alltag langsam nach Berlin verlagert, Label, Agentur, die meisten Konzerte in Deutschland. Vor einem Jahr sind wir dann nach Berlin übersiedelt. Nach dem Motto: Wir haben nichts zu verlieren. Und es macht uns alles ein bisserl einfacher, und angezipft hat es uns hier auch schon. Wir wollten hauptsächlich weg, es war keine bewusste Entscheidung für Berlin, es war das Nächstliegende. Geändert hat sich nicht viel, nur alles umgelagert, das ganze Soziotop.

Antirampensau

Waren Ja, Panik zu Wiener-Zeiten noch ein Minderheitenprogramm, ist über den Umweg Deutschland der Motor auch hier zu Lande angesprungen. «Seit es in Deutschland gut läuft, interessieren sich auch die Österreicher für uns. Mittlerweile habe ich das ungute Gefühl, als sei man jetzt stolz auf uns», schmunzelt Spechtl. Die deutsche Musikpostille «Spex» wertete das vorletzte Ja,-Panik-Album «The Taste and The Money» (2007) gar als drittwichtigstes deutsprachiges Pop-Album, gleich nach den Fehlfarben mit «Monarchie und Alltag» (1980) und Blumfelds «LEtat Et Moi» (1994) und widmeten Andreas Spechtl gemeinsam mit Schorsch Kamerum und Jochen Distelmeyer eine Titelgeschichte. Spechtl findet das «schön», und gleichzeitig macht es den Anschein, als sei es ihm fast peinlich. «Solche Superlative sind mir unangenehm», betont der Songschreiber, Gitarrist und Sänger.

So etwas schafft nicht nur Freunde. Zu Hause wurde er neben Alfons Haider zu «Willkommen Österreich» eingeladen. Dass er das Sprücheklopfen seinem Sitznachbarn auf der Gästecouch und den Gastgebern überlassen hat, wurde vielerorts als Hochmut kommentiert. «Für meine Verhältnisse hab ich eh Späßchen gerissen. Aber viele verwirrt es, wenn da einer sitzt und kein Bewerbungsgespräch führt.» Das sich produzieren ist Spechtls Sache nicht. Nicht vorm TV-Schirm, nicht auf der Bühne. Vielmehr gibt er sich als Antithese zur viel zitierten Rampen-Sau. «Guten Abend, wir sind die Gruppe Ja, Panik», ist seit Anbeginn an einer der wenigen ans Publikum gerichteten Sätze, vielleicht noch ein scheues «Danke» zwischendurch. «Wenn ich Moderator hätte werden wollen, wäre ich Moderator geworden. Wenn Comedian, dann Comedian. Ich mache Musik, und da bin ich voll dabei. Ich werde die Leute nicht anstacheln und auffordern, in die Hände zu klatschen. Von uns kommt die Musik und die ist sehr intensiv.» Das Bühnentier Andreas Spechtl ist ein scheues. Eines, das den Anschein macht, auf der Bühne zu leiden. Die Stellung zu hoch, die Scheinwerfer zu grell die Augen bleiben geschlossen, so das Bild noch vor einigen Jahren. «Mittlerweile fühl ich mich schon recht wohl auf der Bühne », was erkennbar ist, weil die Augen beim Spiel inzwischen geöffnet bleiben.

Mit «The Angst And The Money» (2009) haben sich Ja, Panik endgültig etabliert. Der raue, noch teilweise ungestüme Lärm des Vorgängers wurde durch Moses Schneider «Er hat die Art und Weise, unsere Instrumente zu stimmen, als Vienna-Tuning verlacht und uns beigebracht, es richtig zu machen» kanalisiert. Es scheppert weniger bei gleichbleibend hohem Energielevel. Die ehemalige Schülerband ist angekommen. Inzwischen sind Ja,-Panik-Konzerte Heimspiele, egal ob im nördlichen Brandenburg oder im südlichen Burgenland, das Publikum singt mit, ausnahmslos. Erfolg And The Money? «Mit den Jahren hat sich geändert, dass wir momentan davon leben können und uns keine Scheiß-Jobs mehr antun müssen, da bin ich fast ein bisschen demütig.» Das ist die positive Seite. «Die traurigen Momente sind, wenn sich alles wie ein Job anfühlt. Wir sitzen mit komischen Business-Leuten und führen komische Business-Gespräche über das, was wir gerne machen wollen. Das lässt sich aber ab einer gewissen Größe nicht mehr vermeiden. In den besten Momenten fallen Spaß und Job zusammen.»

Aktuell arbeiten Ja, Panik an ihrem neuen Album. Es wird diesmal kein «… And The Money». «Mit der von Stevos (Stefan Pabst aka Der Schätzmeister) über die Jahre herangezüchteten Wohn-Schlafzimmerplatte The Wurst And The Money (2010) ist für uns die Money-Trilogie abgeschlossen. «Nächstes Jahr soll es erscheinen», mehr wird noch nicht verraten. Dafür erscheint im Oktober «Songs Of L. And Hate», das aktuelle Solo-Werk von Christiane Rösinger (Lassie Singers, Britta). «Eine Chanson-Platte, wo ich die Instrumente eingespielt und arrangiert habe.» Für Ja,-Panik-Puristen erscheint zur Überbrückung «Ja, Panik Live» auf dem hauseigenen Band-Label Nein, Gelassenheit. «Ein Label, um Seitenprojekte zu veröffentlichen. Eine Liebhaberei», relativiert Spechtl.

Dass Ja, Panik heuer bei den Amadeus-Awards (nominiert mit «Alles hin, hin, hin» für den Song des Jahres und als Alternativ-Band des Jahres) keinen Preis abgestaubt hat, ist einerseits zum Kopfschütteln, aber andererseits hochgradig wurscht. Die Band, glaube ich, sieht das genauso und vertreibt sich lieber ihre Zeit mit Apfel-Duellen in Backstage-Zelten des nördlichen Waldviertels, aber das zu erläutern würde jetzt zu weit führen.

Info:

«The Angst And The Money» (CD/Vinyl)

(Schoenwetter Schallplatten/Hoanzl)

www.ja-panik.com

www.nein-gelassenheit.com