Jede hat ihr eigenes Tempotun & lassen

Wieso Frauen in der Wohnungslosenhilfe Räume für sich brauchen

Elvira Loibl, Mitbegründerin des FrauenWohnzimmers und heute Leiterin des FrauenWohnZentrums im 2. Bezirk, spricht darüber, wie Frauen mit Wohnungs- und Obdachlosigkeit umgehen, was versteckte Wohnungslosigkeit bedeutet und wieso die Stadt Räume braucht, die speziell für Frauen offen sind, denen ein adäquater Wohnort fehlt.Wie kam es zur Gründung des FrauenWohnzimmers und später des FrauenWohnZentrums?

2002 haben wir das Tageszentrum FrauenWohnzimmer eröffnet, damals noch unter der Trägerschaft der ARGE Nichtsesshaftenhilfe. Das Ganze ging vom Frauenarbeitskreis von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohnungslosenhilfe aus. Der Stand war damals: Je niedrigschwelliger eine Einrichtung ist, umso weniger ist sie zielgruppenspezifisch auf Frauen ausgerichtet. Der Großteil derer, die gekommen sind, waren Männer, daher war man mit den Männern beschäftigt, und die Frauen waren halt «auch dabei». Kolleginnen aus verschiedenen Einrichtungen haben also versucht, den Blick zu wenden und zu schauen, wie ein Angebot aussieht, in dem sich Frauen selbst als Zielgruppe erkennen. Wir haben relativ schnell gemerkt, dass das Allerwichtigste ein sehr niederschwelliges Angebot ist, in dem sozusagen die Grundversorgung stattfindet: Das war das Tageszentrum FrauenWohnzimmer, damals noch im 6. Bezirk in der Dürergasse. Dort haben wir hauptsächlich ehrenamtlich gearbeitet, unterstützt von Praktikantinnen der Fachhochschule für Sozialarbeit.

Wer war im Frauenarbeitskreis organisiert?

Der Arbeitskreis wurde 2001 von Sozialarbeiterinnen aus verschiedenen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe gegründet. Das neunerhaus, das Hilfswerk, die Josi – damals noch von der MA 12, wir vom Bahnhofsozialdienst der Caritas Wien und so weiter. Verschiedenste Kolleginnen, die sensibel für die Problematik gewesen sind und gesagt haben, wir schließen uns zusammen und richten den Blick auf die weibliche Wohnungslosigkeit. In Österreich gab es damals noch kaum Literatur dazu, aber in Deutschland gab es bereits Pilotprojekte und begleitende Studien.

Die Notwendigkeit ergab sich also aus der Praxis.

Wir haben über Jahre beobachtet, wie die Zahl der Wohnungslosen steigt und der geringe prozentuelle Anteil der Frauen nicht größer wird. Uns ist immer klar gewesen, dass das damit zu tun hat, dass die Frauen irgendwo mitwohnen, wo sie sich in verschiedensten Formen «nützlich» machen. Der zentrale Begriff ist dabei die verdeckte Wohnungslosigkeit. Dahinter liegt ein Mechanismus, den wir alle gesellschaftlich gut gelernt haben: die Definition als Frau nach wie vor über Männer, über Beziehungen mit Männern. Das heißt, so lange du in einer Beziehung bist, wurscht, wie die innen ausschaut, hältst du nach außen hin den Eindruck der Normalität aufrecht. Dazu kommen natürlich noch die verschiedensten Arten von Abhängigkeit, finanziell, psychisch, vielleicht sind Kinder da. Und was auch sehr oft Teil der Biographien unserer Bewohnerinnen und Besucherinnen ist, sind Gewalterfahrungen in den verschiedensten Formen. All das begünstigt, dass diese Frauen in der versteckten Wohnungslosigkeit verbleiben, dass sie also in Beziehungen verbleiben, die ihnen nicht gut tun: auch aufgrund des Fehlens von Alternativen.

Wurden eure Anliegen unterstützt?

Am Anfang war der Konsens der Geldgeber_innen und Verantwortlichen eher, dass es für die wenigen Frauen kein eigenes Angebot braucht. Unsere Gegenrede lautete: Wenn man kein eigenes Angebot hat, klar, dann werden die Leute nicht sichtbar. Und durch das von uns aufgebaute Angebot hat man auch relativ bald gesehen, dass die Frauen es nützen, dass es also den Bedarf gibt.

Heute seid ihr im 2. Bezirk und habt außer dem Tageszentrum auch einen Wohnbereich.

Im Juli 2003 hat die Caritas Wien die Trägerschaft übernommen, was neben der finanziellen Sicherheit auch Unterstützung beim Lobbying für wohnungslose Frauen brachte, da es bei der Caritas Wien durch unsere Vorarbeit beim Bahnhofsozialdienst eine Sensibilisierung für die «weibliche Wohnungslosigkeit» gab. Und die Caritas Wien hat ja insgesamt seit vielen Jahren ein breites Angebotsspektrum für wohnungslose Menschen und große Erfahrung in diesem Bereich. 2005 sind wir dann in den 2. Bezirk übersiedelt, weil es hier Platz für das gesamte FrauenWohnZentrum gab: also für das FrauenWohnzimmer, den Wohnbereich und die Nachtnotaufnahme.

Wer wohnt bei euch?

Nur alleinstehende, volljährige Frauen, die laut Kriterien des Fonds Soziales Wien anspruchsberechtigt sind. Frauen mit Kindern werden woanders hin vermittelt. Zielgruppe bei den Wohnplätzen sind meist Frauen, die über lange Zeit obdachlos und sichtbar gewesen sind, oft auch schon in vielen Einrichtungen waren und die Wohnplätze auch verloren haben. Und auch Frauen mit Haustieren – das ist gerade im Übergangswohnbereich ein Angebotssegment, in dem es nicht viele Wohnplätze gibt.

Übergangswohnen bedeutet, die Frauen bleiben nicht langfristig hier?

Im Durchschnitt bleiben die Frauen zwei Jahre. Man muss ja auch zwei Jahre wo gemeldet sein, um einen Anspruch auf eine Gemeindewohnung zu haben. Manche bleiben ein bisschen kürzer, andererseits wohnt auch eine Frau hier, die von Anfang an dabei ist. Sie war die erste Klientin, die wir im Tageszentrum hatten – da haben wir gerade Fliesen verlegt, und sie ist reingekommen.

Die zwei Jahre sind ein Richtwert: Unsere Haltung ist, akzeptieren, wie jede Frau ist. Und davon ausgehen, dass ein jeder Mensch auch in der Veränderung sein eigenes Tempo hat.

Was macht die Notwendigkeit von Frauenräumen in der Wohnungslosenhilfe aus?



Ein springender Punkt ist immer, in welchem Zahlenverhältnis ich mich bewege. In einer gemischten Einrichtung mit 10 Prozent Frauen und 90 Prozent Männern sind Gespräche natürlich anders orientiert. Es geht auch ganz viel darum, was es in mir bewirkt, wie ich angeschaut werde; wenn ich bei jemandem vorbeigehe, und der richtet seinen Blick auf den Busen; oder der sagt in meiner Gegenwart zu jemandem über eine andere Frau, was für eine schiache, schöne, dicke, fette, große, kleine Frau das gewesen ist – das macht mit mir als Frau was.

Es geht also darum, einen Schutzraum zu haben – einen Raum, wo frau ihre Ruhe hat.

Genau, es hört sich zwar für viele – ich würde behaupten, hauptsächlich Männer – lächerlich an, dass Frauen Räume brauchen, wo sie unter sich sind. Das Problem ist aber, dass diejenigen, die so bestimmend in der Gesellschaft unterwegs sind, kaum den Bedarf haben, darüber zu reflektieren, was es ausmacht, sich als Frau in Räumen zu bewegen, die mehrheitlich von Männern bestimmt sind. Wovon ich ausgeschlossen bin und welche Erinnerungen ein gewisses Verhalten in mir weckt, ohne dass es mitunter so gemeint ist. Daher braucht es einen Schutzraum, Rückzugsmöglichkeiten, Bereiche, wo die Frauen sein können, ohne dass es Männer gibt, die strukturieren: Das ist in unserem ganzen Wohnbereich und Tageszentrum wichtig. Es sind auch keine Männerbesuche in irgendeiner Art erlaubt. Es geht grundsätzlich darum, dass es unter den Frauen keine Ausdifferenzierungen und Kräfteverhältnisse gibt, die sich an diesen gewohnten Mustern orientieren und die man durchaus nicht abdrehen kann – aber hier herinnen einmal nicht, da entscheiden sich die Dinge mal nicht entlang der Geschlechterhierarchisierung.

Es arbeiten auch keine Männer hier?

Nein.

Gibt es spezielle Angebote für die Frauen?

Einmal im Monat machen wir am Samstag eine Feier im Haus, das ist meist eine familiärere Runde, mit fünfundzwanzig bis dreißig Frauen. Einmal im Monat gibt es einen Flohmarkt, der nur an Frauen gerichtet ist, es gibt Shiatsubehandlungen, und der Louise-Bus kommt. Bei den ärztlichen, vor allem den gynäkologischen Angeboten geht es in erster Linie mal darum, dass die Frauen sehr niederschwellig mit einer Ärztin reden können, ohne dass es gleich um eine Untersuchung geht. Oft sind das Frauen, die seit Jahren bei keiner Gynäkologin waren, und die erst einmal Barrieren überwinden und Vertrauen zu einer Ärztin aufbauen müssen. Zur Zeit suchen wir eine engagierte Gynäkologin für dieses Angebot.

Ist das Angebot in Wien für Frauen ausreichend?

Die Frage ist immer, schaut man auf die, die jetzt bereits zu einer Einrichtung kommen? Das ist eher die Haltung: «Was ich nicht sehe, ergibt auch keinen Handlungsbedarf.» Oder überleg ich mir, wie man einen Begriff davon kriegt, wie viele Frauen von versteckter Wohnungslosigkeit betroffen sind.

Insgesamt heißt das also: Genauer hinzuschauen, wie sieht Wohnen von Frauen aus? Welche unterschiedlichen Formen von Abhängigkeiten gibt es und was sind da Angebote, die Entlastungen schaffen? Im Laufe der letzten zehn Jahre hat sich aber auch viel verändert. Am Anfang haben sicherlich ganz viele die Frage gestellt: Wozu braucht es eine frauenspezifische Einrichtung in der Wohnungslosenhilfe? Mittlerweile hat sich da ein gewisses Selbstverständnis entwickelt. Und man sieht auch die gegenseitige Beeinflussung: Seit es Einrichtungen gibt, die spezifisch mit Frauen arbeiten, werden die auch sichtbarer und werden damit mehr zum Thema. Das sind Veränderungen, die halt lange brauchen, und es gibt noch viele offene Baustellen.

Eine gekürzte Version dieses Interviews erschien in «an.schläge, das feministisches Magazin», Februar 2013

Kontakt:

Frauenwohnzimmer, Springergasse 5, 1020 Wien

Tel.: (01) 971 80 07

frauenwohnzimmer@caritas-wien.at

Öffnungszeiten: Mo., 11-22 Uhr, Di. und Fr., 11-16 Uhr